Eigentlich wollten Harald Reiff und Olaf Ilk sich ganz auf die 100Meilen als Teilnehmer einer Zweierstaffel konzentrieren. Sie wollten Strecke rund ums alte Westberlin unter ihre Füße nehmen und dabei das Flair dieses besonderen Laufereignisses voll und ganz genießen. Aber so ganz loslassen können die beiden doch nicht. Denn Olaf übernahm die Gesamtorganisation der 100Meilen, da Ronald Musil gesundheitlich kürzer treten musste. Harald war als Streckenmarkierer unterwegs, kümmerte sich um die Verpflegung für die 27 Verpflegungspunkte entlang der 161 Kilometer langen Strecke. Bei den 100Meilen steuerte er die vielen Verpflegungspunkte als zweiter Läufer im Team an und fragte die Betreuer nach ihren Befindlichkeiten. Hier ist sein Laufbericht:

„Montagmorgen um fünf Uhr wache ich mit Kopfschmerzen auf. Eigentlich sollte und wollte ich arbeiten gehen. Zu viel Arbeit ist in den letzten Wochen liegen geblieben, die ich nicht erledigen konnte.

Seit Februar bin ich offiziell nicht mehr im Orgateam der 100Meilen auf dem Berliner Mauerweg. Ich wollte diesmal einfach mal nur dabei sein, ohne mich auf die Vorbereitungen dieses Lauf-Events konzentrieren zu müssen. Ich wollte endlich einmal das Flair genießen, in Ruhe das Essen am Vortag genießen, Leute treffen, und wenn jemand in der Staffel ausfällt, auch einspringen. Das sollte dann sehr schnell der Fall sein. Denn Olaf benötigte für seine Zweierstaffel einen Partner. Auch die Besenläufer hatten Bedarf. Die Zweierstaffel erschien mir reizvoll. „Den Besenläufer kann ich im Alter immer noch machen“, dachte ich mir. Prima, ich bin also als Staffelläufer dabei. Im Training war ich ohnehin und die 90 Kilometer sind allemal eine Herausforderung. Doch meistens kommt es anders als man denkt, bei so einer Veranstaltung wie den 100MeilenBerlin.

Denn wenige Wochen vor dem Start stand ich nun doch wieder mitten in der Verantwortung für das Markierungsteam. Natürlich helfe ich gerne guten Freunden, und wenn man eine Veranstaltung über Jahre hinweg unterstützt hat, dann lässt man niemand hängen. Zuvor schon hatte ich mich als Streckenmarkierer gemeldet, denn etwas einbringen wollte ich mich trotzdem. Denn schon immer habe ich die Route rund ums alte Westberlin für die 100Meilen markiert. Außerdem kann ich diese Aufgabe gut ins Training integrieren.

Andreas hatte schon das Team dazu angeworben und auch die Streckenabschnitte namentlich zugeordnet. Der Rest lief routiniert ab, Material bestellen, testen und verteilen, auch ein kurzfristiger Ausfall fingen wir schnell auf. Die Zusammenarbeit mit dem Streckenteam war perfekt – danke Eckhardt für deinen unermüdlichen und kompetenten Einsatz!

Parallel dazu kamen plötzlich weitere Aufgaben auf mich zu. Details darüber würden den Rahmen sprengen. In dieser Form würde ich das auch nicht mehr machen.

Logistische Herausforderung: Getränke und Nahrung für 300 Einzelläufer und vierhundert Staffelläufer an 27 Verpflegungspunkten entlang der 161 Kilometer langen Strecke. (Foto: Harald Reiff)
Logistische und organisatorische Herausforderung: Getränke und Nahrung für 300 Einzelläufer und vierhundert Staffelläufer an 27 Verpflegungspunkten entlang der 161 Kilometer langen Strecke. (Foto: Harald Reiff)

Auf meinen Lauf konnte ich mich Freitag ab 21Uhr konzentrieren. Das ist für mich nichts Neues, denn zwei Mal bin die Herausforderung Orgateam und 100 Meilen laufen angegangen. Aber den Fokus auf den Lauf zu legen fällt mir in dieser Situation immer schwerer.

Den Samstag Vormittag ich verbrachte zuhause und verfolgte das Rennen am Computer. Zum einen hatte ich Olafs Zeiten im Blick, zum Anderen den Kampf an der Spitze. Um 13 Uhr machte ich mich mit Bahn und Fähre auf den Weg nach Sacrow, unserem Wechselpunkt. Ich mag diese Fähre. 20 Minuten dauert die Fahrt bis Kladow. Immer wieder sammle ich dabei schöne Eindrücke. Den restlichen Weg zum Schloß bin ich gemütlich gewandert. Unterwegs traf ich unseren Chef der Radcrew, Noah. So erfuhr ich gleich die Neuigkeiten über das Rennen. Am Wechselpunkt am Schloss Sacrow traf ich jede Menge Freunde und Bekannte, und auch gleich die ersten Fragen vom VP-Team, die ich aber schnell klärte. In lustiger Runde wartete ich auf Olaf. Mein Plan war, alle Betreuer der Verpflegungspunkte zu fragen wie es ihnen ergeht, welchen Waren zu viel beziehungsweise zu wenig vorhanden waren, was verbessert werden kann. Olaf kam pünktlich angetrabt. Schnell noch ein Foto, und dann machte ich mich auf eine lange Reise.

Harald am Start als zweiter Läufer der Zweierstaffel. (Foto: Cornelia Kaltwasser)
Harald am Start als zweiter Läufer der Zweierstaffel. (Foto: Cornelia Kaltwasser)

Natürlich waren viele Freunde und Bekannte als Einzelläufer auf der Strecke. Das erste bekannte Gesicht war Franz Kuhnlein. Er kommt regelmäßig zur Generalprobe und zum Nachtlauf um sich vorzubereiten. In diesem Jahr ist er gut drauf. Ich wünsche ihm einen guten Lauf und trabe weiter. Jörn Seelig, mein Vereinskamerad lief auf, zusammen zogen wir einige Kilometer weiter, doch es wurde mir zu schnell. Mein erster Verpflegungspunkt (VP) war in Krampnitz, toller VP. Der Förster macht das schon seit 2011. Ich habe noch schnell Waren nachgefragt, und einen kurzen Smaltalk gehalten. Gleich darauf traf ich René. Auch mit wechselte ich ein paar Worte. Der nächste Stopp dauert dann etwas länger, ich habe eine Bekannte auf dem Rad getroffen, die in der Gegend Urlaub macht. Was ich aber nicht wußte und mich sehr überraschte. Die 20 Minuten waren es mir aber Wert, mit ihr zu quatschen. Den Rest des Weges bis zum VP Alte Meierei legt ich mit Hans Uwe Zietlow zurück. Auf ihn hatte ich mich ohnehin gefreut. Wer mich kennt der weiß, dass ich an der Meierei, dem Brauhaus mit köstlichem Bier immer etwas länger verweile. Die Truppe und das Angebot sind spitze, organisiert von Toralf Gerstäcker.

Hans Uwe habe ich schnell wieder eingeholt. Bis zur nächsten Verpflegungsstation am Griebnitzsee blieben wir zusammen. Auch hier habe ich mich mit den Leuten unterhalten. Am Königsweg habe ich mich dann von Hans Uwe verabschiedet und habe Hermann Heyer eingeholt. Hermann ist Vereinsmitglied und kommt aus Koblenz. Man nicht alle Tage Gelegenheit, sich zu sehen. Da ich den Königsweg nicht sonderlich mag, war es eine willkommene Ablenkung, sich mit ihm zu auszutauschen. Nach einigen Minuten bin ich aber doch weiter und habe Anke eingeholt. Sie hatte Probleme mit dem Knie wollte aber unbedingt das Rennen beenden. Anke kommt relativ oft zu unseren Lauftreffs, ich begleitete sie bis zur Neuruppiner Straße. Davor kam noch der tolle VP von Familie Thiel, auch sie verpflegen die Läuferinnen und Läufer seit Jahren sehr engagiert zum Beispiel mit frisch gekochten Kartoffeln.

Am Verpflegungspunkt der Familie Thiel, die seit vielen Jahren als Helfer dabei ist. (Foto: Jörg Kaltwasser)
Am Verpflegungspunkt der Familie Thiel, die seit vielen Jahren als Helfer dabei ist. (Foto: Jörg Kaltwasser)

Kurz vor WP 3 traf ich dann auf Bill Sharp. Er ist eines unserer Vereinsmitglieder in den USA und hat bei der Startnummernausgabe mitgeholfen und kurzfristig VP5 mit übernommen. Er begleitete einen Freund. Beim WP 3 hatte ich dann ein längeres Gespräch mit dem Teamleiter. Auch hier wieder viele Freunde und Bekannte, unter anderem Jens Noak. Er betreute „seine“ Staffel und brachte es auf den Punkt. Zitat: er organisiert schon die nächsten 100Meilen. Ja, so kann man das durchaus einordnen.

Nun bin ich auf dem Abschnitt unterwegs, den ich selbst markiert hatte. Ich habe Zeit und Muße, den Gedanken freien Lauf zu lassen. Seit 2011 bin ich dabei, habe Hauptverantwortliche kommen und gehen sehen. Seit Jahren würde ich gerne beim Allgäu Panorama Trail starten, der findet meist zeitgleich mit unserem 100Meilen-Lauf statt. Ich habe 25 Jahre meines Lebens dort im Allgäu verbracht. Bisher stand dieser Lauf aufgrund der 100Meilen immer hinten an. Vielleicht kann ich nächstes Jahr in meiner alten Heimat dabei sein und die mehr als 70 Kilometer mit vielen Höhenmetern unter meine Füße nehmen.

So verging die Zeit wie im Flug. Die nächsten VP waren Osdorfer Straße und Lichtenrade, bei beiden hielt ich mich nicht lange auf. Die Lichtenrader freuten sich sehr über ihren neuen Standort, der ihnen beim Auf- und Abbau viel weniger Mühe bereitet hat als in den Vorjahren. Also haben wir schon wieder eine Kleinigkeit verbessert.

Auf dem Weg zum 20. Verpflegungspunkt traf ich Olaf Jung. Nach einem kleinen Schwätzchen bin ich dann aber auch weiter. Von weitem erkannte ich ihn schon, den VP von Ninas Eltern. Das hat ein wenig was von Weihnachten. Denn er ist mit Lichterketten geschmückt. Das fantastische Angebot verleitet einen, länger zu verweilen. Und natürlich alles bekannte Gesichter. Im Liegestuhl döste Jörg Levermann. Lange wollte ich mich nicht aufhalten. Aber Jörg wollte ich mitnehmen – zumindest ein Stück, damit er sich wieder bewegt. Er verließ dann auch den VP kurz vor mir. Ein kleines Mißgeschick führte bei mir in dem kleinen Waldstück danach zum Sturz. Jetzt waren die Sinne wieder geschärft und Jörg schnell eingeholt. Ein kleines Stück sind wir zusammen gelaufen, dann hab ich mein Tempo wieder erhöht.

Reflektierende Klebefolie ist das ideale Material für die Markierung der Strecke in der Nacht. (Foto: Harald Reiff)
Reflektierende Klebefolie ist das ideale Material für die Markierung der Strecke in der Nacht. (Foto: Harald Reiff)

Katja und Jens sind verantwortliche Markierer für diesen Abschnitt. Sie haben – wie alle anderen auch – ganze Arbeit geleistet. In Buckow bei Mike habe ich ein schnelles Bier getrunken. Kurz vor Rudow traf ich auf Anett. Sie war als Teilnehmerin beim Nachtlauf im Juli dabei. Bis zum zum nächsten Verpflegungspunkt blieben wir zusammen.

In Rudow bin ich nach kurzer Befragung auch schnell wieder weiter gelaufen, denn der nächste VP war wieder ein Highlight für mich. Diesen betreut mein Freund Harry Mehner mit seinem Team. Hier kommt Freude auf, endlich, nach dem endlos lang erscheinenden Stück am Teltow-Kanal entlang, ein Licht zu sehen. Aus seinem Privatfundus bekam ich ein Köstritzer gereicht. Eine willkommene Abwechslung. Nun saß mir doch die Zeit im Nacken, denn ich wollte die Staffel unter 24 Stunden ins Ziel bringen. Der Akku meiner Laufuhr war schon bei VP 20 leer. Dort bin ich um Mitternacht los. Das ist hier nicht weiter Schlimm, da die Strecke bald wieder in der beleuchteten Stadt verläuft. Gegen viertel nach zwei erreichte ich den VP 23. „Gar nicht so schlecht für gute 20 Kilometer“, lobte ich mich selbst. Harry sagte mir, dass eine Zweierstaffel erst vor fünf Minuten den VP verlassen habe und zwei weitere auch nicht weit weg seien.

Den nächsten kurz vor der Kiefholzstraße betreut Bernd Kutz mit seinem Team. Es ist fantastisch, die ganzen Leute zu kennen. Auf halber Strecke dahin hab ich schon die erste der drei direkt vor mir liegenden Zweierstaffeln eingeholt. Bernd mahnte zur Eile, schickte mich gleich weiter auf die Reise. Denn er meinte ein Finish gegen sechs Uhr wäre durchaus noch möglich. Kurz nachdem ich mich von Bernd verabschiedet hatte, traf ich auf Magnus. Für seinen weiteren schweren Weg wünschte ich ihm viel Glück, denn er war als Einzelläufer unterwegs.

Nun kam der Abschnitt der für mich immer schwer ist, denn ich mag den Weg durch Kreuzberg nicht. Diesmal kam ich aber gut durch an der Schlesischen Straße und auch an der Oberbaumbrücke. Die Eastside Gallery wollte kein Ende nehmen; und doch war ich dann überrascht bei Mathias am VP zu stehen. Uhrzeit gecheckt, Matthias meinte 13 Kilometer in 1:19 sind machbar. „Ja, schon, aber nicht mehr für mich“, zweifelte ich. Denn Luft war nun doch schon etwas raus. Am Bethaniendamm hatte ich mich wieder gefangen, und die Strecke zum Checkpoint Charlie lief sich gut weg. Ich sah noch eine der beiden vor mir liegenden Zweierstaffeln beim Verlassen des VP. Bis zur britischen Botschaft hatte ich sie eingeholt. Der Kollege war noch gut unterwegs. Mein Plan war, hinter dem Paul Löbe Haus an dem kleinen Anstieg zur Brücke das Tempo zu steigern. Es gelang mir bis zum letzten VP bei Helga Papenfuß das Tempo relativ hoch zu halten. Ich ließ es mir nicht nehmen auch mit ihr einige Worte zu wechseln.

Weiter ging es am Bundeswehrkrankenhaus vorbei in Richtung Ziel. Gut viereinhalb Kilometer lagen noch vor mir, aber die magische die 24-Stunden-Marke zu knacken, war mir trotzdem sicher. Als ich um die Ecke in die Gartenstraße einbog, sah ich in kurzer Entfernung einen Läufer vor mir. Wenn hier noch einer im hinteren Feld läuft dann liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Staffel handelt. Ran laufen war die Devise. Die rote Ampel an der Bernauer Straße verbietet es mir, weiter zu laufen. Warten. Dann auf zur Attacke an der leichten Steigung und hoffen, dass die nächste Ampel grünes Licht für den Endspurt gibt. Gemeinsam überquerten wir an der Ampel die Fußgängerquerung. Dann zog ich das Tempo an. Der Kollege zog mit. Verdammt, es sind jetzt nur noch anderthalb Kilometer. Ich versuche erneut minimal zu beschleunigen. Die Ampel steht auf Rot, perfekt, denn ich will die nächste Grünphase erwischen. Also nochmal. Die LG-Mauerweg-Kameraden Sonja und Tom kommen im schwarzen Wagen entgegen und feuern mich hupend an. Ich nähere mich der Kreuzung, die Ampel steht auf grün, schnell rüber, dann der kurze Blick zurück. Geschafft, die Ampel steht wieder auf rot – mein Konkurrent wartet geduldig.

Harald und Olaf im Ziel im Ludwig-Jahn-Sportpark. (Foto: Antje Rohrbeck)
Harald und Olaf im Ziel im Ludwig-Jahn-Sportpark. (Foto: Antje Rohrbeck)

Jetzt nur noch über die Soldiner Straße, die letzte Ampel, der Eingang vom Mauerpark, links um die Ecke, aufpassen, Straßenbahnschienen, Bordstein. Am Haupteingang steht das Sicherheitspersonal, einen guten Morgen wünschend. Am große Stadion vorbei , die Augen werden etwas feucht, vor dem Eingang zum kleinen Stadion sehe ich Olaf! Ich freu mich so, wir gehen gemeinsam auf Zielrunde im Stadion. Es geht schwer, aber die Euphorie überwiegt. Wir haben es geschafft und das in deutlich weniger als 24 Stunden. Wir waren beide nicht im optimalen körperlichen Zustand, zudem hat die Arbeit der letzten Wochen uns beide viel Kraft gekostet. Denn Olaf hatte als Verantwortlicher der Gesamtorganisation der 100Meilen alle Hände voll zu tun. All das ist jetzt egal, ich höre Alex, wie er uns im Station anmoderiert. Wir sind im Ziel. Mein Körper versagt augenblicklich den Dienst, ich knie mich vorsichtshalber hin. Antje und Silvia sind da, ich glaube Anna auch. Olaf holt dieses schöne Finishershirt, auf das ich schon so gefreut hatte. Der Rest war dann einfach toll.

Vielen Dank an Alle die dieses tolle Erlebniss wieder möglich gemacht haben!“

Text von Harald Reiff

Kommentar hinterlassen