Partnerschaftslauf: 102 Kilometer sind länger als man glaubt
Kurz vor Sonnenaufgang geht es im lockeren Laufschritt auf den Jakobsweg.

Zum dritten Mal starteten zehn Läuferinnen und Läufer zum Partnerschaftslauf in Ośno Lubuskie in Polen und nahmen die 102 Kilometer lange Strecke unter ihre Füße. Ohne die gute Verpflegung von Annina Jürgensen, Alexander von Uleniecki und Harald Reiff – sie wechselten sich ab, um alle auch selbst einen Teil der Strecke zu laufen – wäre die Distanz bei den schwül-warmen Temperaturen von 30 Grad kaum zu bewältigen gewesen. Erst ein Gewitter am Nachmittag und ein kräftiger Schauer kurz vor dem Ziel gaben eine Abkühlung. Nach rund 17 Stunden erreichten die letzen Läufer erschöpft und durchnässt die Festmeile des Eichwalder Rosenfestes in der Bahnhofstraße. Mauerwegläufer Jörg Levermann schildert seine Eindrücke.

Optimistisch sehen die Läuferinnen und Läufer dem Laufabenteuer von Ośno Lubuskie nach Eichwalde entgegen.
Optimistisch sehen die Läuferinnen und Läufer dem Laufabenteuer von Ośno Lubuskie nach Eichwalde entgegen.

Es dämmert, als sich die Gruppe  um kurz vor vier bei frischer, angenehmer Morgenluft am Rathausplatz zum Briefing trifft. Es sind Andrea Möhr, Annina Jürgensen, Hilal Akkus, Arne Funke, Olaf Graf, Steffen Sens, Harald Reiff, Alexander von Uleniecki, Jörn Künstner und ich selbst. Andrea, Olaf, Steffen und Jörn starten damit in ihren ersten Hunderter.

Harald übernimmt als erster die Verpflegung. Alle wirken trotz des wenigen Schlafs gut gelaunt und voller Tatendrang. Hilal und Arne haben es besonders schwer, denn sie sind mit der Bahn in der Nacht bis Frankfurt an der Oder und dann mit dem Taxi zum Start gereist und haben daher kaum ein Auge zugedrückt. Schnell noch ein Startfoto mit dem Rathaus im Hintergrund, dann geht es im lockeren Laufschritt los in die Morgendämmerung und nach wenigen Metern aus dem Stadtkern heraus auf den Jakobsweg. Die markanten Schilder werden uns noch bis Fürstenwalde immer wieder den Weg weisen. Es ist schon so hell, dass wir auf Stirnlampen verzichten können.

Wie gemalt – Landschaften in Pastell

Ein echter Hingucker: Mohnblumen und Kornblumen am Feldrand. (Foto: Jörg Levermann)
Ein echter Hingucker: Mohnblumen und Kornblumen am Feldrand.
Die Laufgruppe im Licht der gerade aufgegangenen Sonne (Foto: Annina Jürgens)
Die Laufgruppe im Licht der gerade aufgegangenen Sonne (Foto: Annina Jürgensen)
Idyllische Morgenstimmung im Sternberger Land. (Foto: Jörg Levermann)
Idyllische Morgenstimmung im Sternberger Land.

Knapp eine halbe Stunde später schiebt sich die Sonne über den östlichen Horizont und taucht das Sternberger Land mit seinen sanften Hügeln in Pastellfarben. Bodennebel in den Senken verleiht der offenen Landschaft ein fast mystisches Aussehen.

Bald laufen wir durch Wälder an idyllischen Seen vorbei. Aber wir sind nicht allein so früh in der Natur unterwegs. Angler beobachten uns überrascht, als wir im Trab an ihnen vorbei ziehen. Gegen halb sechs erreichen wir das Dorf Lubiechnia Mała mit einer kleinen alten Kirche im Fachwerkstil. Wenige Kilometer weiter in Lubiechnia Wielka erwartet uns Harald am ersten Verpflegungspunkt.

Nun laufen wir auf schmalen, wenig befahrenen Straßen weiter über Kowalów nach Starków. Noch kommen wir mit teilweise sechs Minuten pro Kilometer gut voran. Aber schon bald, als wir weiter dem Jakobsweg durch Wälder, vorbei an Weiden und Getreidefeldern folgen, wird es warm und schwül. Kornblumen und Klatschmohn säumen die Straßenränder und Wiesen. Ein toller Anblick.

In Stare Biskupice bieten uns Männer sichtlich angetrunken ihr Frühstücksbier an – auf polnisch, versteht sich. Offenbar hatten sie vor dem Dorfkonsum die Nacht durchgefeiert.

Immer weiter auf dem Jakobsweg

Annina und Olaf im Sonnenaufgang. (Foto: Jörg Levermann)
Annina und Olaf im Sonnenaufgang.

Nach gut vier Stunden erreichen wir Słubice und wenig später den Verpflegungspunkt in Frankfurt an der Oder. Für Hilal und Arne ist hier Schluss. Ohne Schlaf sind sie einfach zu erschöpft. Da hilft auch nicht der Kaffee und Cappucino, den Annina und Harald spendierten. Annina übernimmt das Verpflegungsauto, und Harald läuft mit uns weiter.

Die Route durch Frankfurt führt uns geradewegs über einen langen Anstieg durch die Stadt zum Hirschgarten, einem ausgedehnten Waldgebiet zwischen Frankfurt und Pillgram, unserer vierten Verpflegungsstation bei Kilometer 44. Es zieht sich, die sommerlichen Temperaturen machen das Laufen jetzt schwerer. Die Gruppe dehnt sich auseinander. Andrea, Jörn und ich bilden die Nachhut, Harald, Olaf, Alex und Steffen laufen mehrere Hundert Meter vor uns.

In den Mittagsstunden erreichen wir Briesen. Es ist heiß und schwül. Andrea bekommt zunehmend Probleme, die Verpflegung bei sich zu behalten. Für Alex ist hier Schluss – so wie er es geplant hatte, übernimmt er die Verpflegung. Annina steigt wieder ein in den Lauf nach Eichwalde. Wir als Nachzügler müssen wir uns jetzt durchbeißen, unsere mentalen Stärken nutzen, um den inneren Schweinehund zu besiegen, zumindest empfinden wir das so. Die Vorhut hingegen scheint die Strecke ganz leichtfüßig zu meistern.

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Andrea und Jörn beißen sich durch

Von Briesen bis Berkenbrück weiter nach Fürstenwalde zieht sich die Strecke wie Kaugummi. Zwar macht ein leichter Wind die Hitze etwas erträglicher, aber es wird eben doch immer schwerer. Während wir am Morgen noch teilweise mit sechs Minuten pro Kilometer unterwegs waren, brauchen wir jetzt gelegentlich Gehpausen. Andrea bekommt zunehmend Schwierigkeiten und ist am Verpflegungspunkt Große Tränke nah daran, aufzugeben. Doch Alex lässt das nicht zu und behauptet, es sei kein Platz im Auto. Ganz sicher hätte er Platz schaffen können. Aber wir alle wissen, dass es Andrea hinterher bereuen würde, knapp 26 Kilometer vor dem Ziel aufgegeben zu haben. Von nun an bilden Andrea und Jörn ein Tandem, muntern sich gegenseitig auf. Die Vorhut ist guter Dinge hat große Geduld mit uns, wartet an jedem Verpflegungspunkt auf uns. Mein Tempo ist nur geringfügig schneller als das von Andrea und Jörn. So bilde ich sozusagen als einzelner Läufer das Mittelfeld.

Wetterdienst warnt vor Gewitter mit Sturm und Hagel

Ab der Großen Tränke, dort wo die Spree abzweigt und der Oder-Spree-Kanal uns geradewegs Richtung Westen führt wird der Weg zum Entsafter, erst recht bei sommerlich heißen Temperaturen. Aber die sind seit Fürstenwalde deutlich gefallen. Der Wetterdienst hatte per SMS schwere Gewitter mit orkanartigen Böen und Hagel gemeldet. Ich mache mir Sorgen. Welche Tipps kann ich geben, sollte es uns tatsächlich so hart treffen. Die Gefahr geht vor allem von umstürzenden Bäumen aus, da wir größtenteils durch bewaldetes Gelände laufen. Eine Schutzhütte aus Holz gibt da wenig Schutz. Bald blitzt und donnert es tatsächlich, aber zum Glück kein starker Wind. Der Regen bringt Abkühlung. Weit vor uns läuft die Vorhut, hinter mir das Tandem Andrea und Jörn. Ich drehe mich öfters um, um sicher zu gehen, dass sie noch da sind.

Verpflegungspunkt Spreenhagen: Mit großem Hallo werden wir von der Spitzengruppe empfangen. Das motiviert uns sehr, denn schließlich sind es jetzt nur noch etwa 17 Kilometer bis nach Eichwalde. Keiner von uns will jetzt noch das Handtuch werfen.

Mit kleinen Psychotricks dem Entsafter begegnen

Um mir die Eintönigkeit der Strecke entlang des Kanals etwas zu erleichtern, blicke ich nur stur auf den Weg, versuche möglichst größeren Steinchen aus dem Weg zu gehen. So hat der Kopf etwas zu tun. Das lenkt von den schmerzenden Füßen ab. Gelegentlich blicke ich auf, fixiere den Fluchtpunkt am scheinbaren Ende des Kanals, erkenne Wegmarken rechts und links des Kanals: Die Sand- und Kiesgrube bei Hartmansdorf mit der Verladeanlage und zwei Kilometer weiter die Försterei, wo der Weg nur kurz vom Kanal abzweigt und wieder zurück zum Wasser führt. Ich weiß, dass es jetzt nicht mehr weit bis zur nächsten Verpflegungsstation an der Friedersdorfer Chaussee an der Autobahn ist. Dort empfangen uns Alex und die Vorhut erneut mit aufmunternden Worten. Noch elf Kilometer. Andrea legt sich auf den Rücken, versucht zu entspannen. Ich versuche das auch, es tut gut.

Kalte Dusche zum Schluss

In Wernsdorf gießt es plötzlich in Strömen, da sind Annina, Harald, Olaf und Steffen schon längst in Alt-Schmöckwitz und werden von Alex umsorgt. Mike Friedl meldet sich am Telefon und erzählt, dass er nach Schmöckwitz kommt, da Alex die Spitzengruppe schon am Ziel in der Bahnhofstraße empfangen will. Die Abkühlung durch den Regen ist jetzt zu viel des Guten. Wenig später erreichen auch Andrea und Jörn den letzten Verpflegungspunkt. Seit dem vorletzten Verpflegungspunkt ist Norbert, Andreas Mann, dabei und begleitet die beiden. Wir bleiben von nun an zusammen und nehmen die letzten zweieinhalb Kilometer bis nach Eichwalde unter unsere aufgequollenen Fußsohlen. Mit großem Hallo empfangen uns Alex, Mike und Marion. Es ist kalt, wir sind erschöpft und frieren aber überglücklich, dass auch wir es geschafft haben, wie die Spitzengruppe, die wenige Minuten vor uns am Ziel war.

Text und Fotos (wenn nicht anders gekennzeichnet): Jörg Levermann