Vor zehn Jahren, als ich noch keine Ahnung vom Ultralaufen hatte, liebäugelte ich zum ersten Mal mit der Teilnahme in Rodgau. Gerade ein paar Tage Mitglied in der LG Mauerweg (eingetreten am 1. Januar nach einem legendären Mini-Silvester-Laufcamp im Sportzentrum Lindow) beoabachtete ich mit zunehemdem Interesse, was die Mitglieder meines neuen Vereins so am Wochenende trieben.
Der immer Ende Januar stattfindende „50 km Ultramarathon des RLT Rodgau“ wie der Lauf offiziell heißt, reizte mich anno 2015 in seiner vollen Länge keinesfalls – in die LGM war ich schließlich nur eingetreten, um meine langen Marathonvorbereitungsläufe nicht mehr alleine mittels langer, langweiliger Tiergartenrunden machen zu müssen – kam mir aber insofern entgegen, als dass mir meine neuen Vereinskameraden sagten, man bekomme auch eine Wertung für kürzere Distanzen, zum Beispiel 30 km. Also perfekt für mich.
Wenn die „gelbe Gefahr“ kommt
Ich war dann 2015 trotzdem nicht mit, weil ich keine Wochenendbetreuung für meine damals Fünfjährige (sie war mal fünf??) hatte. Dafür 2016, dem legendären LGM-Jahr in Rodgau, als der Sprecher unseren Verein mit „Da kommt die gelbe Gefahr!“ ankündigte, weil wir mit rund 30 neongelb gekleideten Vereinsmitgliedern dort anrückten und uns zum Startfoto positionierten (und dabei schafften es nichtmal alle LGMler aufs Startfoto).
Und jetzt also wieder, 2025, zum 25. Rodgau-Ultra. Am Lauf selbst hat sich wenig geändert: Zunächst einmal: Startnummern abholen in der Turnhalle. Hier treffen Tom und ich erst Beatrice und Evi, die ihren ersten Ultra laufen wollen und entsprechend aufgeregt sind, etwas später auch Kristin sowie die „alten Ultra-Hasen“ Jörn (auch bekannt als Duracell-Hase) und Andrea (eher bekannt als Möhre, aber Hasen und Möhren gehören ja auch irgendwie zusammen).
Damit ist die LGM-Mannschaft für dieses Jahr komplett. Um als „gelbe Gefahr“ zu gelten, reicht es nicht, für ein paar spaßiges Aufnahmen der Gelbhemden in Kristins verspiegelter Sonnenbrille reicht es aber allemal, ebenso für ein gelbes Gemeinschaftsfoto am rund 1 km von der Turnhalle entfernten Start. Und auch Jörn schafft es diesmal aufs Gruppenbild.
Sechs Stunden für zehn Runden
Um zehn Uhr fällt der Startschuss: Ab jetzt gilt es zehn Runden à 5 Kilometer zu laufen, innerhalb von sechs Stunden. Bzw. muss genau genommen vor 16 Uhr die letzte Runde begonnen worden sein. Dennoch ist mein bescheidenes Ziel, vor 16 Uhr komplett fertig zu sein, also eine 7er-Pace oder etwas darunter zu laufen. Das hatte ich 2016 geschafft, damals war Rodgau mein zweiter Ultra-Wettkampf überhaupt – und 2017 ebenso, also sollte ich das doch heuer auch hinkriegen.
Genau das erzähle ich auch Kristin, als sie mich fragt, welche Pace ich zu laufen gedenke. Worauf sie wie immer antwortet, dass sie so lange Strecken ja nicht so schnell laufen könne. Um darauf dann, auch wie immer, am Start fröhlich davonzuflitzen und am Ende vor mir anzukommen (wobei, das stimmt nur fast immer, beim Rennsteig Supermarathon letztes Jahr sind wir sogar mal zusammen ins Ziel gelaufen. Muss ich einen guten Tag gehabt haben).
Als LGMler wird man oft angesprochen
Um etwas Gutes zu der Rodgau-Runde zu sagen (denn ein Fan von Rundenläufen bin ich ebensowenig wie Tom): Sie ist immerhin 5 Kilometer lang (nicht nur einen Kilometer oder sogar nur 400 Meter), die Strecke ist nicht komplett flach, sondern hat ein leichtes Auf und Ab (wobei das Ab freundlicherweise mehr auffällt als das Auf), an der kleinen Pendelstrecke unterwegs sieht man die anderen Läufer auch mal von vorne, am Musikposten gibt eine Heavy-Metal-affine, tanzwütige Oma, die zu AC/DC abrockt und so für Ablenkung sorgt, und dieses Jahr ist sogar der weitläufige Part am Feld nahezu windfrei.
Was auch wieder Rodgau-typisch ist: Wie bereits 2016 und 2017 werde ich wirklich oft auf mein Shirt respektive die 100 Meilen von Berlin angesprochen:
- „Das ist so krass, was eure Rennleitung da letztes Jahr hinbekommen hat mit der kurzfristigen Verlegung des Stadions!“ (ich hab versprochen, das Kompliment weiterzureichen, hiermit geschehen)
- „Die 100 Meilen Berlin sollen richtig toll sein, hab ich gehört, ich bin dies Jahr das erste Mal auch da, erstmal als Staffelläufer – ich bin soo gespannt!“
- „Hey, bist du die Blonde, die mal die Rennleitung gemacht hat und aber das letzte Mal mitgelaufen ist?“ – „Nein, ich schätze, du meinst Nina“ (aber vielen Dank für die Verwechslung)
- Nachdem ich am VP kurz mit einem Läufer gequatscht habe und wir noch kurz nebeneinander hertraben: „Ich trainiere grade für eure 100 Meilen, aber so fit wie du bin ich noch nicht, lauf ruhig weiter“ (ok, ich bin hier gerade etwas schneller unterwegs als er, aber vielleicht sollte ich ihm sagen, dass ich meilenweit davon entfernt bin, für die 100 Meilen zu trainieren?)
Auch die Gedanken drehen Runden
Geschweige denn, daran teilzunehmen. Dabei überlege ich so vor mich hin: Ob es wohl eine Klausel irgendwo im Vertrag gibt, dass man aus der LGM geschmissen wird, wenn man es in 10 Jahren Mitgliedschaft nicht geschafft hat, einmal als Einzelläufer bei den 100 Meilen zu starten? Wenn ich in meinen Körper hineinhöre, was er so machen möchte: Zweierstaffel – fein. 100 Kilometer Thüringen-Ultra: toll. Etappenläufe wie 4 Tage um den Balaton oder 6 Tage Deutschland-Querung: richtig cool. Dagegen: 100 Meilen? „Hallo, Körper, wie wär´s?“ Bestenfalls freundliches Schweigen. Meistens aber eher sowas wie: „100 Meilen? Am Stück? Nee du, echt nicht.“
Woran mag das liegen? Alle anderen, mit denen ich anfangs oder auch erst in den letzten Jahren oft zusammen gelaufen bin, haben die 100 Meilen mittlerweile in der Tasche, laufen zum Teil noch viel krassere Strecken und manche sind dabei auch noch richtig viel schneller geworden… Während ich es seit acht Jahren nicht mal schaffe, meine Marathonbestzeit mal wieder zu unterbieten. Hm. Gut, zur Wahrheit gehört auch, dass manche andere, mit denen ich anfangs oder in den letzten Jahren oft zusammen gelaufen bin, mittlerweile gar nicht mehr laufen. Wegen Krankheit. Weil rauchen und essen wichtiger war. Oder weil sie unter die Aluhüte gegangen sind. Das zumindest trifft bei mir zumindest bisher nicht zu. Aufgehört hab ich noch nicht.
Aufgehört hab ich noch nicht
Auch in Rodgau höre ich nicht auf. Die ersten fünf Runden sowieso nicht, die sich locker in einer Pace unter 6:30 laufen lassen. Die nächsten beiden auch nicht, auch wenn ich nach km 25 merke, dass es anstrengender wird. Und auch nicht die letzten drei, auch wenn die weh tun und nur noch in >7er-Pace machbar sind. Könnte daran liegen, dass ich sonst nicht so lange auf Asphalt laufe. Oder daran, dass ich nicht wie andere locker vier Trainings-Ultras in einem Monat laufe.
Aber ich laufe noch: Nach 5 Stunden und 42 Minuten komme ich „atemlos“ ins Ziel. Nicht weil ich so wahnsinnig außer Puste bin. Nein, sondern weil der Lautsprecher mich lautstark mit Helene Fischer empfängt. „Atemlos durch den Wald, atemlos auf Asphalt“ oder so ähnlich. Tom steht schon im Ziel und macht Fotos, anschließend geht es Richtung Turnhalle und Dusche. Das Wasser ist eiskalt (aber nur bei den Frauen, höre ich, danke auch, aber wir Frauen sind ja hart im Nehmen), zudem liegt eine Zeltplane dort herum, so dass man kaum zum Brausekopf kommt. Warum, welchen Sinn hat dies? Ach, mir alles egal, Hauptsache duschen.
Der Preis ist… lila
Danach sitzen wir noch mit Jörn, Kristin und Andrea in der Turnhalle zusammen (Evi und Beatrice haben irgendwie nicht mitgekriegt, dass hier noch Event ist und sind schon weg). Gerade als ich Kristin erzähle, dass ich in Rodgau in der Teamwertung schonmal zweimal auf dem Treppchen stand, wiederholt sich ein weiteres Rodgau-Erlebnis: Der Moderator ruft das Frauenteam der LG Mauerweg für den 3. Platz in der Mannschaftswertung auf.
Also erklimmen Kristin und ich die Bühne und nehmen – auch stellvertretend für Beatrice – die Ehrung entgegen. Neben der Urkunde erhalten wir als Geschenk – ernsthaft – jede eine lilafarbene Handtasche (!). Jörn lacht sich fast tot und besorgt uns Mädels vom Verkaufsstand jeder einen Rodgau-Rucksack („Der hat nur drei Euro gekostet, aber da steht wenigstens die Veranstaltung drauf!“). Lieben Dank nochmal dafür :-).
Anschließend geht es zusammen mit der S-Bahn Richtung Hauptbahnhof, von wo aus Jörn, Kristin und Andrea nach Berlin fahren, während Tom und ich noch eine Nacht in Hessen verweilen.
Fazit: Kein richtig schöner Lauf, aber schon ein richtig schöner Anreiz, gleich im Januar 50 Kilometer zu laufen. Alte Bekannte trifft man auch immer, und persönlich bietet Frankfurt für mich immer die Gelegenheit, Familie oder Freunde zu treffen, die dort mittlerweile wohnen. Diesmal sind wir am Sonntag bei Studienfreunden von mir eingeladen. Deren 13-Jähriger Sohn empfängt uns, noch bevor wir es in die Wohnung schaffen, mit einem lautstarken, in den Flur hallenden: „Wie zum Henker kann man denn bloß 50 Kilometer LAUFEN?“
Erzähle ich ihm jetzt, dass andere viel, viel weiter laufen und viel, viel schneller? Ach, vielleicht erst beim Kaffee. Als mittelalte Läuferin von einem sportlichen Teenager bewundert zu werden ist ja auch mal ganz nett.
Text: Sonja Schmitt
Fotos: Evelin Schneyer, Tom Schmitt, Sonja Schmitt
PS: Alle Ergebnisse könnt ihr bei RaceResult einsehen.
Es macht Mega-Spaß Deinen Bericht zu lesen. Informativ, kurzweilig und lustig!
Danke! Da macht das Schreiben gleich wieder mehr Spaß :-)!
Hach, was für ein schöner Bericht wieder 🙂
Jörn, dem ist nichts hinzuzufügen. 🙂
Vielen Dank für die Blumen – durch den Team-Erlebnis gab es ja auch einiges zu schreiben ;-).