Die Mauerwegläufer Andreas Deák, Stefan Bicher und Alexander von Uleniecki umrundeten im März den Balaton, das ungarische Meer. Ein viertägiges Laufabenteuer, das Emotionen weckte und sicherlich lange in Erinnerung bleiben wird. Alexander hat seine Gedanken in Worte gefasst.

In jenem Moment, in dem ich diese Zeilen schrieb, waren meine Beine noch schwer, die Augenlieder wollten sich nur schwerlich öffnen, das Bett ist mein Partner, und doch war es wieder diese wohlige Müdigkeit, die mich immer so liebevoll umarmt, wenn ich meinen Körper gefordert und meine Seele habe streicheln lassen. Dieser wunderbare Zustand ist es vor allem, der mich in die Laufschuhe und auf die Strecken dieser Welt zieht. Ich brauche keine Drogen. Meine Sucht nach Leben wird auf andere Weise gestillt. Häufig harte Arbeit, die sich aber lohnt…

Die Vorgeschichte

Andreas ist mein liebster Freund! In Berlin geboren, mit ungarischen Wurzeln, an der „Plumpe“ (im Berliner Stadtteil Wedding) großgeworden, mit Judit (einer waschechten Ungarin) seit fast drei Jahrzehnten ein unzertrennliches Paar. Andy und ich hätten wahrscheinlich schon als Kinder Indianer gespielt oder irgendeinen anderen Blödsinn angestellt. Ich mag seinen manchmal schelmenhaften Humor und seine Direktheit, seinen grundehrlichen Charakter. Eben ein Mensch, den man gerne schnell und dann fest ins Herz schließt! Ich erwähne das deshalb, weil es Andreas war, der mich mit seinen Gedankenspielen verführte, den Balaton (Plattensee) zu umrunden. Seinen See, an dem er große Teile seiner Kindheit und seiner Jugend in den Ferien verbracht hat. Das Problem war nur, dass Andreas erst vor dreieinhalb Jahren mit der Lauferei angefangen hat, ihm auch die Erfahrung mit Mehrtages-Läufen im Ultramarathon-Bereich fehlte. Und doch spürte ich seine Kraft und diesen starken Willen, sich diesen Traum unbedingt erfüllen zu wollen.

Die Anreise zum Balaton

Von Berlin aus geht’s mit dem Auto in etwa zwölf Stunden. Der Zug inklusive Schlafwagen ist auch eine gute, vielleicht sogar entspannte Alternative. Ich entschied mich für einen günstigen 85-Euro-Easyjet-Flug von Schönefeld nach Budapest. Den Tag vor dem eigentlichen Lauf verbrachte ich bei Verwandten und Freunden von Andreas, in einem winzigen Ort etwa 130 Kilometer vom Start-Ort Siofok entfernt. Gastfreundschaft pur – ein kleiner Vorgeschmack auf die nächsten Tage. Eine letzte Aufwärmrunde um den Ort (12 Km), dann noch ein paar ungarische Obstschnäppse (für mich ungewohnt) zum besseren Einschlummern…

Es kann losgehen….!

Etliche Teilnehmer haben die Nacht vor dem Start im Hotel Aranypart in Siofok verbracht. In diesem Hotel (3 Sterne, nicht ganz neu, aber sauber und mit einem sehr freundlichen Personal) befindet sich auch das Rennbüro. Zwar gibt’s sicherlich noch einige andere freie Hotels und Pensionen in der näheren Umgebung, aber die Buchung eines Komplett-Pakets (Startgebühr und Hotel mit Halbpension) lohnt sich in jedem Fall. Alles ist unter einem Dach, man lernt die Mitläufer(innen) schnell(er) kennen, das Gepäck wird gleich vor der Haustür für den Weitertransport fertiggemacht, und um leckere und reichhaltige Mahlzeiten muss man sich auch keinen Kopf machen – alles ist perfekt organisiert! Ein weiterer Vorteil: Man bekommt die neuesten Infos und Gerüchte, die mit so einem Lauf verbunden sind, schneller mit! Und wenn man dann noch einen Lauf- und Hotelgenossen wie Andreas zur Seite hat, der fließend ungarisch spricht und gleich weiss, was Sache ist, muss man sich eigentlich um (fast) nichts mehr kümmern… Überhaupt zeigt sich beim „Balaton-Szupermaraton“ die ganze Erfahrung des Orga-Teams, denn schließlich veranstaltet man seit Jahren den Budapest-Marathon sowie andere große Läufe in Ungarn. Der Verein, der hinter all dem steht, ist ungefähr vergleichbar mit dem SCC in Berlin.

Insgesamt haben sich rund 180 Läuferinnen und Läufer für die fünfte Auflage der Balaton-Umrundung angemeldet. Dazu kommen noch zahlreiche Staffeln, Marathon- und auch Halbmarathonläufer. Gestartet wird die 1.Etappe direkt am Ufer des Plattensees. Das Wetter hätte nicht schöner sein können: Blauer Himmel und Sonnenschein, allerdings zu Beginn mit 13 Grad noch recht frisch. Der Blick vieler Teilnehmer schweift vor dem Startschuss noch einmal ungläubig zum in weiter Ferne liegenden Ufer auf der anderen Seite des ungarischen Meeres. Dort hinten irgendwo werden wir über- oder überübermorgen entlanglaufen? Einige Ultra- und Etappenläufe stecken bei mir zwar schon in den Knochen, aber man ist doch immer wieder fasziniert, zu was der Mensch aus eigener Kraft in der Lage ist – in diesem Fall zum Glück im positiven Sinne!

Der Startschuss ertönt, begleitet von wummernder 80er-Disco-Mucke setzt sich der lange Läufertross in Bewegung. Andreas und ich, schon von weitem an unseren neongelben Shirts der Mauerwegläufer zu erkennen, wollen es langsam angehen lassen. Bloß nicht zu schnell, habe ich Andy immer wieder gepredigt. Denn wer bei einem solchen Mehrtageslauf losprescht wie bei einem gewöhnlichen Marathon, hat vielleicht schon verloren, bevor es richtig losgeht. Abgerechnet wird zum Schluss – dieser abgedroschen wirkende Spruch gilt vor allem hier und jetzt! Ein 6:30er-Schnitt soll’s zunächst sein. Dieses Tempo kennen wir vom MauerwegLauftreff, das kann jeder von uns laufen. Wir treffen auf Stefan Bicher aus Berlin, ebenfalls ein Mauerwegläufer, sowie auf Ralf und René – auch sie kommen aus der Hauptstadt. Auch Mirko Leffler, der schon bei der 100MeilenBerlin-Premiere dabei war, will die insgesamt 195,4 Kilometer unter die Füße nehmen. Der See liegt zur rechten Seite des Radwegs, erinnert aber durch seine hellblaue, ins Türkis übergehenden Farbtöne, eher an ein Meer als an ein Binnengewässer. Wir genießen die Sonnenstrahlen, Andreas erzählt viel über seine zweite zweite Heimat nach Berlin. Zum Beispiel erfahre ich, dass die zur Verkehrsberuhigung eingebauten Bodenwellen in Ungarn, nicht ohne spöttischen Hintersinn, „liegende Polizisten“ genannt werden. Später wäre ich fast über einen solchen Beton-Polizisten gestolpert. Die Schritte werden halt mit zunehmender Km-Zahl immer flacher…

Häppchen und Erfrischungen

So ein Lauf steht und fällt auch mit der Qualität der Verpflegungsposten. Beim Balaton-Szupermaraton sind diese VPs alle 5 bis 7 Kilometer voneinander entfernt, schon aus relativer Ferne gut an den blauen Foliendächern zu erkennen. Kleine Hinweisschilder verraten u.a. die bisher gelaufenen Kilometer und die Distanz bis zum nächsten VP, auch in englischer Sprache. Am Stand selbst herrschen Ordnung und Vielfalt: Zuerst kommen die Getränke. Blau ist hier das Iso-Getränk, das ich den nächsten Tagen regelmäßig zu mir nehmen werde und gut vertrage. Das obligatorische Wasser gibt’s, ebenso vom ersten bis zum letzten VP Cola und einen erfrischenden Limo-Bier-Mix. Bier und Sport? Nun, da mag es unterschiedliche Philosophien und Ansichten geben, aber vor allem bei kleineren Magenproblemen kann Gerstensaft manchmal Wunder wirken. Meine persönliche Erfahrung. Neben den Getränken auf einen Extra-Tisch folgt das kleine Läufer-Buffet, das alles bietet, was man zumindest als Genussläufer so braucht. Und dies vor allem mundgerecht vorbereitet, denn alles – ob nun die Butterbrotscheibchen, die Snickers-Riegel oder die Äpfel – alles wird vorab von den Helfern in kleine Häppchen geschnitten. Auch die getrockneten Aprikosen sind eine gute Idee, ebenso die Zitronen- und Orangenschnitten. Doch, die Verpflegungsposten sind ein Motivationsfaktor! Nicht unwichtig bei einem Lauf über mehrere Tage.

Andreas und sein rechtes Knie

Man läuft und läuft, freut sich auf die nächste Verpflegung, die Kilometer vergehen gerade auf der ersten Etappe teilweise wie im Flug. Aber zwischen Kilometer 30 und 35 wird Andreas merklich langsamer, die Lockerheit vom Anfang ist wie weggeblasen. Der Schnitt von 6:30 Minuten pro Kilometer inklusive der Pausen erweist sich als zu schnell für das rechte Knie von Andreas, die Schmerzen sind zu stark. Ein altes Problem, das jetzt wieder auftaucht. Wir treffen die Entscheidung, unabhängig voneinander weiter zu laufen, jeder in seinem Tempo. Mich plagen fortan Gewissensbisse: War es richtig, Andreas zurückzulassen? Oft ist es aber in der Tat so, dass man mit einem Problem alleine manchmal besser klarkommt, als wenn einer mit guten Ratschlägen nebenher trabt. Gleichzeitig war ich davon überzeugt, dass Andreas mit seinem positiven Lebensgeist und seinem Kampfeswillen auch diese Hürde meistert. Mit gemischten Gefühlen erreiche ich nach 46,7 Kilometern das Ziel in Fonyod, wo am nächsten Tag die zweite Etappe startet. Was ist aus Andreas geworden? Während ich warte, lerne ich im Zielbereich Annette Reim aus Simmozheim bei Stuttgart kennen. An Unterhaltung mangelt es nicht, denn wenn es eine Läuferin gibt, die ebenso ausdauernd laufen wie quasseln kann, dann ist es Annette! Die Frau ist ein kommunikatives Phänomen und derart erfrischend liebenswürdig, dass man sie einfach in sein Herz schließen muss! Während wir redeten und redeten, tauchte endlich ein neongelber Punkt am Horizont auf: Andreas!! Noch in der Zeit, aber mit schmerzverzerrtem Gesicht quälte sich der Sportwart der LG Mauerweg durch Ziel. Und schnell war klar, dass seine weitere Teilnahme an der 2.Etappe und damit an der Balaton-Umrundung auf des Messers Schneide stand. „Nochmal solche Schmerzen halte ich nicht aus“, so die Worte von Andreas. Noch blieben aber einige Stunden Zeit, sich zu regenerieren. Und genau auf diese Phase kommt es bei Etappenläufen an: Ausruhen, viel Essen, vielleicht noch eine Massage, aber dann auch so früh wie möglich in’s Bett. Und Beine hochlegen! Zunächst aber fuhr uns der Bus von Fonyod zurück ins Hotel nach Siofok.

Ein Buffet und das große Bangen

Was den Reiz von Mehrtagesläufen ausmacht, ist nicht nur das lange Laufen an sich, sondern das Erleben der Gemeinschaft. Ob im Bus oder im Hotel – man kommt mit anderen Läufern schnell ins Gespräch, man lernt sich kennen und tauscht sich aus, man spricht über den nächsten Tag und die aktuellen Wehwehchen. Zentraler Treffpunkt ist dabei allabendlich das Hotel-Buffet. Es ist läufergerecht, d.h. viel Kohlenhydrate in Form von Nudeln und Pommes, aber auch Fleisch in verschiedenen Variationen. Die Küche in Siofok ist auf den Ansturm der nimmersatten Ultraläufer vorbereitet – die Mengen sind ausreichend, niemand muss darben. Andreas steckte trotz alledem im Stimmungstief, denn sein Start am 2.Tag war völlig ungewiss. Ich versuchte, ihm mit ruhigen Worten diese Sorge zu nehmen. Wie oft hatte ich mich in vergleichbaren Situationen befunden, wollte aufgeben und keinen Zentimeter mehr laufen. Aber gleich nach dem ersten Tag? Andreas versorgte sein Knie mit Kühlgel und ging vernünftigerweise früh zu Bett. Der Vorteil war und ist, dass man es doch in so einem Hotel recht komfortabel hat. Kein Vergleich mit nervigen Hallenübernachtungen, die einem häufig den notwendigen Schlaf rauben – sei es durch das Geknarze des Hallenbodens oder durch notorische Schnarcher. So aber bleibt alles im ruhigen Rahmen, denn Andreas ist – welch ein Glück – ein beinahe lautloser Schläfer.

Der zweite Tag der Wahrheit

Für mich sind, und das soll nicht überheblich klingen, solche Läufe über mehrere Tage inzwischen Routine. Nach zweimaliger Isar-Run-Teilnahme und dreimal Baltic-Run hat man sich an die Abläufe gewöhnt, auch der Körper stellt sich verhältnismäßig schnell auf die Belastung ein. Für Andreas aber war es Neuland: Eigentlich wären nach so einem ersten Tag und den Knieproblemen mehrere Regenerationstage vonnöten gewesen, aber dazu bleibt keine Zeit. Das Ziel heisst Siofok, eine Runde um den Balaton! Kurz vor dem Start in Fonyod, zu dem wir wieder mit Bussen gefahren wurden, ließ sich Andy das Knie von Sanitätern nochmal kühlen. Das Wetter: Weiterhin schön, also blauer Himmel und Sonne, dazu wieder ein frisches Lüftchen. Gestartet wird auf der zweiten und dritten Etappe zeitversetzt bzw. nach den Ergebnissen des Vortages. Der Sprecher ruft fast im Sekundentakt die Namen der Läufer auf. Man geht dann vor zur Startlinie, steckt seinen Chip wie bei einer Stechuhr in das dort installierte Messgerät, und los geht’s! Ich laufe wieder alleine, Andreas beginnt seinen Lauf ins Ungewisse mit einem Abstand von ein paar Minuten nach mir. Diesmal gemeinsam mit René Gnauert, Busfahrer aus Köpenick. Beide passen wie die Faust auf’s Auge zusammen, beide Läufer haben mal auf dem Bau gearbeitet. In diesem menschlichen Gemisch steckt jede Menge Vertrautheit. Ich selbst fühle mich wohl, zeitweise leistet mir Annette Gesellschaft, die mit ihrer tollen Laune jeden anstecken kann. Ich nehme mir vor, weiter mein gleichmäßiges Tempo beizubehalten, denn es liegen ja noch zwei Tage vor uns. Die Strecke selbst verläuft weiter zu Großteilen am See entlang. Fordernd sind jene Stellen, an denen man den ufernahen Weg Richtung Hauptstraße verlässt, die etwas oberhalb des Balaton liegt. Es sind keine extremen Steigungen, aber sie ziehen sich in die Länge. Schnurgerade. An der Straße angekommen, folgt man dem Radweg, der parallel verläuft. Wie geht es Andreas? Bei Kilometer 20 rufe ich ihn an. Nein, euphorisch ist er nicht, aber doch immerhin guter Dinge, diesen kritischen und ungewissen zweiten Tag zu meistern. Das Ziel dieser Etappe befindet sich unterhalb einer Burg auf einer Anhöhe. Zunächst 400 Meter leicht ansteigend, dann die letzten 150 Meter eine Rampe aus Kopfsteinpflastern, bevor schließlich der erlösende Zielbogen erscheint und die Lautsprecher dröhnen. Von dort oben hat man einen prima Blick auf den letzten Kilometer der Etappe. Mit Annette blicke ich auf die Läuferinnen und Läufer, die sich – zunehmend müder werdend – zum Schlussanstieg aufmachen. Den Blick haben wir nur für das neongelbe Trikot von Andreas, das doch endlich dort unten erscheinen muss… Die Zeit zerrinnt. Das Limit, bis zu dem man das Ziel erreicht haben muss, rückt bedrohlich näher. Da! Das müssen sie sein! Andreas erkenne ich sofort, auch am kräftigen Laufstil. Neben ihm René. Während ich am Anstieg größtenteils gegangen war, haben die Beiden tatsächlich noch die Kraft, den Berg hinaufzulaufen! Wahnsinn! Ich schreie sie nach vorne. Versuche zu folgen, aber sie sind zu schnell. Ein Ungar drückt Andy eine Flasche Palinka, ungarischen Schnaps, in die Hand. Der nimmt einen satten Schluck aus der Pulle, brüllt seine Freude hinaus, und setzt zu einem grandiosen Schluss-Berg-Sprint an. Unglaublich! Andreas ist im Ziel! Freudentränen kullern, wieder so ein Gefühl: Du kannst die ganze Welt umarmen!

Backofen und Zeitmaschine

Die Temperaturen setzen auch am dritten Tag ihren Aufwärtstrend fort. Bis zu 20 Grad im Schatten werden diesmal erwartet. Nur Schatten gibt es entlang des Balaton relativ wenig. Erwischt mal man einen, etwa entlang einer Gartenmauer in einem der Dörfchen, merkt man den Unterschied beim Laufen sofort. Einfach erfrischend! Erschwerend kommt noch hinzu, dass der Wind, der bisher immer wieder für eine kühle Brise sorgte, diesmal seine Tätigkeit einstellt. So fühlen sich 20 schnell wie 25 Grad und mehr an. Immer wieder erinnern einen die Helfer an den Verpflegungsposten daran, viel zu trinken. Ich bin zwar schon heissere Strecken gelaufen, aber es ist doch immerhin so warm, dass mir für Sekunden das Lied „Bakerman“ aus den 80ern durch den Kopf geht. Der Veranstalter hat ein Einsehen und verlängert am Ende das Zeitlimit doch noch um eine halbe Stunde. Vernünftig! Gedanklich bin ich auch bei Andreas. Was muss der Bursche heute leiden, wenn selbst ich auf dem Zahnfleisch gehe!? Aber auch jetzt bin ich mir sicher, dass Andreas das Ding schon irgendwie schaukeln wird. Diese mentale Stärke ist es, die einen guten Ultramarathonläufer auszeichnet, auch wenn er mit dem Laufen erst vor wenigen Jahren begonnen hat. Und stark ist Andreas, vor allem menschlich. Hatte ich schon erwähnt, dass ich glücklich bin, so einen Freund zu kennen? Dann sag‘ ich es halt nochmal… Die letzten Kilometer vor dem Ziel in Balatonfüred ziehen sich wie ein Kaugummi. Immer wieder kreuzen Menschen die Strecke, denn die Schlussgerade führt mitten über die dichtbevölkerte Seepromenade. Das nervt zwar einerseits, aber mit Sichtweite des Zielbogens überwiegt dann doch die Euphorie und Freude über das Geleistete. Unmittelbar unter dem Bogen mache ich einen kleinen Freudensprung, der inzwischen mein Facebook-Profil ziert. Ein Kinderspiel – ganz im Gegensatz zu dieser hitzigen Etappe! Herrlich ist die Nähe zum See. Nur wenige Meter vom Zielbereich entfernt kann man seine müden Füße ins doch noch recht kalte Wasser des Balaton eintauchen und den Blick einfach nur schweifen lassen. Im Zeitlimit bleiben auch Andreas und René, die wieder im Team unterwegs waren und gemeinsam diesen Kampf gewonnen haben. Aber was für ein Kampf! Auch jetzt – Wochen nach dem Szupermaraton – gehen mir die Bilder nicht aus dem Kopf: Andreas wirkt völlig ausgemergelt, gealtert um mindestens zehn Jahre, wenn nicht mehr! Er hat wieder alles gegeben, alles. Und ging dafür sogar durch die Zeitmaschine! Aber dennoch schafft es der Körper, sich innerhalb weniger Stunden wieder zu regenerieren. Ein kleines Wunder! Das Ritual nach einer solchen Etappe bleibt auch in Balatonfüred unverändert: Gleich unter die Hotel-Dusche, alle Getränke aus dem Versorgungsbeutel des Veranstalters plündern (Eistee, Radler, Iso), das abendliche Buffet mit mindestens zwei Nachschlag-Runden genießen. Und wenn man danach nicht zu müde ist, darf es noch eine Massage sein. An die sechs Damen und Herren bieten diesbezüglich und kostenfrei ihre Dienste an.

Der letzte Tag ist nur noch Kür

Wer drei Tage geschafft hat, lässt sich so schnell nicht mehr von seinem großen Ziel abbringen, die Balaton-Umrundung zu vollenden! Und wenn’s auf allen Vieren sein sollte: Irgendwie kommt man schon ins Ziel. Den Gesichtern der Läufer kann man am Start eine gewisse Gelöstheit ablesen, eine Vorfreude auf das große Finale. Die Strecke ist zum Schluss nochmal überaus attraktiv, vor allem die herrliche Aussicht etwa 10 Kilometer vor dem Ende. Nach einem steilen Anstieg erreicht man dort ein Plateau, von dem man fast den gesamten Plattensee überblicken kann. Das sonnige Wetter rundet das harmonische Gesamtbild ab. So euphorisiert lasse ich es auf den letzten Kilometern nochmal richtig laufen, ich werde schneller. Zugegeben: Die Musik auf den Ohren puscht in diesem Moment gewaltig, weckt Emotionen und Kräfte. Nur auf den letzten beiden Kilometern vor Siofok geht fast gar nichts mehr, denn hier an der Uferpromenade bläst der Wind einem derart heftig ins Gesicht, dass ein Vorankommen nur im Zeitlupentempo möglich ist. Dann ist der Zielbogen endlich erreicht… die Glücksgefühle, die in diesem Moment durch den Körper schießen, muss ich nicht näher beschreiben…! Ähnlich ergeht es meinem besten Freund und Mitstreiter Andreas, denn für ihn geht nach all den Qualen ein großer Traum in Erfüllung – er hat „seinen“ Balaton umrundet. Und dies bestimmt nicht zum letzten Mal…!