Mauerwegläufer Alexander von Uleniecki war beim ersten Berliner Knastlauf in der JVA Plötzensee dabei. Kein alltäglicher Lauf, wie sich hinter den Gefängnismauern zeigte. Zugegeben: Die Neugierde war sehr groß, als ich durch Zufall in einer eMail von „Mr. Berlin-Marathon“ Horst Milde vom ersten Gefängnislauf in der JVA Plötzensee mitbekam. Von ihm stammte die ursprüngliche Idee, so was mal in Berlin zu starten, unterstützt vom Vollzugsbeamten und 17-fachen Berlin-Marathon-Finisher Reinhard Röcher. Vorbild ist Darmstadt, wo es so etwas schon seit Jahren als Marathon hinter Gefängnismauern gibt.

Plötzensee war mir ein Begriff als historischer Ort aus der Nazi-Zeit, aber selbst war ich noch nie dort. Um so merkwürdiger das Gefühl, als sich zur Nachmittagszeit die Stahltüre am Haupteingang zur JVA öffnete, ich meinen Personalausweis abgeben musste und in Begleitung eines Beamten in den großen Innenhof der riesigen Gefängnisanlage geführt wurde.

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Aus verschiedenen Gefängnissen Berlins waren Häftlinge da, um an dieser Premiere des 10-Kilometer-Laufs teilzunehmen. Etwa 25 Gefangene, außerdem 12 „Externe“, einer davon war ich. Meine Startnummer bekam deshalb auch ein „E“ verpasst, ebenso eine aufgemalte Sonne. Bestimmt aus Sicherheitsgründen, um die von „Draussen“ von denen von „Drinnen“ mit einem Blick auf die Nummer sofort zu unterscheiden. Trotzdem irgendwie beklemmend diese Form der Markierung. Die Verpflegungstische mit Obst und Getränken waren schon vorbereitet, die Gefängnisband spielte sich noch ein. Wie bei einem normalen Volkslauf, eben nur umgeben von Mauer und Stacheldraht. Und ohne Pressevertreter, die nicht reingelassen wurden. Aus meiner Sicht völlig unverständlich – da teile ich die Meinung von Horst Milde.

Nun standen wir da in unseren Laufklamotten, noch scheu und ein wenig verunsichert. Externe und Interne gleichermaßen. Situationen wie diese kommen ja nicht häufig vor. Mir halfen etwas meine Schuhe, besser: Zehenschuhe, das Eis zu brechen. Die erregen auch hinter Gefängnismauern Aufmerksamkeit und Neugierde. „Wie läuft es sich in den Dingern?“, sprach mich denn auch schnell ein Häftling an. Naja, es folgte mein bekannter Monolog, dass es einfach nur eine Sache des Trainings und der Gewöhnung sei. Der Einstieg war also geschafft, denn gleich war ich um umringt von seinen Kumpels aus der JVA Heidering. Das ist eine Art „Luxusknast“, erst im vergangenen Jahr eröffnet. Zwar gibt es dort keine Ein-Kilometer-Runde entlang der Gefängnismauern wie bei diesem Event in Plötzensee, aber immerhin bleiben anderthalb Stunden Zeit für einen täglichen Lauf und regelmäßiges Training.

Einer von den Heideringern, mit denen ich gleich gut ins Gespräch komme, ist Axel. Ein Jahr älter als ich. Seriös ausschauend, könnte eigentlich auch Direktor einer Sparkasse sein. Kurz vor dem Startsignal reihen wir uns ins letzte Glied des kleinen Teilnehmerfeldes ein, denn wir wollen eher locker, vielleicht kann man auch sagen: gemütlich, aber zügig laufen. Es werden am Ende etwas mehr als 53 Minuten. Weniger als eine Stunde, in der mich Axel mit auf eine Reise durch sein Leben nimmt. Sympathie baut Vertrauen auf, zumal wir im Laufschritt Gemeinsamkeiten feststellen: Die Liebe zu Schweden, zu Autos, zur Natur. Ich stelle mich als Inforadio-Redakteur vor.  Axel reagiert ungläubig bis erstaunt. Denn er ist in der JVA Heidering einer meiner Zuhörer, kennt Name und Stimme aus den Nachrichten. Und jetzt treffen wir uns hier im Gefängnis Plötzensee bei einem so ungewöhnlichen Lauf. Alles irgendwie kurios! 

Axel erzählt über sich. Er saß bereits wegen versuchter Republikflucht im DDR-Gefängnis. Nach der Wende ging es weiter. Insgesamt mehr als 11 Jahre hat Axel hinter Gittern verbracht. Betrug und Einbruch. Ich erzähle ein wenig von mir, höre meist aber nur zu, achte ab und zu auf das Tempo. Am Anfang sind wir zu flott, dann wird es etwas langsamer. Entlang der Strecke feuern Vollzugsbeamte uns an, auch aus der Heidering-Anstalt von Axel. Oder wir beklatschen Läufer, die Axel kennt, mit denen er häufiger gemeinsam trainiert.

Wie kommt einer wie du ins Gefängnis? Für Sekunden muss ich bei dieser Frage daran denken, wie schnell ein Leben in die ein oder andere Richtung kippen kann. Axel ist so sympathisch, erfüllt keinerlei Knacki-Klischees. Also wieso passiert das dann? Für eine Frau, erzählt mir Axel, wollte er alles tun. Zeigen, dass er sie liebt und all ihre Wünsche erfüllen kann. Wünsche, die jenseits seiner finanziellen Möglichkeiten lagen. Also wurden Fahrzeuge in Deutschland angemietet, über die Grenze gebracht, dort dann verkauft. Damit finanzierte er Liebe und Leidenschaft. Und selbst kurz vor Haftantritt fuhr Axel nochmals über die Grenze, was ihm über ein Jahr zusätzlich einbrachte.

Damit ist nun Schluss, verspricht Axel bei Kilometer 8. Er will wieder zurück nach Schweden, wo ihn niemand kennt und sich keiner für seine Vergangenheit interessiert. Irgendwas im Fremdenverkehr schwebt ihm vor, vielleicht Lappland. Ich erzähle ihm von meiner Autoliebe, einem Volvo Amazon, der gerade in Steglitz zum Verkauf angeboten wird. Und davon, dass es toll wäre, wenn er mir so einen Wagen dann – natürlich völlig legal – in Schweden verkaufen würde. Wir lachen, vergessen dabei fast das Zählen der Runden. Alles ist so normal und unglaublich schön…

Nach 53 Minuten und ein paar Sekunden laufen wir gemeinsam durch´s Ziel, werden von Moderator und Streckenvermesser John Kunkeler aus der Kunstfabrik Schlot begrüßt. Händeschütteln und Umarmung, alles wie bei zig anderen Läufen auch.

Und doch ist alles etwas anders. Nach ein paar Bechern Wasser und etwas Banane dürfen sich die „Externen“ wieder im Betriebshof umziehen, die laufenden Häftlinge werden aufgerufen, sich zur Rückfahrt in die Gefängnisse zu sammeln. Ich verabschiede mich von Axel. Er verspricht mir, mal aus Heidering zu schreiben. Und dass wir uns spätestens beim nächsten Lauf in Plötzensee wiedersehen. Oder bei einem Freigang, der möglicherweise im kommenden Jahr ansteht. Oder dann in Schweden. Unsere Wege trennen sich – nach einem gemeinsamen Lauf, wie ich ihn intensiver nirgendwo anders erleben durfte.

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