Über ein Jahr hat Mauerwegläuferin Andrea Möhr für die Deutschen Meisterschaften über 24 Stunden in Gotha trainiert. Sie wollte es noch einmal wissen und in ihrer Altersklasse  „in der Nähe des Podestes stehen“. Das trieb sie abends, nachts, meist noch vor der Arbeit – manchmal 30 km – noch vor 3 Uhr, auf die Piste:

„Steffen hat mir die Trainingspläne erstellt und ich habe sie abgearbeitet. Woche für Woche, Tag für Tag. Aber ich war wohl nicht immer so handzahm, habe mehrmals versucht, meine Spaßeinheiten, wie den 100 km Mammutmarsch einfach hinzuzufügen. Meine Argumente, die bei Norbert gegen ein paar neue Laufschuhe gefruchtet hätten, punkteten nicht. Habe Steffen nicht nur einmal zur Weißglut gebracht.

So musste ich auf einige meiner traditionellen Läufe verzichten. Aber mit Balatonumrundung, die 6 h DM in Münster, Rennsteiglauf mit der ausgelassenen Stimmung im Festzelt, den Saar Hunsrück Ultra Trail mit zwei Etappen waren Höhepunkte in diesem Laufjahr. Aus dem Regenerationstraining heraus konnte ich dann eine Woche nach der 100 km DM in Storkow, aus Versehen Berlin-Brandenburgische Meisterschaften, die Olympische Distanz bestreiten.
Norbert trainierte für den Ironman, ich für Gotha, es gab Wochen, da haben wir uns wenig gesehen und quasi mit „Wer sind Sie?“ angesprochen.

Zwei Sitzungen bei meiner Heilpraktikerin Diana, die mich vier Wochen vor Gotha auf die Idee brachte, mal mehr zu essen (danke dafür) und mir eine gute Verfassung bescheinigte, mich antrieb, wieder in das Mentaltraining einzusteigen. Ich habe das Buch von Michele Ufer und den Laufkompass von Norbert Madry in meiner Handtasche herumgetragen und sie nicht nur getragen sondern verschlungen, habe mir ein Powerlied gesucht und es zigmal am Tag mit geschlossenen Augen gesungen. Den Text kann ich heute noch nicht fehlerfrei…

Noch eine professionelle Sportmassage in der Woche vor Gotha – war nun körperlich topfit – und mental so gut drauf, dass mich nichts erschüttern könnte.
Donnerstag früh wollten wir los, Norbert hatte Zahnweh und musste zum Zahnarzt. Na das fing ja gut an. Was geht noch schief?

In Gotha fragte uns die Vermieterin, als sie uns das Equipment ausräumen sah, ob wir bei ihr einziehen wollen. Das Auto war bis unter das Dach vollgepackt. Ich habe für jede eventuelle Krise ein oder sogar mehrere Gegenmaßnahmen und Selbstverpflegung für 48 h dabei gehabt. Und Klamotten hatte ich mit, einen ganzen Koffer voll. Ich hätte länger bleiben können.

Gleich nach dem Zimmerbezug ging es zu Fuß in den Schlosspark, Strecke anschauen. Norbert zauberte den Streckenplan aufs Handy und wir suchten die 2 km Runde. Dann sagte er: „Hier müsst ihr hoch“. Meine Reaktion: „Das kann nicht sein, du bist falsch, in der Ausschreibung steht FLACH und das ist nicht flach. Ich ließ mir doch nicht durch Norberts falsche Karte einreden und suchte weiter nach der versprochen flachen Strecke. Aber wir sind ja in Thüringen und hier gibt es kein FLACH…

Am Freitagmittag schnappten wir unseren Pavillon und suchten uns ein lauschiges Plätzchen gleich neben dem VP-Zelt. Für Sonja reservierten wir noch nebenan einen Platz für ihr Tischen, das Stühlchen und einen Frosch. Christine und Sigrid kamen mit in unseren Pavillon. Sonja und Detlef standen mit ihrem Wohnmobil weiter zurück im Park.

Samstag morgen hatten wir überraschend die Profis um uns herum. Das war besonders für Norbert toll. Wir hörten sie lautstark meckern über Strecke (Untergrund und 15 HM pro Runde) und zwei Transponder, die wir tragen mussten. Nun war es amtlich, es ging doch dort hinauf, Norbert hatte recht. Die 2 km lief ich nicht ab, mir reichte der Vorbericht von Chris.

Es ging wie eine acht im Park mit Begegnungsstellen, die den Lauf „aufpeppen“ würden. Unter den Torbögen hindurch, die erkannte ich vom Foto wieder, wechselndes Kopfsteinpflaster, Kanten und kurz aber recht steil bergab, in den Park mit lockerem Sandstein bergauf über einige Höhenmeter, über eine Bordsteinkante auf die Straße zur Mittelinsel über weiteres Kopfsteinpflaster – natürlich immer noch bergan – auf das nächste andere Kopfsteinpflaster über die zwei Zeitnahmematten unter einem Zieltor, vorbei am Ergebnismonitor und geradewegs durch das „Fresszelt“, vorbei am Frosch von Sonja , unserem Pavillon mit Norbert davor, der ungern Jemanden für länger Asyl gewährte und vorbei an den Profis, wieder die Rampe hinauf in die nächste Runde.

Startfoto, Start, alles setzt sich in Bewegung, Chris stiefelt ganz schön voran, Sonja und Sigrid walken. Ich laufe ohne Uhr und bin zu schnell. Das liegt aber nicht an der fehlenden Uhr…

Erste geplante Pause bei 30 km mit Schuhwechsel nach erster Minikrise, wie immer bei mir zu dieser frühen Zeit. MP3 aufs Ohr und weiter geht es. Jetzt nach 4 h bin ich genau im Zeitplan. Es wird dunkel und stürmisch, der vorausgesagte Regen mit 4 h Dauer kündigt sich an. Ich freue mich auf die kurze Pause und ziehe wie die meisten Läufer Regenklamotten an. Doch der Regen zieht am Schlosspark vorbei und die Rückabwicklung folgt. Wieder Zeitverlust, ich stecke hinter meinem Fahrplan. Es soll jetzt nicht mehr regnen, also habe ich die Regensachen umsonst mitgeschleppt. Es hätte ja mal wenigstens ein bisschen regnen können, dann hätte die Strecke auch nicht so gestaubt.
Chris rennt immer noch sehr engagiert, die beiden anderen Gelbhemden walken unermüdlich.

Nach ca. 12 h werde ich müde, habe die Augen mehr zu als offen und bin dabei, in die nächste Krise zu schlittern, weil mir klar ist, mein Ziel ist unerreichbar. Trotzdem geht es mir körperlich ganz gut, die Fußsohlen schmerzen nur ein wenig. Genau in diesem Augenblick erklärt mir Norbert, dass ich auf Platz 4 vorgelaufen bin. Die Müdigkeit ist in Millisekunden verflogen, die Füße wieder wie neu.

Ich bin wieder da und unsere Mädels sind jetzt müde. Norbert scheucht sie allesamt auf die Laufstrecke zurück, in seinem Pavillon würde Niemand schlafen. Später entschied sich Sonja, doch ihr Wohnmobil zu nutzen. Chris, die ihren ersten 24er läuft und Sigrid hörten auf Norbert, blieben auf der Strecke. Schließlich geht es um die Mannschaftswertung.

Ich hatte seit dem Start Gamaschen an und in der Nacht eine Stirnlampe dabei, die erleichterten mir den Lauf. Als ich so dahin lief sagt Norbert: „Ich komme mal ein Stück mit“ und flüstert mir ins Ohr, dass Jemand aufgehört hat, ich 10 km zulaufen muss und dann 3. bin. Jetzt hieß es, klug zu laufen, nichts zu riskieren, keinen Sturz wie es Silke Stutzke in einer der ersten Runden geschah, und später auch Sigrid. Ich war gewarnt.

Ich lief die 10 km zu und und war 3. Als dann Norbert irgendwann die gleichen Worte benutzte „Ich komme mal ein Stück mit“, wollte ich das nicht glauben. Es ist wieder Jemand raus, ich müsste 12 km zulaufen, dann bin ich 2. und war da schon den Tränen nahe. Die Endkilometer waren mir spätestens jetzt so wurscht, nach vorn ging nichts mehr, jetzt hieß es nur noch Platz 2 absichern. Die 3. kam nach einer Schlafpause zwischendurch noch näher, aber sie konnte den Rückstand nicht aufholen, im Gegenteil, habe ihn später noch ausbauen können. Norbert kam die letzten Minuten auf die Laufstrecke und freute sich wie Rumpelstilzchen, er hüpfte und tänzelte und erzählte allen, dass ich Vize bin. Ich bin mit 21 km Rückstand, aber mit 15 km Vorsprung und Vizemeisterin in der AK 50 geworden. Mit der Mannschaft haben Chris, Sigrid und ich den 3. Platz bei den „jungen“ Frauen und den 2. Platz bei den „alten'“ Frauen mit 388 km belegt.
Chris erlief sich 130 km, Sigrid 110 und Sonja 91 km.

Da ich so gut vorbereitet war und sich nach einigen Tagen die Wut über nur 148 km in mir ausbreitete, musste ich wieder einmal in neue Laufschuhe für Norbert als Supporterhonorar investieren und mir Bernau antun. Den Rest kennt ihr. Das war so ähnlich wie ich gegen den Rest der Welt.“

Text: Andrea Möhr
Fotos: Norbert Möhr

 

 

 

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