Der Deutschlandlauf von Sylt zur Zugspitze ist mit seinen 1.300 Kilometern und 19 Etappen eine ganz besondere Herausforderung. Mauerwegläuferin Cornelia Rohwedder hat sie auf sich genommen und erfolgreich gemeistert. Sie hat ihre Erfahrungen und Erlebnisse notiert:
„Vor etwa zwei Jahren war Oliver Witzke der Meinung, dass es mal wieder einen Deutschlandlauf geben müsste. Er war bereit, eine Strecke vom nördlichsten Punkt auf den höchsten Punkt zu organisieren. Soweit so gut, ist ja noch lange hin … Sollte ich das versuchen?
Reizvoll in jedem Fall, zumal ich an beiden Punkten noch nie war. Auch andere Etappenläufe hatte ich schon im Auge, zu denen es aus unterschiedlichen Gründen (noch) nicht geklappt hat. Dazu hatte Karl dann noch die Idee wenn wir einmal im Süden sind, könnten wir gleich mit Sara und Joachim Kortyka und Micha Kiene endlich mal zum Gondo-Event, weil die Anreise von Garmisch ja praktisch um die Ecke ist. Das dem gar nicht so war, merkte ich aber erst am Freitag auf der Fahrt dorthin. Von wegen „um die Ecke“. Ich hatte keinen Schimmer, dass Gondo im Kanton Wallis und an der italienischen Grenze liegt. Hätte ich mal vorher gucken sollen!
Bevor ich lange, und vielleicht doch anders, überlege, also flink und noch ganz mutig angemeldet, nicht dass es kein Startplatz mehr gibt, so wie bei den 100MeilenBerlin. So schnell kann keiner gucken, sind die weg. Anzahlung sofort überwiesen, sicher ist sicher, die weiteren Raten als Dauerbuchung eingestellt und dann „verdrängt“. Ist ja noch viel Zeit bis 2017.
Das Jahr kam näher, unterdessen auch mit Oliver persönlich gesprochen und nachgefragt, wie man sich denn am besten auf so einen Lauf vorbereitet. Die Antwort war nicht die, die ich erwartet hatte. Oliver sagte nur: „Das kann ich euch nicht sagen, wie man sich vorbereitet auf sowas.“ Hilfe, was mache ich jetzt? Was hab ich bis hierher „vorzuweisen“? Etappenläufe kannte ich, aber der längste war sieben Tage beim MUM, dem Moravský Ultramaraton in Tschechien und das ist jeweils „nur“ Marathon, und wir sind immer am selben Ort, brauchen also nie unser Zeug zusammen und wieder aus einander fummeln. Die Starts dort sind entspannt um 14 Uhr für uns Hirsche und 15 Uhr für die schnelleren Hirsche.
Beim Deutschlandlauf wird nun alles ganz anders sein. Es gibt Etappen über 90 km mit Start um 5 Uhr für mich und das nicht nur einmal. Alle Etappen ab 80 km sollten 5 Uhr starten. Langsam wurde ich unruhig, aber da ja auch der Kopf eine große Rolle spielen soll (habe ich gelesen) verlief meine Vorbereitung hauptsächlich auf mentaler Ebene.
Die E-Mails von Oliver kamen mit für mich immer neuen Hiobsbotschaften, wie zum Beispiel: „Jetzt ist eure stärkste Trainings- und Belastungsphase“, „jetzt fahrt zurück und gönnt euch Erholung“ oder „wenn ich lese was der eine oder andere in der Vorbereitung macht, wird mir ganz anders …“
Und nun ich: „Hilfe, von welcher Belastungsphase sollte ich zurückfahren?“ Ich hatte keine. Ich sollte wohl besser gar nicht erst antreten, um eine Blamage zu umgehen? Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Ich hatte persönlich niemanden von meinen Urlaubsplänen erzählt, weil ich nicht einschätzen konnte, ob es mir wirklich gelingen wird, die 1.300 Kilometer lange Strecke von Sylt bis zur Zugspitze zu bewältigen mit allen Umständen die so ein Mehrtageslauf mit sich bringt und vor allem: mit dieser „Vorbereitung“.
Start auf Sylt: Immer den rosa Pfeilen folgen
Und dann war es soweit. Samstag, 15. Juli 2017, Anreise nach Husum, dort Briefing und alles was dazu gehört. Ziemlich stolz nahm ich meine richtig schöne Wunsch-Startnummer 19 auf schwarz-rot-gelbem Grund in Empfang und befestigte sie sicher am Laufrucksack. Kneifen ging jetzt nicht mehr. Ich habe es so gewollt. Der Sonntag war noch entspannt, weil die Bahn auf unserer Seite war und wir wegen „Mittagsruhe“ auf der Insel so kurze Wartezeit wie möglich haben sollten. Den Hindenburgdamm durften wir nicht belaufen zum Festland und so waren wir auf den Zug angewiesen. Die Insel gab schon mal nicht ihr bestes und begrüßte uns mit Regen und Nebel, schade. Der Start sollte 9 Uhr am Ellenbogen sein. Da stand ich nun, mehr oder weniger regenfest mit anderen Verrückten. Neben solchen Läufern, die bereits gezeigt haben, dass sie so etwas schaffen, wie Henry Wehder, Günter Naab, Holger Hedelt, Robert Wimmer, Heike Pawzik, Wilma Dierx, um nur einige zu nennen. Nun wollte ich es auch wissen, und mir kleines Licht war ziemlich mulmig. Oliver sprang tatsächlich in die Nordsee. Dann ging es auch los für uns. Erst über den Strand und dann immer den rosa Pfeilen nach, wenn sie denn noch zu sehen waren und nicht vom Regen weggespült waren. Die vom Regen weg gewischten Pfeile sollten uns auch die nächsten Tage noch zu schaffen machen, so dass ich mich immer an jemand mit GPS gehalten habe. Die ersten Tage war das mein Karl. Dann hatte ich wegen dauerhaft patschnasser Füße endlich auch Blasen darunter und ziemlich zu tun, nach dem Warten an den Verpflegungspunkten wieder halbwegs „läuferisch“ in die Gänge zu kommen. Ich habe dann entschieden und abgesprochen, dass ich nicht mehr warten werde, weil das für meine Fußballen nicht förderlich ist. Nun war ich viel allein unterwegs und konnte so meinen Trott laufen, wie ich es mag. Mit Menschen an der Strecke sprechen, Landschaft bewundern, Tiere streicheln, Obst naschen. Natürlich hab ich mich auch verlaufen. Das gehört bei mir einfach dazu. Das schaffe ich sogar auf dem Mauerweg, obwohl ich selbst markiert habe und den Weg eigentlich im Schlaf laufen kann. Wenn der Sternenhimmel aber doch so schön ist.
Ich fand es sehr interessant wie sich die Strecke vom Norden in den Süden verändert hat. Die ersten Etappen waren für mich auch deshalb sehr beruhigend, weil wir meist auf oder an der Straße gelaufen sind und unsere Fahrzeuge von den VP und den Begleitern uns immer wieder überholt haben. Ich fühlte mich nie allein, immer aufgehoben und wohlwollend begleitet. Das gab mir viel Kraft und Selbstvertrauen. Selbst das französische Auto – immer gut zu erkennen – war immer darauf bedacht, alle Schäfchen im Auge zu behalten. Das klappt auch prima mit Händen und Füßen, wo die Sprache fehlt. Alex Swenson aus Amerika habe ich am VP auch immer bequatscht ohne zu wissen, dass er mich gar nicht versteht. Ich hab mich zwar gewundert, dass er gar nicht antwortet, nur entsetzt guckt, aber ich dachte, das liegt an meiner Aussprache.
Der Franzose Fabrice Viaud hatte noch mehr als ich mit seinen Fußballen Probleme. Er war insofern mein „Vorbild“, dass ich mir sagte, wenn mit den Verletzungen laufen noch möglich ist, dann schaffe mich das mit meinen Fußballen auch. Auf jeden Fall werde ich weiter laufen, solange das möglich ist. Wenn jemand in der Halle eine Kamera aufgestellt hätte … So wie viele von uns herum gestakt sind, hätte wohl niemand geglaubt, dass die Mehrheit am Morgen wieder losrennt.
Laufen ging besser als gehen, bei mir jedenfalls. Ich konnte auch immer wieder nur staunen. Hätte mir das einer erzählt, ich hätte es nicht geglaubt. Großen Dank geht in Bezug auf meine Füße ganz klar an Patrick Graf, mein persönlicher Profi-Blasenpfleger. Seine Hilfe war für mich ein Segen.
Auch die beiden Österreicher, Angelika und Klemenz, beide Physiotherapeuten, waren nach ihren Lauftagen für uns ansprechbar und haben sich um unsere Wehwehchen gekümmert. Sie waren eines der Zweierteams auf der Strecke und echt schnell unterwegs. Wenn so viele Menschen ihre Zeit für uns geben, war aufgeben nur im Notfall eine Option. Den Notfall gab es zum Glück für mich nicht. Lag es daran, dass ich wirklich meins gelaufen bin? Dass gehen keine Schande ist, wenn es nicht gut läuft? Dass ich mich an Landschaften erfreut habe, wenn sie einfach schön waren? Dass ich mich immer bei den Helfern bedankt habe habe? Dass Eisdielen Zwischenziele waren? Dass mich die Sprüche auf der Strecke motiviert haben? Dass wir immer wieder Menschen Bauklötze haben staunen sehen, wenn wir erzählt haben, was wir tun?
Zwei Tiefpunkte
An zwei Tagen hatte ich kleine Tiefs. Einmal, auf der 10. Etappe, als wir das erste Quartier am Rheinufer hatten in der Grundschule Bornheim-Hersel, da hat mich mein Karl ertragen müssen mit meinem Gejammere, dass es nicht vorwärts geht. Der Rhein ist aber auch lang und es hat viel geregnet. Dann am Samstag, auf der 14. Etappe, nach Lichtenwald konnte ich den Mathias Becker, Startnummer 34, vollsingen, dass ich das Gefühl habe, wir werden nie ankommen. Geduldig wie ein Schaukelpferd versuchte er mir zu erklären, warum es ganz normal ist, dass wir gefühlt ewig brauchen. Es war eine sehr lange Etappe, knalle heiß. Die letzten zehn Kilometer gingen nur bergauf. Mathias ist schon zweimal Deutschlandlauf erfolgreich gelaufen und sagte mir, dass ihm das aber auch jetzt und hier gar nix nutzt. Jedes Mal ist wieder neu und ganz von vorne in Angriff zu nehmen. Am vorletzten VP in der Weinstadt stand doch tatsächlich der KLaus Keule Neumann aus Stuttgart im Comrades-Shirt unübersehbar! Was hab ich mich gefreut! Ich konnte dann auch noch bergauf laufen. Das ist Motivationsschub, oder?
So Motivationsschübe können es auch nur gewesen sein, bei den Läufern, die kaum in die Nähe der Heimat gelaufen, wie beflügelt von dannen uneinholbar mir entwischten. Ich fand auch schön durch die Städte zu laufen, wie Hamburg, Dortmund, Köln, Wuppertal, Memmingen, Füssen, Kempten. Wuppertal ist so bergig. Das gibt stramme Waden. Das Allgäu fand ich besonders reizvoll, diese satt grünen Wiesen mit den Kühen, Schafen und Ziegen. Alle haben Glocken um den Hals und viele ließen sich streicheln.
Auf der vorletzten Etappe, von Füssen nach Garmisch, glaube ich, standen kurz vor dem 3. VP tatsächlich Kühe im Wald! Unter Tannenbäumen!
Und nun?
Es ist vollbracht, ich habe es geschafft und ich bin tatsächlich an 19 Tagen, zwar nicht auf dem kürzesten Weg, aber doch über 1.325 km mit 14.053 Höhenmeter rauf und 11.057 Höhenmeter wieder runter durch unser Land gelaufen. Bei mir im Kopf ist es noch nicht angekommen. Das wird noch etwas dauern. Da ich aber von so vielen lieben Mitmenschen darauf angesprochen wurde, muss es wohl stimmen. Viele haben den Verlauf im Internet verfolgt und ich dachte niemals, dass ich durch diese Teilnahme so viel Lob bekomme.
Vielen Dank an alle Beteiligten, die bereit waren ihre Freizeit, ihren Urlaub für uns zu nehmen, um dieses Abenteuer Wirklichkeit werden zu lassen. Sie haben uns und unsere Launen klaglos und immer wieder an allen 19 Tagen ertragen. Das ist allein durch Worte nicht zu würdigen. Danke auch an alle, die die Daumen dafür gedrückt und daran geglaubt haben, dass auch ein unbeschriebenes Blatt, wie meine Wenigkeit, so eine Herausforderung schaffen kann. Besonders bewegt haben mich die Menschen, die plötzlich wie aus dem Nichts an der Strecke standen und alle guten Wünsche mit auf den Weg gaben, wie Daniela und Björn Gnojke, Roland Riedel, Günter Meinhold, der speziell auch für Beate mentale Unterstützung war, KLaus Keule Neumann, Werner als Streckenposten für die befahrene Straße, die „Eltern“ (welche sie nicht sind, wie ich jetzt weiß) von Uwe, Tanja Niedick und ihr Mann, Rolf Schürmann… Ich hoffe, ich habe niemanden vergessen.“
Text von Cornelia Rohwedder