Sein längster Lauf begann nicht erst mit dem Startschuss um 6:00 Uhr am 21.05.2016 in Eisenach, sondern schon viel früher: Zu seinem Rennsteig-Erlebnis gehören für LGM-Mitglied Matze Weiser im Nachhinein viele Kleinigkeiten und Anekdoten, die sich nicht nur auf die 72,7 Rennsteigkilometer beschränkten. Um das Erlebte zu verarbeiten, hat er zwei Wochen nach dem Lauf alles aufgeschrieben. Ein Rennsteig-Report in vier Akten:

1. Anmeldung und Vorbereitung

„Vom Rennsteiglauf selbst hatte ich schon im schon letztes Jahr u.a. durch private Erzählungen und Laufberichte von Boris Arendt oder Jörn Künstner erfahren. Ich verschlang sie neugierig, aber das häufige Erwähnen von steilen Anstiegen, längeren Geheinheiten wie auch die zu bewältigende Distanz von 72,7 km wirkten auf mich nicht sehr einladend. Wenn, dann käme eher ein Halbmarathon- oder Marathon-Start für mich in Frage, wobei dann immer noch das Berglaufen und -gehen bliebe. Also im Frühjahr 2015 nichts für mich, denn Berglaufen und Höhenmeter reizten mich nicht im Geringsten. Für mich mussten Strecken flach und damit wenig anstrengend sein.

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Alles klar für den Rennsteig: Autor Matze (rechts hinten) und seine Matratze (rechts vorne) mit vier Mauerwegläufern vor dem Abenteuer Supermarathon.

Im Sommer 2015 hatte ich dann innerhalb von einer Woche bei geführten Gruppenläufen erst 62,5 km beim LGM-Nachtlauf und dann 55 km beim Stechlin-Ultratail geschafft, wobei letzterer mit ein paar Höhenmetern bestückt war. Bei beiden erlebte ich jeweils meine körperlichen Grenzen, so dass weitere Erfahrungen dieser Art über gleiche oder noch längere Distanzen für mich überhaupt nicht zur Debatte standen. Aber das bleibt nicht so, wenn man Vereinsmitglied der LG Mauerweg Berlin ist…

Wieder beim Gruppenlauf am Tag der Deutschen Einheit habe ich bei Nina und Harald vorgefühlt, wie sich eine eventuelle Anreise, Übernachtung usw. gestalten würde. Die Antworten vermittelten mir das Gefühl, zumindest organisatorisch einen Rennsteiglauf schaffen zu können, aber über welche Länge? Zu diesem Zeitpunkt gab es zwei Meldungen von Vereinsmitgliedern für den halben und drei für den normalen Marathon, denen ich mich zum gemeinsamen Lauf hätte anschließen können. Alternativ waren schon mehr als 20 von uns für den Supermarathon (SM) angemeldet oder hatten eine feste Absicht geäußert, dort zu starten. Meine Entscheidung basierte schließlich auf der folgenden, ganz individuellen Kausalkette:

Erstens hatte ich bereits ein zehn km kürzeres Lauferlebnis in 2015, und eine neue Distanzerfahrung in 2016 wäre mit einer über siebenmonatigen Vorbereitung und richtiger Herangehensweise zu erreichen. Zweitens würde es ausreichend Lauf-, Wettkampf- und Trainingsmöglichkeiten geben, um Höhenmeter zu sammeln und das Berglaufen zu erlernen. Drittens müsste ich mich für die längste Distanz anmelden, wenn ich möglichst viele Neongelbe auf der Seite haben möchte, die mich mental und mit einer angemessenen Tempo- oder Renneinteilung vor und während des Rennens unterstützen können. Meine Anmeldung für den Supermarathon und die Übernachtung in der Schule in Eisenach erfolgten Ende Oktober und das Unternehmen „SM 2016“ begann.

Während der ersten Dezemberwoche konnte ich mit Normann Salomo und unter der Führung von Laszlo Somogyi zahlreiche wunderbare Lauferfahrungen im andalusischen Gebirge sammeln. Als Abschluss konnte ich am Nikolaustag einen Marathon – mit zwei langen Anstiegen zu Beginn teilweise gehend – über 600 Höhenmeter erfolgreich gestalten. Die Basis war gelegt und mit zwei weiteren Marathonläufen bei einer Laufserie rund um den Jahreswechsel sowie 25 km am Valentinstag (mit zahlreichen Höhenmetern) bekam ich weitere Sicherheit für mein Ziel.

Es war ein weiter Weg: Matzes Vorbereitung für den Rennsteig-Supermarathon 2016 begann bereits 2015.
Ein weiter Weg: Das große Abenteuer Rennsteig-Supermarathon 2016 begann für Matze bereits 2015. Von der Rolle, die eine übergroße Matratze dabei spielen sollte, ahnte er damals noch nichts…

Weitere Distanzhärte und Erfahrungen mit Tempoeinhaltung brachten mir die Starts in Rodgau und Berlin über jeweils 50 km sowie der Düsseldorf-Marathon. Alle Starts bei Wettkämpfen (nebenbei möchte ich auch beim Berliner Läufercup dieses Jahr etwas reißen) und den Umfang meiner Trainingseinheiten hatte ich im Januar mit Andreas Deák abgestimmt, an die ich mich fast ausnahmslos gehalten habe. Auch der Austausch mit Andreas Urbaniak gerade in letzten Wochen war für mich sehr hilfreich. Ein Trainingshighlight bot ein von Sylke Bistron organisiertes Bergtraining im Grunewald am Ostersamstag, wo ich mir außerdem von den erfahrenen Berg- bzw. Rennsteigläufern Nina, Harald und Tom Tipps holen konnte, die ich am Sonntag und Montag bei zwei Halbmarathons mit zusammen über 1.000 Höhenmetern sofort umsetzen wollte und konnte.

Die letzte Möglichkeit Berge hoch und runter zu laufen, nutzte ich beim von der LG Mauerweg Berlin mitorganisierten und durchgeführten Wolfgang-Ziegler-Gedächtnislauf am 1. Mai 2016. Hier hatte für mich, wie bereits beim Düsseldorf-Marathon, die Geschwindigkeitsdisziplin oberste Priorität. Die vorgenommene Pace von 6:30 min/km konnte über den Dreiviertelmarathon halten und damit meine Vorbereitung drei Wochen vor dem SM mit einem guten Gefühl abschließen. Mein letzter, lockerer Lauf war fünf Tage vor dem Rennsteig der Run of Spirit über zehn km, den ich an der Seite von Tanja ganz gemächlich genoss. Danke bis hierhin an alle (nicht) erwähnten Unterstützer.

2. Equipment, Anreise Schmiedefeld und Eisenach

Was ziehe ich bloß an bei einem so langen Lauf und was benötige außerdem noch für die Übernachtung? Beim Lauftreff THF6 eine Woche vor dem Start konnte ich letzteres mit Olaf Ilk und Nina absprechen. Einerseits verabredete ich mich mit den beiden zu einer gemeinsamen Laufgruppe und andererseits bekam ich die wichtigsten Infos. Bloß nicht zu warm anziehen und ein Laufrucksack mit Trinkblase sei auch nicht notwendig, denn die Verpflegungspunkte liegen maximal 6,9 km auseinander und Temperaturen von mehr als 20 Grad waren auch nicht zu erwarten. Wie beim windigen Lauftreff auch würde ich mit langer Hose, langen Funktionsshirt und dem kurzen LGM-Shirt darüber auf die Strecke gehen und auf jeden Fall die Regenjacke mit nach Eisenach nehmen.

Wollte zwei "kleine Matratzen" mitbringen: Matzes Lauffreundin Mary.
Wollte zwei „kleine Matratzen“ mitbringen: Matzes Lauffreundin Mary.

Der Gepäcktransport ist vom Start- zum Zielort gewährleistet und nicht auf ein Stück beschränkt. Neben Laufsachen und weiteren Dingen für die Übernachtungen, die ich auf zwei Taschen verteilte, nahm ich auch einen Schlafsack mit. Da ich bis auf diesen keinerlei Camping-Ausrüstung besitze, habe ich mich vertrauensvoll an meine Freundin Mary gewendet, mit der ich nicht nur gemeinsam zum Rennsteig fahren würde, sondern in der Nacht nach dem Lauf auch ihr Zelt teilen würde. Sie stellte neben einem leicht aufzubauenden Zelt auch zwei kleine Matratzen in Aussicht, die sie mitbringen wollte. Sie sollten jeweils ungefähr das Volumen zweier Schlafsäcke haben.

Nachdem ich Christian Badel und Matthias Rottenbach, die mit uns gemeinsam mit nach Thüringen fuhren, am Reisetag abgeholt hatte und bei Mary ankam, nahm ich überraschend zur Kenntnis, dass zumindest eine Matratze etwas größer war, als ich angenommen hatte. Nach einigen Versuchen ging die Kofferraumklappe meines nicht gerade kleinen Autos zu. Alles war im Auto verstaut und die Reise zum Rennsteig konnte beginnen. Staufrei und mit vielen angeregten Gesprächen rund ums das Laufen und den Rennsteig ging es Richtung Süden. Matthias hatte beim Rennsteiglauf schon auf verschiedenen Distanzen teilgenommen und Christian startete wie auch dieses Jahr mit seinem Vater beim Halbmarathon. Daher hat er uns nur bis Gotha begleitet, nicht ohne mir eine ganz persönliche Aufmerksamkeit zu übergeben. Er hatte mich während der Fahrt gezeichnet. Dankeschön Christian.

Jene "schlafsackgroße" Matratze entpupte sich dann jedoch als deutlich voluminöser als gedacht - und sorgte für jede Menge Erheiterung bei den begleitenden Mitläufern.
Jene „schlafsackgroße“ Matratze entpuppte sich dann jedoch als deutlich voluminöser als gedacht – und sorgte für jede Menge Erheiterung bei den Mitreisenden.

In Schmiedefeld sind wir nach kurzer Zeit angekommen und waren dort mit Michael Schreiber, Patrick Arnold und Stefan Kliemann verabredet. Sie hatten den Zeltplatz in unmittelbarer Nähe zum Zielbereich schon früher erreicht, ihre Zelte aufgebaut und uns einen Platz freigehalten. Wir hatten eine Stunde, unsere Zelte aufzubauen und die Taschen zu packen. Während Mary erst am Abend den vom Veranstalter organisierten Shuttlebus zum Marathon-Startort Neuhaus kriegen musste, stand für mich die selbst organisierte Bus- und Zugfahrt zusammen mit Matthias und den anderen drei LGM-Mitglieder an. Vor der Abfahrt an der gerade so erreichten Bushaltestelle genehmigten wir uns die erste Bratwurst und/oder ein Kaltgetränk. Nach ein paar kommunikativen Missverständnissen mit dem Busfahrer konnten wir den richtigen Bus bis „Schmiedefeld Bahnübergang“ nehmen. Diesen fragten wir auch nach dem Abfahrtort der nächsten Buslinie: Kreuzung Schmiedefeld. Er schickte uns auf die andere Straßenseite, doch dort angekommen war die Buslinie mit meiner vorher recherchierten Abfahrtzeit nicht auf dem Fahrplan zu finden. Instinktiv ging ich an eine andere, 200 m entfernte Haltestelle, die auch den gesuchten Namen trug, wo ich fündig wurde, rannte rufend und gestikulierend zu den anderen zurück, denn der Bus würde in wenigen Minuten eintreffen. Sie kamen mit dem gesamten Gepäck angelaufen, wobei mein Reisegepäck neben einer kleinen Reisetasche und dem Schlafsack auch aus der größeren der beiden von Mary mitgebrachten Matratzen bestand. Sie war zwar gerollt und in einem blauen Müllsack zusammengepfercht, aber trotzdem unhandlich und nicht zu übersehen: Sie brauchte einen eigenen Sitzplatz. Die weitere Fahrt mit dem Bus und mit den beiden Zügen von Ilmenau und Neudietersdorf verlief mit den anderen in lustiger Stimmung und wir erreichten unser Reiseziel Eisenach pünktlich.

Dort gingen wir keine 10 Minuten vom Bahnhof zu Fuß zum Marktplatz, wo die traditionelle Kloßparty stattfand, also das „thüringische Carboloading“. Vorher machten wir einen Abstecher zur Startunterlagenausgabe, der nur wenige Minuten dauerte. Im Festzelt ließen wir uns die Klöße schmecken, nahmen die Stimmung in uns auf und nutzten den Aufenthalt zur Erholung. Später gesellten sich Tom, Sonja, Chris und Sylke zu uns. Die beiden zuletzt genannten begleiteten uns anschließend zum Gymnasium, welches für Laufteilnehmer als Übernachtung zur Verfügung gestellt wurde. Lobend an dieser Stelle seien Patrick, der „meine“ Matratze fast die ganzen zwei km trug, und Sylke erwähnt, weil sie diese immer wieder mit großer Aufmerksamkeit beschenkte. Nach kurzer Suche in der Schule hatten wir in einem der Klassenzimmer unser Nachtquartier aufgeschlagen. In kleiner feiner Runde haben wir den Anreisetag vor dem Schulgebäude ausklingen lassen.

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Ähhh, sind wir hier richtig? Verwirrung auf dem Weg nach Schmiedefeld.

Mein sechsstündiger Schlaf gestaltete sich dank bequemer Matratze und Ohropacks ruhig, so dass ich kurz vor vier und damit kurz vor dem Weckerklingeln relativ gut ausgeschlafen war. Eine Stunde später sind wir mit Sack, Pack und Matratze in den Shuttlebus zum Startort auf dem Marktplatz gefahren. Ich konnte meine drei Gepäckstücke mit der Startnummer beschriftet problemlos abgeben und mich zum Fototreffpunkt mit allen anderen Mauerwegläufern begeben. Fast 30 waren für den Supermarathon gemeldet und fast alle haben es auch pünktlich 5:45 Uhr auf das Gruppenfoto geschafft. ‚Noch 15 Minuten bis zum Start und bloß Nina nicht mehr von der Seite weichen‘, dachte ich. Daraus wurde nichts, denn mein Körper hatte anderes vor.

3. Der Lauf

Mein Supermarathon begann nach dem Fotos machen und zwar in Richtung WC. Es gibt unweit des Marktplattes ein Toilettenhäuschen. Ich finde ich persönlich, es hätten ruhig ein paar Dixi-Toiletten für rund 2.000 Starter vorhanden sein können. 5:47 Uhr kam ich dort an und hatte bestimmt 20 Männer vor mir. Es zog sich ganz schön in die Länge, denn nur drei Toiletten standen zur Verfügung. Ich war erst 5:59 Uhr an der Reihe, so dass ich den Startschuss nicht persönlich miterleben und auch nicht wie geplant an Ninas Seite die Linie überqueren würde. Sei es drum, denn ich hätte bestimmt später genug Zeit, zu ihr aufzulaufen! Ich wartete geduldig, denn von der sofortigen Erleichterung versprach ich mir entspannte erste Kilometer, bei denen ich mich besser auf die Strecke bzw. das Laufen konzentrieren und auch den Rennsteig-Flair mehr würde aufnehmen können. Dadurch kehrte ich erst kurz nach sechs zum Startbereich zurück. Mit einem Rundumblick stellte ich fest, dass unter den noch nicht gestarteten kein neongelber Läufer für mich zu erkennen war. Also ging ich mit Ertönen des Rennsteigliedes ohne persönliche Begleitung auf die Strecke und war dabei nicht mal der Letzte, sondern mittendrin.

Auf geht´s: Beim Rennsteig-Supermarathon geht es gleich vom Start weg bergauf.
Auf geht´s: Beim Rennsteig-Supermarathon geht es gleich vom Start weg bergauf.

So konnte ich aber die Atmosphäre bis zum ersten Anstieg nach knapp zwei km auf mich wirken lassen. Gehend und dicht gedrängt, trotzdem sehr entspannt, erfuhr ich die ersten Höhenmeter. Etwas weiter vorn konnte ich das erste LGM-Shirt sehen, das ich wenig später Patrick Arnold zuordnen konnte. Ein paar gemeinsame Schritte gab ich mir, ehe es mich weiterzog auf der Suche nach Nina. Als nächstes passierte ich Sylke sowie Jens und konnte wenig später zu Harald und Nina aufschließen. Aber ich verlor sie am ersten Verpflegungspunkt (VP) nach knapp sieben km aus den Augen. Weitere Gelbhemden waren in Sichtweite, die, wie sich herausstellte, Christine und Ralf gehörten. Mein Durchschnittstempo von knapp 7 min/km fühlte sich gut an, wobei ich jeden Anstieg hochging und die Abstiege mit kurzen Tippelschritten absolvierte. Aber ich hatte noch keine neongelbe dauerhafte Begleitung gefunden.

Das änderte sich noch vor dem dritten VP „Glasbachwiese“ nach 17,8 km, wo ich die Köstlichkeit Haferschleim erstmals probierte. Ich bekam eine sehr leckerere Portion mit Orangengeschmack gereicht, die ich in Gesellschaft von Sonja, Tom und Olaf genießen konnte. Nach der Pause ging es ein paar km über sehr viele Wurzeln, die ich mit äußerster Vorsicht gehend passierte und dadurch die anderen etwas ziehen ließ. Bis zum nächsten VP bei km 20,4 konnte ich wieder zu ihnen auflaufen und die folgenden Anstiege gemeinsam in Angriff nehmen. Zuerst die „Brotteröder Hütte“ auf 720 m Höhe und dann der steile Anstieg über knapp 2,5 km über den „Oberen Beerberg“ auf 830 m zum „Großen Inselsberg“ auf 916 m. Die ersten 25 km seit dem Start haben uns mit mehr Aufs als Abs einen Höhenunterschied von 700 m beschert. Mir half es sehr, auf dieser Passage vertraute Gesichter bei mir zu haben und mit ihnen kurz vor dem Gipfel eine Pause zu machen, um von einer Felsformation aus die grandiose Aussicht genießen zu können. Die Aussage von Tom am folgenden VP „Grenzwiese“ nach 26,4 km, „die schwierigsten Anstiege liegen nun hinter uns“, baute mich nach der Anstrengung zusätzlich auf.

Eie Insel mit zwei Bergen? Nein, ein Inselsberg mit zwei Läufern: Mtze und Sonja nach den ersten 25 Kilometern kur vor der Spitze des Inselsberges.
Eie Insel mit zwei Bergen? Nein, ein Inselsberg mit zwei Läufern: Matze und Sonja nach den ersten 25 Kilometern und kurz vor dem ersten von zwei Gipfeln des Supermarathons.

Unser nächstes mich motivierendes Ziel nach weiteren 10,5 km war die auf einem Hinweisschild angekündigte „Ebertswiese“. Dort würde nicht nur die Hälfte der Strecke geschafft sein, sondern auch eine vorzügliche Bewirtung u.a. mit Wiener Würstchen auf uns warten. Es hatte schon etwas für sich, von dem erfahrenen „Reisebegleiter“ Tom nicht nur die kulinarischen Aussichten sondern auch die anstehende Streckenbeschaffung in Erfahrung bringen zu können, wovon ich rege Gebrauch machte. Was ich nicht erfragte, war die nächste Wasserversorgung. Tom beschrieb die nächsten km als wellig, denn es standen in der Tat nur geringe Höhendifferenzen an. Allerdings hatte ich ganz schön zu knabbern an den knapp sieben km bis „Possenröder Kreuz“. Olaf fühlte sich scheinbar sehr gut, zog etwas mit dem Tempo und lief immer ca. 100 m vor mir in Sichtweite. Ich hatte meine Geschwindigkeit gefunden und lief wiederum immer ein paar Meter vor Tom und Sonja. Beim Bergablaufen versuchte ich, immer am vorbeistürmenden Tom dran zu bleiben, den ich nur einholen konnte, wenn er auf Sonja wartete. Den Anstieg nach dem VP ging ich wie gewohnt, wobei ich zum ersten Mal die Distanz von bis dahin 33 km in den Beinen merkten. Doch es lag nicht mal mehr ein Marathon vor mir.

Eine kleine Erleichterung verschaffte ich mir bei einem Abstieg, um anschließend wieder schnell ins Lauftempo zurückkehren zu können. Eine Vorgehensweise, dir mir sinnvoll erschien und noch mehrmals während des Tages vollzogen wurde. Woran ich man nicht alles denken muss. Ich dachte nur noch an die nächste Stärkung mit der Pause auf der Ebertswiese. Hier wurde auch die zweite Zeitmessung durchgeführt, die ich nach 4:45 Stunden auslöste. Diese Zeit könnte auf die Gesamtstrecke eine Zielzeit von…. Weiter sollte ich gar nicht denken. Bisher lief zwar alles planmäßig, aber es konnte noch soviel passieren und ich war ein Supermarathon-Debütant. Meine nächste Herausforderung bestand darin, alle Köstlichkeiten einmal auszuprobieren: Wiener Würstchen, eingelegte Gurken, Schmalzstullen… Nach zehn Minuten war es vollbracht. Den mich vor dieser Pause passierende Patrick und Olaf sah ich noch kurz und dann waren sie weg.

Mit Getränken und Obststücken in der Hand ging es weiter an der Seite von Sonja und Tom „überraschenderweise“ weiter bergauf in die zweite Halbstrecke. Die nächste Getränkestelle „Neue Ausspanne“ bei km 40,4 erreichten wir noch gemeinsam. Bei den folgenden, steilen Anstiegen, die bis zu 881 m hinaufführten, wollte und konnte ich dem Duo nicht mehr folgen. Um keinen Einbruch zu riskieren, nahm ich ein paar Schritte raus und orientierte mich spontan am Tempo eines vor mir laufenden Frauentrios. Diesem konnte ich nur bis zur Verpflegungsstelle „Neuhöfer Wiesen“ bei km 44,7 folgen. Ich war nun bereits mit mehr als 5:30 Stunden deutlich länger auf den Beinen, als bei meiner bisher längsten Distanz in 2016. Die 50 km von Rodgau konnte ich im Januar nach 5:16 Stunden beenden.

Ein Bild von einem Mann: Zeichentalent Christian Badel verewigte Matze auf dem Weg zum Rennsteig – allerdings nicht als Läufer, sondern als Fahrer…

Gestärkt u.a. mit Heidelbeerschleim und Knacker bin ich gehend weiter auf die zunächst schnurgerade weitere Strecke. Mich anfeuernd bin ich dann langsam wieder ins Laufen gekommen. Richtig wach wurde ich durch ein eigenes Stolpern, das ich beim Überholen anderer Läufer erlebte. Feierlich wurde es um 12:40 Uhr, als ich meinen Distanzrekord 2016 von 50 km kurz vor der Getränkestelle „Gustav-Freytag-Stein“ erneut erreichen konnte. An diesem Wegpunkt hatte ich eine grandiose Aussicht nach Südwesten über den Thüringer Wald. Außerdem hatte ich schon vor kurzem einen für mich angenehmen Rhythmus zurückgefunden und bewegte mich beschwingt zum Grenzadler in Oberhof. Die dortige dritte Zwischenzeitnahme nach genau 54 km konnte ich mit einem Blick auf meine Laufuhr um 13:14 Uhr erreichen.

Ein paar Worte zu meinem elektronischen Begleiter. Der erste Rennsteigauftritt meiner Polar V 800 verlief etwas unglücklich. Ich hatte für den Lauf einen Modus gewählt mit, der mir energiesparend eine lange Akkulaufzeit versprach. Leider litt wohl auch die GPS-Aufzeichnungsrate, denn nach knapp 17 km war Schluss: Kein GPS-Signal mehr. Ich entschied mich daher beim 20-km-Schild die Aufzeichnung neu zu starten. Das Ergebnis war nach wenigen Metern wieder das gleiche. Um ein Signal mitten im Wald zu bekommen, sollte ich „ruhig stehen bleiben“. Das ging am besten wieder bei einer Erleichterung am Wegesrand und dauerte nicht sehr lange. Die Aufzeichnung erfolgte dann reibungslos bis ich durch eine nicht nachvollziehbare Berührung auf einmal 10 km mehr auf der Uhr hatte. Meine Geschwindigkeitsanzeige offenbarte ein völlig unrealistisches 6er-Tempo, so dass diese daher keine Hilfe mehr für die ca. letzten 40 km war. Ich wollte doch sowieso nur ankommen, mit Nina war damals eine Zeit unter elf Stunden geplant.

Bodyguard kann er auch: Matze mit Laufzwilling Jörn Künstner (rechts) und Teilstreckenlaufbegleiterin Sonja Schmitt.
Bodyguard kann er auch: Matze mit Laufzwilling Jörn Künstner (rechts) und Teilstreckenlaufbegleiterin Sonja Schmitt.

Für die restlichen 18,7 km hatte ich für dieses Ziel noch 3:46 Stunden Zeit, für eine Zielzeit unter zehn dementsprechend eine Stunde weniger. War das realistisch? Ich erlaubte mir während des sehr steilen Anstieges zum „Stein 16“ folgende Rechnung: 166 Minuten geteilt durch 19 ergibt ein Durchschnittstempo von 8:44 min/km. Konnte ich das schaffen? Ich wollte es unbekümmert versuchen und wäre im Falle meines Scheiterns überhaupt nicht traurig, denn eines war jetzt fast schon gewiss: Ich würde meinen ersten Rennsteig-Supermarathon erfolgreich beenden können.

Dazu galt es nächstes die „Sommerswiese“ bei km 58,2 zu erreichen. Dort angekommen erfreute mich besonders der Anblick von Dixi-Toiletten. Ich hatte Papier für eine mögliche, große Erleichterung bei mir, aber bisher keinen geeigneten Ort entdecken können und bislang auch nicht gebraucht. Spontan entschied ich mich, die gegebene bequeme Möglichkeit zu nutzen, da auch niemand wartend davor stand. Eine kurze, steile Rampe hinab ermöglichte es mir, sofort anschließend ins Laufen zu kommen bevor die Strecke zum zweiten Gipfel und gleichzeitig höchsten Punkt des Laufes führte. Er liegt mit 974 m unterhalb des Gipfels des „Großen Beerberges“ nach 61 km.

Locker sub zehn: Matzes Rennsteiglauf dauerte genau 9 Stunden, 46 Minuten und 45 Sekunden.
Locker sub zehn: Matzes Rennsteiglauf dauerte offiziell genau 9 Stunden, 46 Minuten und 45 Sekunden.

Auf dem Weg dahin traf ich auf Antje, mit der ich mich unterhielt und dabei eine gemeinsame Zielzeit feststellen konnte. Sie kannte das Profil der restlichen Kilometer und eröffnete mir, dass uns zwischen der letzten Verpflegungsstelle „Schmücke“ und Schmiedefeld noch ein weiterer Anstieg bevorstand. Sie schonte sich gehenderweise, ich bedankte mich für den regen Austausch und wünschte ihr alles Gute. Den Moment, meinen ganz persönlichen Distanzrekord mit Überschreiten der 62,5 km zu erreichen, hatte ich ganz für mich allein irgendwo im Wald. Feierlich begießen konnte ich dieses Ereignis dann ein paar Minuten später an der letzten Verpflegungsstelle „Schmücke“. Dieses Bier hatte ich mir ganz fest vorgenommen, allerdings habe ich nur ein paar Schlucke herunterbekommen. Stattdessen stärkte ich mich am Buffet mit Schleim, Wurst, Obst und nahm viel Wasser zu mir.

Mein Lauftempo konnte ich danach nicht mehr finden und kam immer wieder ins Gehen. Ich grübelte darüber, wann ich den letzten, mir unbekannten Anstieg erreichen würde, wollte mich dafür schonen und außerdem erwartete ich sehnsüchtig das 65-km-Schild. Dann erreichte ich es endlich und Antje mich. „Komm lauf weiter!“, feuerte sich mich an. Ich erwiderte: „Ich schone mich für den Anstieg und weiß nicht, wann er kommt.“ „Da kannst du noch eine Weile darauf warten und jetzt lauf erstmal einmal runter“, war ihre Antwort, die mich aus meiner Lethargie riss, sofort ins Laufen brachte und ihr wieder davonlief. Welch ein Segen war ihr Impuls, denn ohne weiteres Denken bin ich dann ca. drei km bis zu dem Anstieg gelaufen.

Ein letztes Mal müsste ich einen Berg hochgehen und dann nur noch flache oder abfallende Strecke. Der Anstieg zog sich wie Kaugummi, doch die letzte Getränke-VP war anschließend meine kleine Rettung. Das gereichte Köstritzer Schwarzbier ignorierte ich völlig und begab mich mit zwei Wasserbechern in der Hand auf den finalen Part. „69 km“ war pink an einen Baum gesprüht und bald würde ich die 70 sehen. Die Strecke ging zunächst minimal bergauf. Ich ging und wurde von zwei anderen Läufern überholt. Wieder ein Impuls, der mich zum sofortigen Weiterlaufen animierte und ich folgte dem schnelleren der beiden. Der Ausblick auf Schmiedefeld motivierte genauso wie die Aussicht auf die 70-km-Marke. Sie kam aber nicht – dafür wieder ein Anstieg und dann endlich die 71 km wieder an einem Baum. Dieses Psychospiel so kurz vor dem Ziel war echt hart für mich.

Maximale Freude: Der Rennsteig-Supermarathon war Matzes bisher längster Lauf.
Maximale Freude: Der Rennsteig-Supermarathon war Matzes bisher längster Lauf.

Aber dann hörte ich schon den Zielbereich: Den Ansager, die Musik, die Anfeuerungsrufe – Gänsehaut. Einige Athleten kamen schon vom Ziel zurück. Sie und Zuschauer feuerten jeden an und bereiteten mir Rückenschauer. Es war einfach genial und bis zur Zielgerade bin ich gelaufen. Dann hielt ich an und fotografierte die Zielbeschriftungen. Zeit war noch genug, denn auf der Uhr stand irgendwas mit 9:48. Ich hatte alle meine Ziele erreicht, war überglücklich und wurde unzähligen Menschen gefeiert. Gemächlich und jeden Schritt genießend bin ich in lockerem Trab über die Ziellinie gelaufen. Vom Zielbereich her konnte ich Jörn Künstner zurufen und er kam zu mir. Mit ihm konnte ich meine ersten Supermarathon-Finisher-Momente teilen. Am Getränkestand traf ich dann Antje wieder und bedankte mich sofort bei ihr. Mit Finisher-Medaille um den Hals und ganz vielen Endorphinen verließ ich das Wettkampfgebiet meines ersten Rennsteiglaufes über 72,7 km, für die ich offiziell 9:46:45 Stunden gebraucht hatte.

4. Party & Nachbereitung

Nachdem ich meine Sachen von der Gepäckwiese geholt hatte, ging es hoch zum Zelt, wo alle meine Reisebegleiter vom Vortag auf mich warteten. Sie hatten ihr Werk schon deutlich früher geschafft und auch Mary konnte von ihrem Rennsteig-Marathon-Debüt berichten.

Als nächstes machte ich mich ins Festzelt auf, wo sich nach und nach weitere Mauerwegläufer und Lauffreunde einfanden. Es gab immerhin viele Erlebnisse auszutauschen. Im Finisher-Shirt wurden unzählige Male das Rennsteiglied und andere Klassiker mit bestimmt mehr als 1.000 Gästen zelebriert. Dieser unglaubliche Tag bot so viel Freude, Emotionen und Energie. Letztere hatten Patrick, Jörn und Andreas Baur mit mir am längsten, denn wir feierten bis zum offiziellen Ende um 1:00 Uhr. Mit etwas steifen Beinen, ob nun vom Laufen, auf der Bierbank stehen oder Tanzen ging es Richtung Zelt. Das war mein letzter Aufstieg vor dem Einschlafen.

Wer weit laufen kann, kann auch bis weit in die Nacht feiern: Das Partyzelt in Schmiedefeld.
Wer weit laufen kann, kann auch bis weit in die Nacht feiern: Stimmung hoch drei im Partyzelt in Schmiedefeld.

Läufer scheinen selten ausschlafen zu können oder zu wollen. Jedenfalls war ich gegen 8:00 Uhr der zuletzt aufwachende von sechs LGM-Campern und Mary. Wieder hatte ich gut und fest auf der Matratze übernachtet. Ein strahlender Sonnentag war angebrochen und ich nutzte bei meinem Toilettengang die Ruhe, das gestern noch so lebhafte Lauf-Mekka zu genießen und um mit Freude an die vergangenen Stunden im Thüringer Wald zurückzudenken. Jetzt verstand ich auch, warum der GutsMuths-Rennsteiglauf alljährlich zum Marathon des Jahres gewählt wird. Die Organisation ist bis auf ein paar fehlende Dixis top, das Rahmenprogramm stimmt und das Flair unbeschreiblich. Ich werde versuchen meine Freundin Bine zu motivieren, mit mir kommendes Jahr in Oberhof beim Halbmarathon zu starten, damit wir das gemeinsam laufend und feiernd erleben können.

Um das schon mal zu üben, sind wir nach meinem Laufausflug noch für drei Tage ins Elbsandsteingebirge gefahren. Aber dort sind wir nur gewandert, haben entspannt, den Körper und die Seele baumeln lassen. Bei einigen Bergen habe ich manchmal an Schmiedefeld denken müssen. Nach elftägiger Laufpause habe ich sowohl bei einem 5-km-Wettkampf und drei Tage später über 15 km immer noch jeden Rennsteigkilometer im Körper gemerkt und werde es wohl auch noch ein paar Tage. Es fühlt sich gut an und ich werde mich ganz behutsam auf die jetzt anstehenden, deutlich kürzeren Wettkämpfe vorbereiten.

Die beschriebenen vier Akte werden für mich unvergesslich bleiben. Ich möchte mich bei allen Organisatoren, Unterstützern, Läufern und Freunden bedanken, die mir vorher, dabei und danach so ein tolles Laufwochenende beschert haben.

Text: Matze Weiser

Fotos: Matze Weiser, Sonja Schmitt, Thomas Meier u.a.