Manche Leute duschen morgens kalt. Denn „Kalt duschen kurbelt die Durchblutung an, macht munter und schöne Haut.“ Klingt toll. Was mich betrifft, dusche ich trotzdem immer noch warm. Das mag damit zusammenhängen, dass man als Ultraläufer:in immer damit rechnen muss, stundenlang kaltem Guss von oben ausgesetzt zu sein. Das ist schon im Sommer auf Dauer unangenehm, richtig herausfordernd wird es im Winter, wenn einstellige Temperaturen und Wind dazukommen.
Zu dieser Art „erfrischendem Erlebnis“ gehört auch der diesjährige Ludwig-Leichhardt-Trail. Ein meist Mitte Februar stattfindender 50km-Ultralauf von Trebatsch nach Cottbus, benannt nach Australienforscher Ludwig Leichhardt, 1813 geboren in Trebatsch. Er besuchte in Cottbus das Gymnasium und die Laufstrecke orientiert sich komplett an dem namensgebenden Radweg, der beide Orte miteinander verbindet und der sich wiederum geschichtlichen Gerüchten zufolge am einstigen Schulweg Ludwig Leichhardts orientiert. Leichhardt unternahm ab 1844 mehrere Expeditionen auf dem damals praktisch unerforschten Kontinent. Von der dritten, die 1848 startete, kehrte er nie zurück. Sämtliche Suchen blieben erfolglos.
Es regnet und regnet
Vor diesem Hintergrund findet der von Aldo und Almuth Bergmann initiierte (und zusammen mit vielen seit Jahren tollen Helfern organisierte) Lauf stets – treffend, wenngleich vielleicht ein bisschen makaber – unter folgendem Motto statt: „Ich vollbringe es oder ich sterbe“ – ein (unbelegtes) Zitat Leichhardts. In diesem Jahr wäre auch die inhaltlich gleichbedeutende Umformulierung in „Ich laufe oder ich ersaufe“ passend gewesen. Denn wie gesagt, es regnet. Es regnet, als mein Mann Tom und ich mit den 53 anderen Startern morgens aus dem Bus aussteigen (ja, die bekloppte Welt der Ultraläufer – man reist für den Ludwig-Leichhardt-Trail morgens am Zielort Haasow bei Cottbus an, steigt dort um 8.00 Uhr in den bereitgestellten Bus, der einen zum Start in Trebatsch fährt (Klassenfahrtfeeling!) – um dann von dort wieder dorthin zu laufen, wo der Bus morgens losgefahren ist).
Es regnet während des obligatorischen Pre-Start-Faschings-Tänzchens („Laurenzia!“) mit der Trebatscher Zampergesellschaft. Es regnet, als der Startschuss um halb zehn fällt. Es regnet entlang der schönen Trailstrecke am Schwielochsee entlang (naja, das was man so als Trail durchgehen lassen kann, genaugenommen ist es ja eine Radstrecke und entsprechend untrailig, aber der Radweg heißt halt so). Es regnet durch die vielen Bäume im Waldstück durch die Lieberoser Heide. Es regnet und regnet, es regnet den ganzen Tag. Und ja klar, eine Regenjacke haben wir dabei, es war ja Dauerdusche mit Ansage, trotzdem kühlt man auf Dauer – je nach Frösteltyp mehr oder weniger – aus. Und das Einzige, was da hilft ist: weiterlaufen. Denn so lange man läuft, läuft das körpereigne Wärmesystem recht zuverlässig. Aber zu lange stehen bleiben ist keine gute Idee.
Harvesterfurchen sind Radweg gewichen
Insofern, so großartig die Verpflegungspunkte (VPs) ausgestattet sind (offiziell gibt es zwei bei km 24 und 42, inoffiziell bieten auch die „Getränkepunkte“ bei km 32 und 50 mehr als nur Flüssigkeit): Kein Läufer hält sich dort überlange auf oder überlegt gar auszusteigen. Bzw. wird es der ein oder andere überlegt, sich dann aber dagegen entschieden haben: Denn mag man auch nicht so verloren sein wie eins Ludwig im australischen Outback – hier gibt es weit und breit keine Taxis, geschweige denn Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel.
Laufen dagegen geht wunderbar, zumal die einst gefürchteten kilometerlangen Harvester-zerhauenen Waldwege voller wassergefüllter Schlammfurchen auf dem Waldstück im Anschluss an den Schwielochsee mittlerweile einem neuen asphaltierten Radwegstück gewichen sind – so viel Abenteuer wollte man den Radtouristen auf den Spuren von Leichhardt dann wohl doch nicht zumuten. Wir hatten uns bei unserer ersten Teilnahme 2017 jedenfalls gefragt, wie man da mit dem Rad durchkäme – vermutlich gar nicht…
Bei Kilometer 28 wartet das wilde Tier…
Wir verlassen den ersten VP, der mit fünf Leuten extrem stark besetzt ist (dabei müssen die Verpfleger stehen, wir dürfen uns bewegen – immerhin hatten sie mit einer kleinen Pausenhütte aus Holz ein(-e Art von) Dach über dem Kopf). Nun steigt bei uns die Spannung, denn wie Tom und ich als versierte Teilnehmer wissen, muss man am Örtchen Byhleguhre bei etwa km 28 immer damit rechnen, von einem wilden Tier angesprungen zu werden – wenngleich nur für ein Foto.
Angesichts der Tatsache, dass der Lauf in einer Faschings-geprägten Gegend am Vorfaschingswochenende stattfindet, haben uns hier schon ein Wolf, ein Strauß und einmal sogar ein T-Rex erwartet. Diesmal erweist sich das Fototier als großes, braunes, puscheliges Etwas, das wir zunächst für einen Hasen halten, das aber bei weiterem Überlegen vermutlich ein Känguru sein soll – passend zum Laufauftrag, der da heißt: „Folge dem Känguru!“
Denn der Ludwig-Leichhard-Trail ist durchgehend beschildert – den Weg weist ein schwarzes Känguru auf gelbem Grund. Tatsächlich, obwohl das Känguru bei diesem Lauf omnipräsent ist – bei der Beschilderung, auf der Medaille und den Urkunden – Fototier war es noch nie. Na da wird es ja mal Zeit, immerhin ist dies schon das 10. Mal, dass der Lauf stattfindet. Also, kurzes Känguru-kuscheln und weiter geht es.
Immer besonders intensiv: die Kilometer am Deich entlang
Der Regen dreht nochmal die Schleusen auf, so dass wir vollverpackt mit blauer und lila Regenkapuze über den Kopf gezogen an der „Getränkestelle“ bei km 32 eintrudeln, wo es neben Cola und Tee auch Pappbecher voll Kartoffelbrei gibt – coole, oder vielmehr heiße, Idee von den Versorgern, die sich auch hier in einer Pausenhütte auf Holz eingerichtet haben – zugig ist es trotzdem. Wir bedanken uns bei den beiden Damen, die hier mehrere Stunden in der Kälte die Stellung halten und machen uns auf den Weg Richtung Deich.
Die Strecke auf dem Deich ist nur wenige Kilometer lang, jedoch immer ein besonders intensiver Streckenteil: Im windig-kalt-feuchten Jahr 2016 kroch einigen Läufern die Kälte so in die Knochen, dass sie es nicht mehr bis ins Ziel schafften, umgekehrt im vergangenen Jahr – als der Lauf „dank“ Corona von der Faschingszeit in den Juni verlegt wurde – war es in der schattenfreien Mittagshochsommersonne brütend heiß aus dem Deich. Heute ist es nur besonders nass – aber auch nicht nasser als in den Stunden zuvor.
Der für heute angesagte böige Wind soll uns erst in Cottbus ereilen. Bis wir dort sind, müssen wir aber noch diverse Kilometer durch ein Lausitzer Dorf, diverse Kilometer durch einen weiteren Wald – und natürlich am „Marathon-VP“ bei etwa km 42 Halt machen, wo wir neben Speis und Trank viele aufmunternde Worte für die jetzt verbleibenden 13 Kilometer gereicht bekommen.
Die sind entgegen der vorherigen Wald- und Dorfidylle sehr städtisch mit viel Zick-zack durch Cottbus, zunächst entlang einiger Schnellstraßen, später wird es etwas hübscher, als wir an durch etwas städtisches Grün an der Spree entlang Richtung Fürst-Pückler-Park Branitz (kurz: Branitzer Park) laufen. Zwischendurch kommen wir noch am „Getränkepunkt“ (mit diversem Läuferfutter – „das sind nur die Reste von den anderen VPs!“) bei km 50 vorbei, wo eine Läuferin ohne stehenzubleiben an uns vorbeirast. Finden wir sehr unhöflich den Helfern gegenüber, bis wir abends feststellen, dass sie gar nicht im Ziel ist, sondern wohl einfach nur so durch Cottbus gelaufen. Soll ja auch vorkommen.
Noch einmal auf Asphalt abbiegen und das Ziel ist in Sicht. Nach 6 Stunden und 33 Minuten und ungezählten Regenlitern von oben beenden wir unseren Lauf, nehmen die wieder richtig schöne Medaille in Empfang und freuen uns auf das gemütliche Zusammen-sitzen und das gemeinsame Essen, das – wie auch die Siegerehrung – nach Zielschluss stattfindet, damit alle Läufer dabei sein können. Dabei gibt es nur einen sehr theoretischen Zielschluss, da jeder gewertet wird, der ins Ziel kommt – Zitat Lauf-Organisator Aldo: „Das wäre ja auch Quatsch sonst, wir sind doch eh hier!“
Noch einmal so tun, als wäre er ein Trail…
(Touristen-)Hauptattraktion im Branitzer Park ist das Schloss Branitz. Hier – genauer gesagt auf der ersten Treppenstufe zum Schloss – war bis 2018 das Ziel des Laufs nach 52 Kilometern. Optisch ein Highlight, aber unpraktisch, gemesssen an der Tatsache, dass man die verbleibenden 2,5 Kilometer bis zur Umkleide dann noch zu Fuß – in den durchgeschwitzten Klamotten – zurücklegen musste. Gerade im Februar alles andere als ein Genuss. Jetzt aber lassen wir das einsam daliegende Schloss links, nein rechts, liegen und legen die Restkilometer zur Vereinsscheune Haasow laufend zurück.
Auf dem letzten Kilometer tut der Ludwig-Leichhardt-Lauf dann noch mal so, als wäre er wirklich ein Traillauf – es geht ab durch die Büsche, bzw. über die struppige Wiese. Ein Baum liegt quer und ein Schild fordert uns auf: „Mach es wie das Känguru – spring!“ Angesichts der vielen Äste übersteigt dies aber unsere Sprungkraft und so tun wir das, was die Vorläufer ganz offensichtlich auch getan haben – wir laufen außen herum.
Und die, die schon eher durchs Ziel gestürmt sind, können durchaus auf die letzten Läufer warten, denn – ob es nun an der kalten „Dauerdusche“ draußen oder heißen Vereinsheimdusche hinterher liegt, oder vielleicht auch nur an dem langen Corona-Entzug solcher Gemeinschaftsveranstaltungen – alle sind munter, gut gelaunt und das Geschnatter im Aufenthaltsraum nimmt erst ein Ende, als Aldo mit der Siegerehrung beginnt und verkündet, dass alle Starter erfolgreich ins Ziel gekommen sind. Nass, aber glücklich.
Was ich gelernt habe:
- Garmin-Uhren, auch neuere Modelle, sind nicht auf Ultra-Läufer programmiert. In der Vorbereitung auf den Ludwig-Leichhardt schlägt die meine mir als „langen“ Lauf immer noch 90 bis 120 Minuten vor, außerdem piept sie sofort warnend „Streckenabweichung!“, als ich mich mal kurz in die Büsche schlage. Dit is hier doch keen Stadtmarathon mit Dixis direkt uffe Strecke!
- Fußballvereinsheime sind nicht auf Frauen ausgerichtet. In der (sonst mit Bar und Aufenthaltsraum wirklich super ausgestatteten) Vereinsscheune Haasow gibt zwei große, warme Männerumkleiden und eine so ausgeschilderte „Frauenumkleide“ – die allerdings ist winzig, ungeheizt und mit Putzwagen und Putzmitteln vollgestellt. Jungs, freut euch – wir kommen rüber! (@Aldo/Almuth: Vielleicht nächstes Mal eine der Männerumkleiden mit einem Schild „Damenumkleide“ überkleben, wäre super!)
- Nach stundenlangem „kalten Duschen“ draußen ist eine heiße Dusche in einem beheizten Vereinsheim so ungefähr das Beste, was es gibt. Zumindest im Winter. Nach dem nächsten Sommerultra bei glühender Hitze können wir über das Thema „kalt duschen“ ja noch mal reden ;-).
Text: Sonja Schmitt
Fotos: Team Ludwig-Leichhardt-Trail, Antje Matthiesen, Tom Schmitt, Sonja Schmitt
Sehr schöner Bericht. Macht Spaß zu lesen, ist kurzweilig und man hat wirklich das Gefühl, sich ein Handtuch zu holen.