Meine Teilnahme an dem Mauerweglauf 2018 war schon im September 2017 klar. Die Bestellung der Medaillen, Startnummern, Beutel und Dropbags lag in meiner Verantwortung. Auch bei der Startnummernausgabe am Freitag wollte ich dabei sein. Aber der läuferische Einsatz war nicht so klar.
Strecken- und Teamsuche
Einem Aufruf von Maxi Dorgathen in der Laufcommunity BERLIN RUNNERS folgend habe ich eigentlich aus Spaß und ohne auf Aussicht Resonanz einen Einsatz in einer Zweierstaffel öffentlich in Erwägung erzogen. Sehr schnell meldete sich doch jemand auf den Post – meine Vereinskameradin Chrissi Radatz. Bäääm – und schon war aus Spaß Ernst geworden. Chrissi hatte 2017 den Mauerweglauf allein in Angriff genommen, war aber aufgrund von Fehlplanung bei der Wechselsachendeponierung nicht im Ziel angekommen. Diese tolle Läuferin wollte mit mir das Abenteuer 100 Meilen rocken? DEAL! Wir waren ein Team. Blieb nur noch die Frage der Streckenaufteilung oder wie sich ein Zweier-Team 2018 tatsächlich nannte „Langstrecke vs. Kurzstrecke“. Wenn dann wollte ich es nun richtig wissen und wählte die Langstrecke von 91km und Chrissi freute sich über ihren 70km, der wohl größtenteils nachts gelaufen werden würde. Der Teamname ergab sich aus unserer Staffeldate-Gruppe – Berlin Runners.
91 Kilometer, was hatte ich mir da nur vorgenommen? Mein bis dato längster Nonstop-Lauf war 2016 mit damals noch 72,7km der Rennsteig Supermarathon gewesen. Aber 91km sind fast 100km, da musste eine angemessene Vorbereitung her, die sich dann allmählich in die Richtung tendierte. Diese bestand für mich u.a. aus den vier Ultra-Etappen der Balatonumrundung im März und dem 6-Stundentraining bis Juni. Es folgte die spontane Idee, den ersten 100er nicht erst nach dem Mauerweglauf zu probieren, wenn ich weiß, was 91 km bedeuten, sondern eben schon vorher. Ich ergriff die Chance, bei den 29 Stunden von Zehdenick. Das Ergebnis waren 91km in 13:40 Stunden mit einigen ausgedehnten Pausen, denen noch sowohl einige Kilometer und Pausen folgten. Gut, das sollte doch dann auch für Mitte August ausreichen. Ende Juli noch einen lockern 50km-Lauf und sonst eher kurze Läufe, um dann gut ausgeruht an dem Wochenende des Jahres starten zu können. Mein Ziel war es nach 13 Stunden in Sacrow zu sein, um Chrissi auf ihre Kurzstrecke zu schicken.
Das Wochenende beginnt
Die Einstimmung auf das Laufwochenende begann mir dieses Jahr schon am Mittwoch, als ich beim Beutelpacken und der Startunterlagenzusammenstellung mithalf. In einem tollen Team aus Teilnehmern und Mitläufern schmiedete ich auch mit Chrissi Wochenendpläne. Mit ihr vereinbarte ich meine Meldezyklen, damit sie sich ungefähr auf meine Ankunft einstellen konnte. Die Vorfreude wuchs und konnte am Freitag in vollem Maße mit ganz vielen Läufern geteilt werden. Die Startnummernausgabe ist ein schönes Zusammenkommen so vieler Laufbekanntschaften. Bis 15:00 Uhr blieb es mit fast nur Einzelläufern noch überschaubar und es gab Zeit für Plausch und Fotos, aber dann waren wir als Team bis 19:00 Uhr voll gefordert. Christiane Krüger hat alles toll koordiniert und es war mir eine große Freude mit den ganzen anderen Teammitgliedern, wie Helga, Norbert, Chrissi, Jörn usw. diese intensiven und schönen Stunden zu genießen. Am Ende konnten wir wohl alle Startende glücklich machen. Mit diesem Gefühl und auch der eigenen Startnummern ging es nach der Pastaparty schnell nach Hause.
Immerhin musste ich meine Dropbags für die Wechselpunkte noch packen. Regnen sollte es nicht, aber was ist sonst sinnvoll und passt vor allem in die Beutel? Bei meinen bisherigen 100 Meilen-Einsätzen als 4er-Staffelläufer brauchte ich immer nur einen. Aus der Erfahrung von Zehdenick packte ich mir für Teltow nach 59 km eine komplette Laufgarnitur inkl. Socken und Schuhe und für Sacrow kurze und lange Wechselsachen ein, wann immer ich auch dort ankommen sollte. Die Nachtausrüstung mit Lampe und Weste wollte ich erst in Teltow mitnehmen. Gefühlte zwei Stunden habe ich fürs Packen gebraucht. Etwas durch den Wind durch einen anstrengenden Tag ist mir das Einschlafen natürlich wieder nicht leicht gefallen. Hatte ich an alles gedacht, wache ich rechtzeitig auf, wie bin ich körperlich drauf…?
Geistig war ich es wohl nicht mehr, denn mein Wecker klingelte am Samstag pünktlich 5:30 Uhr. Waaas… 5:30 Uhr? Ja in der Tat hatte ich, warum auch immer, den Wecker auf diese Zeit gestellt. Um den Start wie in all den Vorjahren der Einzelläufer zu erleben, war das natürlich zu spät. Also erstmals die Tradition gebrochen, wo ich doch so gerne mit den mir (un-)bekannten Einzelläufern die letzten Minuten vor dem Start mitfiebere und Glück wünsche. Ich benötige selbst einige mich zu Hause zu präparieren mit Tapes an den Füßen, eincremen, anziehen. Ich war in guter Gesellschaft, auch Chrissi schaffte es nicht wie verabredet zum Einzelstart. Nachdem ich alles in Ruhe erledigt und die letzten Dinge in den Beuteln untergebracht hatte, fühlte ich mich bereit.
Bei meiner Ankunft waren schon viele bekannte Staffelläufer und Stadion-Volunteers da und die Begrüßungen hätten einige Zeit in Anspruch genommen. Bis 6:30 Uhr mussten die Dropbags für den Transport abgeben werden. Also das zuerst erledigt, dann gaaanz groooße Begrüßungsrunde und frühstücken. Es war wieder alles geboten, von Obst über zig verschiedene belegte Brötchen und sogar gekochte Eier. Frühstück- und Läuferherz, was willst du mehr? Gut gestärkt ging es Richtung Startlinie. Die Zeit verging schnell mit noch ein paar Fotos und Gesprächen. Die Uhr war eingestellt, auf der ich mir auch die Strecke geladen hatte. 90,4km bis Sacrow lautete die Anzeige vor dem Start – na toll sind gar keine 91km. Allerdings fehlten die 375Meter der Stadionrunde, die wir zu Beginn zu absolvieren hatten.
Die 91km beginnen
Dann ging es los – Seite an Seite mit Mario Hein, der ebenfalls Ersttäter über mehr als die Hälfte des Mauerweglaufes war. Ich überquerte als Erster die Startlinie, aber noch im Stadion zog fast das gesamte Staffelfeld an uns vorbei. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als wir auf der Gegengerade waren. Kalt war mir nicht, es war ein wohliges Gefühl der Vorfreude auf das Laufen. Im Tross ging es die Bernauer Straße entlang und die Ampelstopps wurden einfach für Selfies und Fotos genutzt. Bis zum ersten Verpflegungspunkt (VP) nach 8km war das Feld so auseinander gezogen worden. Wenn wir liefen dann in 6:30min/km, was deutlich unter meinen geplanten 7 lag. Wenn ich schon mal durch das ASISI PANORAMA BERLIN laufen darf, halte ich auch kurze inne. Zum Laufen war im Laufe des Tages noch genug Zeit.
Weiter ging es dann durch Kreuzberg, Treptow und Neukölln. Es hatte sich ein fünfköpfiges Grüppchen gebildet. Neben Mario waren noch Michael Eder und zwei Läuferinnen dabei. Das Tempo harmonierte gut bis wir gemeinsam zum diesjährigen Gedenkort nach 19km gelangten. An dem Denkmal für den zehnjährigen Jörg Hartmann, der vor 52 Jahren dort erschossen wurde, hatten schon viele Läufe Spielzeug abgelegt, das nach dem Lauf einem gemeinnützigen Zweck übergeben wurde. Ein paar Minuten nahmen wir uns fürs Innehalten. Die Eindrücke bewegten uns bis zum nächsten VP. Dort gab es erstmals Melone und nach gut zwei Stunden mit knapp 20km in den Beinen machte die erste Salzaufnahme auch Sinn.
Die klimatischen Laufbedingungen waren hervorragend bei etwas mehr 20 Grad und immer mal Windlüftchen. Trainiert hatte ich die letzten Wochen immer bei deutlichen höheren Temperaturen, um auf alles vorbereitet zu sein. Die lange Teltowkanal-Passage lief ich dann mittlerweile nur noch mit Michael, der zum ersten Mal überhaupt bei den 100Meilen teilnahm, aber das gleiche Ziel hatte wie ich – Sacrow. Bis dahin würden wir uns viel zu erzählen haben, wenn wir es schafften zusammenzubleiben. Bis Teltow wollten wir es erst mal versuchen. Dazu gehörte das Erklimmen der des „Dörferblickes“ bei 34km. Einigen war wir uns schon vor dem Anstieg, dass wir die Oberschenkel schon etwas merkten. Wir waren immerhin schon vier Stunden unterwegs. Gehend nahmen wir die 40 Höhenmeter in Angriff. Oben angekommen wurden wir vom Streckenposten Katrin Birke empfangen, einer mir schon langen bekannten lieben Läuferin. Eine Umarmung von ihr und die guten Wünschen nahm ich dankend an. Dann wurde die Gipfelbesteigung nach fotografisch festgehalten und ging es die Treppen runter weiter.
Unterwegs nach Teltow
Die Pause tat uns gut, denn die Beinprobleme waren weg und wir guter Dinge auf dem Weg nach zum VP6 in Buckow bei km39. Wie bereits zuvor ließ ich dort wieder meiner Flasche auffüllen, denn auch zwischen den VPs, die bisher bis zu 8km auseinander lagen, kam immer wieder das Bedürfnis etwas zu trinken. Dieses Mal ließ ich mir die Distanz zum nächsten VP von einem Helfer zurufen, da ich erstmalig nicht selbst auf das aufgestellte Schild geachtet hatte. Also würden wir nach 44km schon beim VP Ninas Eltern sein. Ein erstes VP-Highlight würde uns dort erwarten und ich schwärmte Michael auf dem Weg dorthin davon, was ich im Vorjahr alles dort bekam, als ich in umgekehrter Richtung nachts unterwegs war.
Ich wusste, dass durch Streckenänderungen die Position des VPs etwas verschoben wurde. Aber nach den 5km waren noch kein VP zu sehen dafür die Überquerung des Kirchhainer Damms. Schon von der anderen Seite erregte ein Schriftzug meine Aufmerksamkeit, den ich versuchte zu entziffern. Die beiden stehenden Poller links und rechts nahm ich quatschenderweise wahr, die Bodenbefestigung des dritten fehlenden leider nicht. Ich kam ins Stolpern und sah mich schon mit aufgeschürften Knien und Handflächen auf dem Boden liegen. Mein rettender Engel hieß Michael, der etwas versetzt rechts vor mir lief und an dem ich mich festhalten könnte. Puuuh das war knapp. Alle folgenden Poller wurden mir nun ab sofort angekündigt. Den Spott ertrug ich gerne, aber ein Sturz hätte auch das sofortige Ende bedeuten können. Bleib wachsam und konzentriert und du hast noch etwas vor und zwar noch mehr 46km. Das rechte Sprunggelenk merkte ich zunächst etwas. Viel schlimmer fand ich die Ungewissheit, wann denn der VP 7 tatsächlich kam. Einerseits ärgerte ich mich über den Helfer, aber andererseits viel mehr über mich, dass ich nicht selbst die 10 Meter zurückgelaufen bin, um sicher zu gehen.
Nach 7,5km statt 5km war es dann so weit. Nicht nur die Leiden der letzten Kilometer sondern die gesamten 46,5km waren es wert gelaufen zu werden. Warum? Ich sage nur Wassereis, Würstchen, Grillwürstchen, Wiener Würstchen, Käsekuchen und Kaiserschmarrn, um einige Köstlichkeiten zu benennen, dies wahrscheinlich nur an diesem VP gab. Ich wäre gern noch länger als die fünf Minuten geblieben, aber es musste weiter gehend. Kurz vor der VP-Ankunft hatte ich Chrissi per Sprachnachricht darauf eingestimmt, dass mit mir nach momentaner Tempolage von 7:00min/km inkl. der VP-Stopps nach gut 11 Stunden rechnen konnte. Am folgenden VP traf ich Jens und Katja, die mir ein gutes Gelingen für die restlichen 38km wünschten. Ja nicht mal mehr Marathon und der Wechselpunkt Teltow war schon bald erreicht. Ein privater VP bei km 55 war das Highlight auf diesem Streckenabschnitt, wo wir Wasser erhielten, aber auch Bier bekommen hätten.
In Teltow würde Michael die Unterstützung vom Radbegleiter Jan erhalten, den ich auch hätte nutzen können, um Sachen zu deponieren. Aber der Reihe nach. Kurz vor dem Wechselpunkt traf ich unverhofft auf Katharina und Kai, die mich euphorisch empfingen, was mich auf den letzten Meter normal pushte. Sie erwarteten auf ihr Staffelmitglied Dietmar, mit dem wir die letzten Kilometer zeitweise gemeinsam liefen. Der Wechselpunkt Teltow war erreicht – damit rund zwei Drittel der Strecke geschafft und ich auch.
Ich wurde von vielen Anwesenden mit viel Applaus und Anfeuerungen begrüßt. Aber eine Pause tat Not. Jan hatte schon meinen Dropbag in der Halle bereitgelegt und ich nutzte die Chance, die Klamotten zu wechseln. Etwas Frisches anzuhaben, die Füße mit Hirschtalgcreme zu sorgen, Socken und Schuhe zu wechseln, sollte mir wieder ein Schub geben. 15 Minuten nahm ich mir Zeit, um auch alles Wichtige einzupacken (Warnweste, Stirnlampe, um auch auf ein Worstcase vorbereitet zu sein) und auch die Powerbank, um gegebenenfalls unterwegs die Uhr laden zu können. Dann etwas essen, Flasche auffüllen lassen und dann ging es zu dritt wieder unter Applaus wieder los.
Der Königsweg wartet
Michael war gut drauf und lief etwas vorneweg. So richtig in Tritt kam ich nicht. Hatte ich zu lange gesessen, rächte sich das Lauftempo von 6:30min/km auf den ersten 59km jetzt bei mir? Ich versuchte dran zu bleiben an Michael und Jan, aber der Abstand wuchs. Nach gut einem Kilometer blieben sie stehen, um nach meinem Befinden und meinem geplanten Tempo zu fragen. „Eigentlich weiterhin 6:30min/km, aber dafür benötige noch etwas Zeit um wieder reinzukommen.“ Großartig im Nachhinein Michaels Statement „Ich wollte jetzt nicht abhauen, ohne mich zu verabschieden“. Bis Teltow konnten wir den Mauerweg mehr als 50km gemeinsam erleben, haben geredet, geschwiegen und uns wunderbar ergänzt und hatten das auch bis Sacrow so geplant. Danke für dieses großartige Teamwork. Allerdings war Michael deutlicher schnell als das abgesprochene Tempo, das ich nicht mithalten wollte und konnte. Ich rief ihm am folgenden Anstieg kurze Zeit später hinter, dass sie nicht weiter auf mich warten sollten und dann war der Abschied besiegelt. Schade, aber es ist Laufwettbewerb und Michael war einfach noch top drauf. Das galt es zu respektieren und ich wünschte ihm und seinem Staffelpartner Stefan alles Gute für die letzten 100km.
Und ich war auf einmal allein. Klar waren noch andere Staffelläufer sowie zunehmend auch Einzelstarter auf der Strecke um mich herum, aber das Vertraute war weg, genau wie mein Laufrhythmus. Ich wusste, der nächste VP ist zu Beginn des wohl ewig langen Königswegs. Schnell recherchierte auf dem Smartphone, dass dieser bei km65 war. Also nur noch drei Kilometer – drei Kilometer, die sich wie Kaugummi zogen. Immer wieder kam ich ins Gehen. Auf dem 1,5km-langen Abschnitt Neuruppiner Straße machte es der Gegenwind auch nicht leichter. Bevor ich dagegen anlief, lieber Kräfte sparen. Aber die Vorboten des Königswegs, von dem ich schon so viele Geschichten gehört hatte, wollten mir den Weg dorthin erschweren – zunächst mit Erfolg. Als wenn es für allen anderen diesen Gegenwind nicht gab, flogen andere Teilnehmer an mir vorbei. Erst wurde ich von einem Einzelläufer kurze Zeit von einem weiteren, der zwar immer wieder in Gehpausen wechselte, aber er hat den Elan – ich nicht. Mein absoluter Tiefpunkt war nach acht Stunden auf den Beinen und 64km erreicht. Wenn ich schon mal ging, konnte ich auch Chrissi über meine nahe Ankunft des VP Königswegs informieren. Sie antwortete prompt, ich solle mich beim Erreichen der Meierei nochmal bei ihr melden. Den VP Meierei erreicht man nach 79km. Das waren zwar noch 14km, für die ich in dem momentanen Zustand den Zeitumfang nicht abschätzen konnte, aber es war ein Lichtblick. An der Meierei gibt es immer frisch gezapftes Bier. Ein Highlight, das ich erstmals als Mauerwegläufer erlebte wollte.
Aber zunächst war das Erreichen des Königsweges mein Ziel. Das Grauen der Neuruppiner Straße und teilweise der Benschallee, das zurückblickend 20 Minuten dauerte, hatte ein Ende, als die Strecke in den Wald führte. Nach einer Linksabbiegung begrüßte ein Banner die Läufer schon vom weitem. Bevor ich auf die Rennleiter Martina und Harald am VP traf, unternahm der Läufergott einen letzten Versuch, mir vor dem Königsweg einen mitzugeben. Eine Passantin begrüßte mich mit Applaus, aber auch mit dem Spruch „Das sieht aber gar nicht gut aus bei Ihnen.“ Eine Aussage, die kein Läufer gerne hört, auch wenn es wohl Mitleid ausdrücken sollte. Sie ist immer unpassend. Mit meiner Antwort „Das nächste Mal besser gar nichts sagen“, war sie mit erstauntem Blick bedient. Sie hatte eben noch nie das Glück gehabt, mich laufen zu sehen. Sonst wüsste sie, dass mein Laufstil mir immer so aussieht, ob nun nach 10 oder eben wie heute nach 65km.
Nach der Abwehr dieses letzten mentalen Angriffes war ich nun bereit für den Königsweg. Mein Vorhaben Wasserflasche auffüllen, Melone essen und weiter geht es alleine, fand eine rasche Wendung. Antje Matthiessen war als Zweistaffelläuferin ebenfalls am VP angekommen. Meine Anfrage gemeinsam weiterzulaufen stimmte sie sofort zu mit der Bedingung, auch immer wieder Gehpausen einzulegen. Das war auch mein Plan. Der Königsweg hat seine kurzen und langen Erhebungen, die wir gemeinsam bewältigten. Aber so schlimm war es im Nachhinein gar nicht. Schnell kamen mir einige Abschnitte bekannt vor, denn ich bin diesen Streckenabschnitt im Rahmen der letztjährigen Mauerwegtour gelaufen. Damals war ich auf dem 67km-langen Tagesabschnitt an dieser Stelle nach 61km nach noch schnellerem Angang auf diesem Streckenabschnitt in schlechterer Verfassung und hatte noch zwei Etappen in Aussicht.
Gemeinsam nach Sacrow
Heute war ich guter Dinge, die letzten rund 20km bis Sacrow zu schaffen. Mich trieb doch keiner, das Laufgefühl war wieder da und die Gehpausen trugen ihr übriges dazu bei. Gemeinsam erreichten wir den VP Griebnitzsee nach 72km. Dort konnte ich meinen Appetit nach deftigem mit Stullen stillen, bevor es am nächsten VP Flüssigbrot geben würde. Wenn Antje vor mir lief, gab motivierte mich das sehr. Sie hatte einen sauberen Laufstil, der es locker aussehen ließ, was ich hier auch sagte. Der Anblick der Meierei in weiter Ferne, demotivierte mich kurzzeitig bis ich auf einen Laufengel auf dem Fahrrad traf. Jana Bieler kam gerade von dem VP, erklärte sich aber bereit, den Kilometer mich zu begleiten. Danke liebe Jana, das war genau zum richtigen Zeitpunkt. Läuft wieder. Genau wie das Bier der Meierei. Drei Becher genehmigte ich mir von dem leckeren Gebräu. Das versprochene gemeinsame Bierfoto mit Antje drauf für Chrissi wurde versendet.
Das Anlaufen fiel wieder schwer und die Aussicht auf die Passage teilweise an der Straße nach Krampnitz kam mir auch in den Sinn. Egal das liefen oder gingen wir auch und wurden immer mal wieder von Lutze laufenderweise eingeholt, mit dem wir seit dem Königsweg immer mal wieder gemeinsame Momente hatten. Beim vorletzten VP hielten wir uns nur kurz auf, aber auch hier genehmigte mir eine Flasche Bier. Das tat mir gut und die Vorfreude auf die letzten 6km war da.
Die letzten Kilometer sind wir nur einmal gegangen – die Anstiege hoch gelaufen. Antjes Mahnung „Matze, hier geht es bergauf“, entgegnete ich „Jetzt muss ich nicht mehr schonen und kann alle Reserven rauslassen“. Sie hatte Recht, denn tatsächlich bremste mein Körper mich, wollte immer wieder ins Gehen verfallen auf den letzten beiden Kilometern. Ich ließ es nur kurz zu und bin wieder zu Antje aufgelaufen. Die Überholungen an derer Staffelläufer mit Fahrradbegleitungen und deren Anfeuerungen motivierten nochmal. Bereits im Schlosspark angekommen, erblickte ich die Einzelstarterinnen Natascha aus Berlin und die beim Fishermanstrail gerade erst kennengelernte n Gabi und Dana. Kann es ein schöneres Laufende geben. Ich versprach ihnen beim Wechselpunkt auf sie zu warten.
91 km sind geschafft
Dort wartete Chrissi schon auf mich – nach 11:43:37 Stunden konnte ich ihr den Zeittransponder übergeben. Schnell noch ein Foto mit ihr und dann war mein Staffeleinsatz offiziell geschafft. Ich holte mir ein alkoholfreies Bier und stieß mit Antje auf unseren grandiosen Lauf an. Sie hatte an Heike Krüger übergeben und nun werteten wir unseren Erfolg aus. Etwas später erreichte auch Mario sein Ziel. Herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen 91km-Debüt. Die Fahrt nach Hause war gesichert. Umziehen konnte ich mich leider nicht, da mein Dropbag nicht da war. Auf Anfrage übergab mir VP-Chef Maxi ein T-Shirt und eine Jacke, um mein aufkommendes Frieren zu bändigen. Der Weg zum Auto gestaltete sich nach einer halben Stunde sitzen mit steifen Beinen sehr langsam. „Das sah bestimmt nicht gut aus“ und fühlte sich auch nicht so an. Aber so ein intensives Lauferlebnis mit Höhen und Tiefen konnte uns keiner mehr nehmen.
Volunteer Doreen hatte Stadion-Teamchefin Andrea Möhr angerufen und mit Andreas Pfeiffer waren durch Antje die wichtigsten Menschen des 100Meilen-Laufes über mein verschollenes Dropbag informiert. Nach wenigen Minuten im warmen Auto rief Rennleiter Harald mich an und konnte mir erfreulicherweise Auskunft über mein Dropbag geben. Es war einem anderen Läufer ausgehändigt worden, der im H4-Hotel auf mich wartete. Ich war sehr dankbar, dass Mario diesen Umweg mit mir fuhr, auf mich kurz wartete und mich direkt nach Hause fuhr.
In der Badewanne hatte ich erstmals Zeit diesen Tag etwas sacken zulassen, der für mich noch nicht zu Ende war. Ich wollte mich für 30 Minuten eigentlich schlafen legen, aber die Beine arbeiteten ganz schön nach und hielten mich wach. Ein wenig Schlaf war mir wohl dennoch gelungen, denn das Weckerklingeln nahm ich sofort wahr. Doch etwas erholt machte ich mich mit einem vollen Rucksack voller Bier ein zweites Mal zum Veranstaltungsort im Friedlich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Einigen Läufern hatte ich im Ziel ihr persönliches Zielbier versprochen und ich selbst wollte auch in der Nacht nicht auf ein paar Wernesgrüner verzichten.
Zieleinlauf und Ehrung
Die Freude war groß über ein Wiedersehen mit Michael, dessen grandioses Finish ich im Liveticker schon registriert hatte. Seinem Staffelpartner Stefan war es mittlerweile gelungen auf Platz sechs vorzulaufen. Bald würden die beiden gemeinsam über die Ziellinie laufen, so wie ich es mit Chrissi vorhatte. Sie hatte ihren Vorsatz von einem 6er-Tempo umsetzen können und unser Team bis auf Platz elf vorgelaufen können. Ich erwartete sie gegen 2:30 Uhr im Ziel. Bis dahin ließ ich einfach die Atmosphäre des buntbeleuchteten Stadion auf mich wirken, informierte mich über das Renngeschehen per Liveticker oder im Austausch mit anderen und konnte zahlreiche emotionale Zieleinläufe anderer Laufteams oder Einzelstarter miterleben.
Kurz nach zwei vermeldete Chrissi ihre Ankunft in Wilhelmsruh, also hatte sie noch sieben Kilometer zu laufen. Wenig später schälte ich mich aus meinem Trainingsanzug und versuchte die ersten Laufversuche, um ihr entgegenzulaufen. Das klappte erst schleppend, aber nach ein paar Metern war ich wieder drin. Den Schwedter Steig lief ich hoch. Nach rund zwei Kilometern kam sie mir mit ihrem Radbegleiter entgegen. Sie hatte ein noch ein flottes Tempo drauf, das wir dann liefen bis zum Stadioneingang durch hielten.
Die gemeinsame Stadionrunde, die Ansage von Alexander und der Zieleinlauf waren die Krönung eines grandiosen Laufes vom Team Berlin Runners. 19:58:33 Stunden haben wir für unsere 161km benötigt und tatsächlich den elften Rang von 24 Zweierstaffeln erreicht. Überglücklich und erschöpft, nahmen wir unsere schönen dunkelblauen Finisher-Shirts entgegen. Ich zog meins sofort an und behielt es auch noch abends im Bett an.. Selbstverständlich bekam Chrissi vom mir wunschgemäß das Erdinger Lemon und wir konnten auf unsere Leistung anstoßen.
Anders als geplant bin ich nicht bis vormittags im Stadion geblieben. Die Zieleinläufe meiner Freunde Jörn und Steffen wollte ich mir nicht entgehen lassen, bevor ich der Müdigkeit wegen doch schon 5:15 Uhr das Zielgelände verließ. Fünfeinhalb Stunden Schlaf blieben mir bis zur Staffelsiegerehrung. Nicht gerade munter entschied ich statt zur Straßenbahn zu laufen, mich doch gleich aufs Fahrrad zu schwingen, um keinen Meter zu viel laufen zu müssen. Die Siegerehrung war sehr bewegend auch durch Erinnerung an Jörg Hartmanns Schicksal und das Interview mit seiner damaligen Lehrerin. Es war schön und großartig mit Chrissi auf die Bühne gerufen zu werden und von Olaf und Harald, die ich schon so lange kenne, die Urkunden und Medaillen ausgehändigt zu bekommen. Hier schloss sich mein Kreis zum September 2017. Auch die Siegerehrung der Einzelstarter, bei der 324 Finisher geehrt wurden, habe mir noch angesehen, um anschließend das 100Meilen-Wochenende im Hofbräuhaus ausklingen zu lassen.
Es war wieder ein großartiges Wochenende mit zahlreichen Eindrücken, neuen Laufbekanntschaften, Chancen bisherige zu intensivieren und wieder an Grenzerfahrungen zu wachsen. Ich danke allen Helfern und Läufern für ihren Einsatz. Für kommendes Jahr sind meine Mauerwegläufe schon geschmiedet. Wir sehen uns hoffentlich zahlreich 2019 wieder.
Text: Matze Weiser
Fotos: Matze Weiser, Michael Eder, Stefan Berkenkamp, Detlef Kley, Katharina Noll, Mario Hein, Karina Kluge und Christiane Radatz