Trails faszinieren mich. Ich bewundere Läufer, die Berge mühelos hochrennen und Abhänge gemsengleich herunterfliegen. Das tue ich schon im Sommer, wenn die Pisten trocken und fest sind, und noch mehr im Winter, wenn selbige glatt und rutschig sind. Gleichwohl bin ich Welten davon entfernt, jemals die Hauptrolle im Läufermärchen „Trailwittchen und die sieben Berge“ zu bekommen. Mich würde man eher als „Humpelstilzchen“ buchen, oder – am wahrscheinlichsten – als „Rapurzel“. Was zum Henker hat mich also bewogen, mich zu Berts Taunus-Ultratrail anzumelden? Ach ja, Tom fand den vor zwei Jahren so toll. Und Sylke auch. Und ich dachte dann irgendwann auch, das sei doch mal eine klasse Idee…

Theorie und Praxis

Es gab schneefreie Strecken…

Zugegebenermaßen war die Idee ja auch gut: Die Atmosphäre rund um den Lauf ist locker und familiär, die wechselnden Strecken im Taunus sind schön-anspruchsvoll (in dieser Reihenfolge), und es gibt immer eine kürzere (diesmal: 51km, 1600HM) und eine längere (diesmal: 70km, 2000HM) Strecke und man muss sich erst morgens im Bus entscheiden, welche man laufen will. Bus? Ja – nach gemeinsamem Frühstück unter gleichgesinnten, gleichverrückten Ultra-Läufern fährt der Bus um 7.30 Uhr die maximal 50 Teilnehmer zu den beiden Startpunkten der Punkt-zu-Punkt-Strecke, gelaufen wird dann zurück zum Hotel, das diesmal in Kelkheim stand. Nach dem Lauf gibt es dann nach der wohlverdienten Dusche ein gemütliches Sit-In mit allen Teilnehmern.

Also, wie gesagt, die Idee war prinzipiell gut. Nun gab es aber in der Geschichte der Menschheit schon viele gute Ideen, die sich in der Praxis als problematisch erwiesen haben…

…aber auch völlig verschneite Passagen.

In diesem Fall war es meine mir bekannte Untauglichkeit als Gemse, die eine absolut ungünstige Verbindung mit meiner mangelhaften Ausrüstung einging. Wobei (zum ersten) die Ausrüstung eigentlich gut war (Rucksack, Regenjacke, Riegel…), nur hatte ich keine Trailschuhe mit.

Wobei (wiederum), ich prinzipiell schon welche mit hatte, bloß waren die schon über fünf Jahre alt und mittlerweile so abgelaufen, dass das Profil nur mehr sporadisch vorhanden war.

Das war im Sommer (zuletzt Thüringen Ultra) kein Problem gewesen. Beim Taunus-Ultra erweist es sich aber nun schon auf den ersten Kilometern als geradezu gefährlich…

Fallgefahr beim ersten Hauch von Frost
Ein Hauch von Frost auf dem Asphalt und ich laufe Gefahr, mich auf die Nase zu legen. Eine auf 1,20 Meter Länge gefrorene Pfütze an einer Schräge hätte ich bäuchlings überqueren müssen, wenn Tom mich nicht `rübergezogen hätte. Danke, Schatz. Keine Frage, dass ich mir dabei trotzdem wie der letzte Idiot vorkomme. Zum Glück sind ja alle anderen schon vor uns (außer der „Langläufer-Gruppe“, die früher aus dem Bus gestiegen und deswegen 20 Kilometer hinter uns sind. Oder auch nur noch 15…).

Über den Tag gerettet – und mit dem Leben bezahlt – haben mich meine YakTrax. Genau, das sind diese Schneeketten für Laufschuhe, die man auf jeden Fall nur, ja genau, auf Schnee (und Eis) nutzen darf. Alles andere schreddert sie – früher oder später.

Nichtsahnend frohgemut mit Tom morgens am Start.

Dennoch beschließe ich, kaum dass wir einen Waldweg erreichen, dass es besser ist, geschredderte YakTrax zu riskieren als Knochenbrüche. Denn haltmäßig ist in den Laufschuhen allein einfach nichts (mehr) zu wollen. Es gibt zwar komplett frostfreie Passagen, aber auch immer wieder Stellen, an denen ich unverhofft schliddere, gerade so, als hätte ich Ballerinas an.

Das Gefühl mit den YakTrax drunter ist dagegen großartig: endlich angstfrei laufen können – wow! Okay, die Füße recht schwer mit den Dingern, aber who cares. Okay, Tom beschwert sich natürlich, dass ich mit angezogener Handbremse laufe… aber schonmal versucht, mit Schneeketten die Formel 1 zu gewinnen? Na also! (Gut, ich würde die Formel 1 respektive einen Ultra-Trail auch ohne Schneeketten niemals gewinnen, aber… so vom Prinzip).

Wunderschöne Winterlandschaft
Kurz vor unserem VP1 (wir hatten insgesamt zwei, die andere Gruppe drei) zubbele ich die Yaktrax wieder ab, da es hier absehbar bergab direkt auf einer frostfreien Straße entlang geht. Bert und eine Helferin, die uns hier erwarten, wundern sich, dass ich meine YakTrax in der Hand spazieren trage: „Die brauchst du doch erst ab Schneegrenze auf dem Feldberg.“ Ich kläre sie über mein Dilemma auf und bekomme sogleich Trailschuhe angeboten. Nach Bekanntgabe meiner Schuhgröße gab sie aber zu bedenken: „Da müsstest du ziemlich viel von deinen Zehen abschneiden…“. Wir beschließen einvernehmlich: dann doch lieber nicht.

Weiter geht es, sobald es wieder rutschig wird, die YakTrax wieder an. Eine Drahtspirale hat sich bereits gelöst. Oje… Doch Ablenkung naht, es folgt der schneereiche, schönste Teil der Strecke: hinauf auf den Feldberg, wo reichlich Schnee liegt. Hier finden wir die wunderschönste Winterlandschaft vor. Gestört wird die Idylle nur bisweilen durch uns entgegen rodelnde Kinder und vorbeihastende Mountainbikefahrer. Aber es gibt auch viele verlassen-idyllische Abschnitte.

Das sanfte Knirschen von frischem Schnee
„Hey, dieses Geräusch habe ich lange nicht mehr gehört“, sage ich begeistert zu Tom. Er auch nicht – nämlich das sanfte Knirschen von fluffigem Schnee unter unseren Sohlen. In Berlin ist der Schnee, so überhaupt vorhanden, ja immer dermaßen wasserhaltig, dass es beim Reintreten platscht und nicht knirscht.

Hier müssen Minusgrade herrschen, und doch… Es kann nicht kalt sein, wenn der nicht mal Handschuhe anhat…

Hier dagegen dominiert das Weiß: Sogar der für nachmittags angekündigte stärkere Regen kommt – selbst in tieferen Lagen – vornehmlich in kleinen, frischen Flöckchen herunter, die an unserer Laufkleidung dezent abperlen, so dass uns beim Laufen gar nicht kalt wird, Tom hat nicht mal Handschuhe an.

Zwischendurch bewundern wir auf diesem Abschnitt die ersten beiden Läufer der 70-km-Gruppe, die in Abstand an uns „vorbeifliegen“, und also ihren mittlerweile 20-Kilometer-Rückstand gut gemacht haben. Bei denen sieht es gar nicht so aus, als ob Laufen durch Schnee anstrengend ist. Ja, finde ich schon toll, wenn man das so kann. Ich kann es leider nicht. Zumindest die steileren Anstiege müssen wir fast immer gehen, keine Chance.

VP am Friedhof…
Nach dem Abstieg vom Feldberg passieren wir unseren letzten VP, siebzehneinhalb Kilometer vor dem Ziel. Zum Glück wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dies der – für uns – fieseste Teil werden wird – aber möglicherweise sollte es einem zu denken geben, wenn ein VP die Beschreibung „Depot am Eingang zum Friedhof“ trägt…

Also noch 17,5 Kilometer. Der Straßenbelag wechselt immer wieder von Schneeketten-tauglich zu -untauglich und umgekehrt. Beim entsprechend unvermeidlichen An-/Ausziehen der Yaktrax frieren meine Hände immer mehr ein, zudem kann ich dem Verfall meiner Lebensretter zusehen: Die Drahtspiralen platzten zunehmend ab und stehen quer vom Schuh ab, statt unter ihm für Halt zu sorgen.

Komplett zerschreddert hat es den rechten YakTrax. Der linke war arg lädiert, rettete mich aber brav bis zur Ziellinie.

Irgendwann ist der rechte YakTrax total im Eimer, so dass ich zwar mit dem linken Fuß schön Halt habe, aber mit dem rechten Fuß dauernd rutsche. Ein definitiv unniges Laufgefühl (nämlich un-gleichmäßig, un-entspannt und un-endlich nervig). Zum Glück kümmert sich Tom darum, dass wir auf dem Track bleiben, so dass ich mich nicht darauf konzentrieren muss, nur irgendwie Tom im Auge behalten. Natürlich rennen wir trotzdem immer mal wieder an einer Abzweigung vorbei, denn selbstredend hatte Bert nicht durchgehend breiteste Wege für uns im Programm, sondern gerne auch mal einen Single-Trail, der nicht auf den ersten Blick als Weg zu erkennen ist.

Ab durch die Büsche
An einer Stelle müssen wir auch eine unpassierbar gewordene Stelle umlaufen und schlagen uns – erst über eine Wiese, ein paar kleine Abhänge herunter und schließlich durch ein paar Büsche – wieder zum Track durch. Hier müssen wir nicht auf unsere Uhren schauen, um zu wissen, dass wir wieder auf dem Track sind: Denn während wir aus dem einen Busch kriechen, kommen links von uns zwei weitere Läufer der schnellen Gruppe aus einem anderen heraus – die hatten das Hindernis wohl andersrum umlaufen.

Hört das denn nie auf? Selbst auf der Zielgeraden jagte ein Anstieg den nächsten…

Ich hoffe so sehr, bald aus dem Wald heraus zu sein, denn es ist weit nach 16 Uhr und es wird zunehmend dämmeriger. (In Berlin wäre es schon komplett duster). Aber damit ist nix: Stattdessen tut sich kaum zwei Kilometer vor dem Ziel noch ein langer, steiler Anstieg vor uns auf, den ich gefühlt einfüßig erklimme. Ich brülle und fluche, doch das beeindruckt weder Tom noch den Anstieg. Erster wird nicht langsamer und letzterer nicht flacher. Meine Güte, ich habe dermaßen keine Lust mehr! Und plötzlich zeigt meine Uhr ein Fähnchen und huch, direkt vor uns ist das Waldhotel. Wir retten uns hinein und werden vom Portier angeknurrt: „Schuhe ausziehen! Und draußen deponieren!“ Im Ernst?!

Tatsächlich, dort draußen stehen bereits diverse Paare. Ich ziehe draußen vor der Tür, Tom drinnen hinter der Tür die klammen Schuhe aus. Ganz schön kalt hier. Wie lange braucht der Kerl denn bloß? Als ich schließlich einen Blick hinter die Tür werfe, sehe ich Tom bereits am Ende des Flurs in den Gemeinschaftsraum entschwinden, Schuhe in der Hand, wo er mit Applaus empfangen wird… Also wieder nix mit gemeinsamen Zieleinlauf, grrr! Ob ich das nochmal erleben darf…?

Fazit zu meinem ersten Winter-Ultra:

    • Lieber Bert, liebe Jessyca, das habt Ihr wirklich toll organisiert. Spannende Strecke, tolle Helfer & Mitläufer, nettes „Drumrum“.  Und mit der richtigen Ausrüstung macht der Lauf wahrscheinlich sogar richtig Spaß.
    • Lieber Tom, niemals eine völlig erledigte Frau (schon gar nicht die eigene) vor lauter Finisher-Euphorie auf den letzten Metern vor der Tür stehen lassen. Und wenn du es doch tun solltest: Sie niemals dann als Erstes drinnen begeistert fragen, ob sie nicht sowas unbedingt nochmal machen will. Und wenn du es doch tun solltest: Dich nicht wundern, dass du ein entnervtes: „Nein, ganz bestimmt nicht!“ entgegen geballert kriegst. Und das auch noch Stunden später. Aus Prinzip.

  • Liebe Sylke, ich warte gespannt auf deinen Laufbericht, in dem du erläuterst, warum Mülltüten für dich beim Taunus-Ultra so eine zentrale Bedeutung haben und was sie sowohl mit VPs nach Cut-off als auch mit Lutz Füßen zu tun haben.
  • Lieber Kollege Tobi, nein, da steht nicht „Always Ultra“ auf meiner neuen Mütze, das ist mein hart erkämpftes Finisher-Geschenk! War klar, dass das alle anderen am Montag im Büro total lustig fanden. Schon okay. Zur Strafe hab dich mit drei Bürokollegen und mir jetzt zur 5x5km-Teamstaffel im Tiergarten angemeldet.

Text: Sonja Schmitt
Fotos: Sonja Schmitt, Tom Schmitt

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