Manche Ultra-Läufe sind berühmt. Andere berüchtigt. Zu den berühmt-berüchtigten gehört der 246 Kilometer lange Spartathlon in Griechenland, der auf der historischen Strecke von Athen nach Sparta verläuft. „Vater“ des Spartathlon ist der griechische Bote Pheidippides, der 490 v. Chr. während der Perserkriege von den Athenern nach Sparta geschickt worden sein soll, um bei den Spartanern um Hilfe in der bevorstehenden Schlacht bei Marathon zu bitten. Angeblich begab er sich morgens auf die 246 km lange Strecke und kam am Abend des nächsten Tages an.

LGM-Mitglied Matthias Landwehr hat sich auf das Abenteuer eingelassen. Hier sein Bericht…

„Bereits vor Jahren habe ich vom Spartathlon gehört, der die Erzählung von Herodot nachstellt. Die teilnehmenden Läufer bewältigen die Strecke des Boten Pheidippides genau in der von Herodot überlieferten Zeit. Damals traute ich mir solch eine Strapaze noch nicht zu, da ich bei allem, was ich angehe, auch immer meine Gesundheit im Blick behalte.

 

Autor Matthias Landwehr vor der Akropolis.
Autor Matthias Landwehr vor der Akropolis.

Über die letzten Jahre hatte ich schon viele lange Ultraläufe absolviert und damit bereits einige vormals für unmöglich gehaltene Läufe heil überstanden. Bei der Tortour de Ruhr 2014 und dem Mauerweglauf 2015 habe ich dann – ohne es zu wissen – jeweils die aktuelle Qualifikation für den Spartathlon 2016 erlangt. Als mir dies klar wurde, wuchs in mir der Wunsch, das Projekt Spartathlon anzugehen und mir damit einen Traum zu erfüllen. Zur formellen Vorbereitung musste ich alles an Urkunden einscannen, einige Formulare ausfüllen und bereits am 15. Januar an den deutschen Team-Captain Ralf Simon mailen. Bereits 24 Stunden später kam die frohe Nachricht, dass ich einen Platz beim Spartathlon 2016 ergattert hatte.

Nun galt es, mein Laufjahr mit den weiteren Höhepunkten Tortour de Ruhr über 230 km im Mai und die 100 Meilen beim Mauerweglauf im August beschwerdefrei zu überstehen, um damit genug Härte für die “inoffizielle Weltmeisterschaft der Ultra-Läufer in Griechenland” aufzubauen.

Ausdauer aufbauen, Fettstoffwechsel optimieren
Mit möglichst vielen „Überdistanzläufen“ zum Aufbau der notwendigen Ausdauer, Tempohärte und einem optimierten Fettstoffwechsel setzte ich den Focus im Training mit bewusst gewählten Läufen. Es seien hier die Marathons in Paris und Hamburg sowie die 100 km in Solingen (mit dem Spezialtraining von vorher 20 Stunden Schlafentzug) genannt.

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Sie sind der Meinung, das war…. spitze! Oder vielmehr: Das wird spitze! Matthias im Olympia-Stadion.

Nach der Tortour de Ruhr hatte ich das Gefühl, zwei Wochen mit jeglichem Lauftraining pausieren zu müssen. Der Körper sollte die Zeit haben, sich komplett zu erholen.

Von da an lief alles nur noch perfekt.

Über die 100 km von Biel, wo ich mit angezogener Handbremse trotzdem meine Bestzeit um 10 Minuten unterbieten konnte, ging es zum Triple-Marathon vom niederländischen Eelde nach Wardenburg, wo ich wieder drei auf meinem Niveau richtig gute Marathons absolvierte. Mein  schönster Lauf in der Vorbereitungsphase  war der Mauerweglauf in Berlin am 13. August 2016 – genau 55 Jahre nach dem Mauerbau. Ich konnte mein avisiertes Tempo halten und im Verlaufe des Rennen viele Mitläufer bis zum Ziel überholen, was mir bei den vorherigen „Mauerweg“-Teilnahmen noch nie gelungen war. Eine neue Bestzeit von 19:43 Stunden (22. Platz in der Gesamtwertung und 3. Platz in der internen Wertung der LG Mauerweg) waren ein grandioses Ergebnis für mich.

Dasdeutsche Spartathlos-Team.
Das deutsche Spartathlon-Team.

Zwei Wochen nach dem Großereignis in Berlin lief ich den lokalen 104 km Wappenweg-Lauf rund um Bielefeld, der bei heißen 36 Grad extreme Bedingungen mit sich brachte. Ähnlich wie beim heißen Mauerweglauf 2015 gelang mir die Renneinteilung gut und ich konnte hinten raus das Tempo obendrein noch erhöhen.

Ich fühlte mich gut vorbereitet für das, was mich in Griechenland erwarten sollte. Über die Jahre habe ich viele Berichte zum Spartathlon gelesen und Videos gesehen und mir immer wieder erträumt, bei der Statue von Leonidas in Sparta anzuschlagen.

Auf geht´s nach Griechenland – zum Laufen und Urlaub machen!
Die Reise zum Spartathon bedeutete gleichzeitig auch meinen Jahresurlaub. So habe ich vor und nach dem dem Raceday  (Freitag auf Samstag) noch ein paar Tage dazu gebucht. Also bin ich bereits am Montag angereist und war gefühlt einer der ersten Spartathleten in dem Hotel, in dem die deutschen und französischen Mannschaften untergebracht waren. Also konnte ich erst einmal das Zimmer alleine beziehen und habe sehr gut geschlafen!

Laufen, wo andere (nur) Urlaub machen: Matthias auf der Küstenstraße, hoch über dem Meer.
Laufen, wo andere (nur) Urlaub machen: Matthias auf der Küstenstraße, hoch über dem Meer.

Bei dem Spartathlon bucht man das Hotel direkt  mit dem Lauf, wobei die meisten Läufer nur das Standardpaket buchen, welche das Doppelzimmer im Hotel in Athen von Mittwoch bis Freitag und Sonntag bis Dienstag einschließt. Weiterhin ist das Hotel in Sparta von Samstag auf Sonntag inkludiert, so auch  Bustransfer zurück nach Athen und außerdem die große Feier am Montagabend in Athen.

Den Dienstag habe ich fleißig zum Sightseeing genutzt und mir die Akropolis und Athen angesehen. Vom etwas auswärts gelegenen Hotel kommt man sehr günstig und komfortabel mit der Tram in die Innenstadt. Das Wetter war top, aber es wurde leider von Tag zu Tag immer heißer, was in der Woche zuvor noch ganz anders ausgesehen hat. Bei der Akropolis treffe ich auch den ersten anderen Läufer Yannis aus Belgien und quatsche kurz mit ihm und seiner Frau Lien.

Natürlich nutze ich auch die Möglichkeit und schaue mir das olympische Leichtathletik-Stadion an und drehe dort ein paar Runden auf der Tartan-Bahn. Ein unglaublich bewegender Moment für mich!

Einstimmung mit schnarchenden Franzosen
Als ich aus der Innenstadt zurückkehre, ist aus meinem Zweibettzimmer ein Dreibettzimmer geworden und ich darf mir die Nacht mit zwei netten, aber schnarchenden Franzosen teilen. Christian ist zum ersten Mal hier. William läuft den Spartathlon zum achten Mal und hat letztes Jahr zum ersten Mal gefinisht! In der dritten Nacht ziehe ich um zum deutschen Team-Captain Ralf und kann mich wieder nett auf deutsch unterhalten!

Hier schnarchen sie noch nicht: die französischen Zimmergenossen William und Christian.
Hier schnarchen sie noch nicht: die französischen Zimmergenossen William und Christian.

Das Hotel ist zwar mit Vollpension, jedoch ist das Essen ist nicht jedermanns Geschmack, wobei ich als Vielfraß mich nicht beschweren kann und trotzdem immer gut satt geworden bin.

Das Briefing für das Rennen findet am Donnerstag in einem benachbarten Hotel statt. Vorher kann man seine Dropbags in dafür vorgesehenen Kartons deponieren. Bei diesem Lauf gibt es insgesamt 74 Verpflegungsstationen, die alle 3-5km voneinander entfernt sind und auch alle Dropbags aufnehmen. Aus diesem Grund habe ich meine Planung zu Hause bereits so weit vorangetrieben, Beutel mit meiner Startnummer und der jeweiligen VP-Nummer und meinem Namen zu beschriften – für alle VPs. Damit war ich schon definitiv sehr auffällig, denn das haben die Griechen noch nie erlebt, dass jemand so akribisch jeden Verpflegungspunkt mit Beuteln versorgt hat.

Beutel mit tauringedopten Gummibärchen
Meine Beutel enthielten alle Tagungstiger-Gummibärchen (mit Taurin) und meist auch ein Gel. Nach 50 km waren zum 1.Mal Ersatzschuhe und ein frisches T-Shirt deponiert. Weiterhin habe ich Akku-Packs und meine Salz- und Heilerde-Tabletten-Vorräte über die Strecke deponiert, damit ich diese nicht von Anfang an mitschleppen musste. Für die Nacht waren außerdem eine Stirnlampe sowie eine Jacke/dicke Weste vor dem Sangas Pass bereit gelegt.

Bei den meisten VPs wurden einem die Beutel auch gleich angereicht oder sie waren auf einem Tisch leicht einsehbar aufgereiht.

Transfer direkt an den Fuß der Akropolis
Am Freitagmorgen werden wir mit dem Bus vom Hotel abgeholt und direkt an den Fuß der Akropolis gebracht.

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Adrenalin pur: Kurz vor dem Start am Fuß der Akropolis.

Hier ist der Start pünktlich um 7 Uhr morgens und die 370 Läufer brausen in einem ordentlichen Tempo runter durch die Straßen von Athen. Es geht über die breite Hauptstraße raus aus der Stadt gen Nordwesten und dort auf eine Autobahn, wo wir auf dem Standstreifen über mehrere Kilometer neben dem morgendlichen Stau herlaufen.

Danach geht es vorbei an Raffinerien, deren Geruch mir das “Flair” der früheren DDR vermittelt haben. Zu diesem Zeitpunkt war ich trotz guter Verfassung bereits sehr weit hinten und wunderte mich, dass ein Polizeiauto über mehrere Kilometer mit Blaulicht neben mir herfuhr und den Verkehr so auf mich als Läufer aufmerksam machte.

Schock bei Kilometer 45
Bei Kilometer 45 erlebte ich einen regelrechten Schock. Der Rennleiter teilte mir unverblümt mit, ich habe nur noch fünf Minuten bis zum Cut-off-Zeitlimit des jeweiligen VPs, dann sei ich “RAUS”. Da habe ich mich doch gleich einmal etwas mehr am Riemen gerissen und das Tempo schlagartig erhöht, was natürlich mit einer wesentlich höheren Herzfrequenz verbunden war.

Jaaaaaaaa! Ich bin dabei! Autor Matthias Landwehr auf der Brücke über den Kanal von Korinth.
Jaaaaaaaa! Ich bin dabei! Autor Matthias Landwehr auf der Brücke über den Kanal von Korinth.

In Nemea waren es dann 15-20 Minuten, die ich auf den Cutoff rausgelaufen war, was natürlich immer noch nicht besonders beruhigend ist und z.B. durch einen längeren Toilettengang oder eine Verschnaufpause  im Nu aufgebraucht wäre. Aber ich bin locker weiter gelaufen, habe mir meinen Kopf immer ordentlich runtergekühlt, indem ich mein kleines Handtuch nass unter die Mütze klemmte.

Bei Kilometer 60 habe ich dann die ersten anderen deutschen Läufer überholt, was bedeutet, dass ich bis dahin der letzte Deutsche und vermutlich auch insgesamt sehr weit hinten im Feld gewesen bin.

Auch den Italiener Massimo, den ich beim Mauerweg-Lauf in diesem Jahr getroffen habe, konnte ich nun überholen und nach zwölf

Uhrenzwischenstand bei km 100.
Uhrenzwischenstand bei km 100.

Stunden die 100-km-Marke knacken. Was ich in „Biel“ noch für eine ordentliche Zeit hielt, ist hier beim Spartathlon leider nur ganz knapp vor dem Besenwagen zu werten. Trotzdem bin ich gut vorangekommen und meine Dropbags-Planung mit den Gels und Gummibärchen haben sehr gut funktioniert.

Keine großen Pausen mehr
Bei jedem VP habe ich nur kurz angehalten und einen Schluck getrunken bzw. etwas gegessen, aber keine großen Pausen eingelegt. Bereits sehr früh stellte sich raus, dass ich meine Akku-Kapazitäten für mein Handy, welches den Track live in die Welt sendete, falsch berechnet habe und das Handy ziemlich platt war. Aus diesem Grund konnten meine “Follower” zu Hause in Deutschland und damit auch meine WhatsApp-Gruppe ab km 93 meinen Verbleib leider nicht mehr direkt nachverfolgen, sondern mussten über die „großen“ VPs (die mit ChampionChip-Matte ausgestattet waren) schauen, in welchem Abschnitt auf der Strecke ich mich gerade aufhielt.

Dunkel war´s, die Stirnlampe schien helle: Matthias in der Nacht.
Dunkel war´s, die Stirnlampe schien helle: Matthias flößt griechischen Autofahrern Respekt ein.

In die Nacht rein bin ich mit dünner Jacke gelaufen und habe mich über meine sehr helle Stirnlampe gefreut, die den chaotischen griechischen Autofahrern ordentlich Respekt eingeflößt hat. Erst bei Kilometer 150 konnte ich zu dem Berliner Mike Hausdorf aufschließen (Anm. der Red.: der ebenfalls einen Bericht über den Spartathlon geschrieben und auf seinem Blog veröffentlicht hat) und wir sind zusammen die letzten Kilometer bis zum Sangas Pass über Serpentinen hochgejoggt bzw. gewalkt.

Es war zum Teil so steil, dass an Laufen nicht zu Denken war. Auch die beiden Zwillinge Frank und Rüdiger Burger waren bei uns, als wir nach knapp 22 Stunden mit dem Sangas Mountain Top den höchsten Punkt der gesamten Strecke erreicht haben.

Abwärts im Gänsemarsch

Zusammen mit Vereinskollege Mike Hausdorf, hier noch auf den ersten Kilometern.
Zusammen mit dem Vereinskollegen Mike Hausdorf, hier noch auf den ersten Kilometern.

Hier trennten sich unsere Wege. Mike konnte seine Stärke im Traillaufen ausspielen. Ich hatte mit meinen glatten Hokas die Befürchtung, den steilen Abhang, der nur aus Sand und losem Geröll zu bestehen schien, herunterzurutschen und böse zu stürzen. Also bin ich da im Gänsemarsch runter und habe erst nach einigen hundert Metern wieder überhaupt ans Laufen denken können. Es ging immer weiter; die Zwillinge blieben immer in der Nähe, aber waren einfach von ihrem eigenen Rhythmus so anders als ich, so dass wir nicht zusammen laufen konnten.

Aus der Nacht raus kämpfe ich mich von VP zu VP und telefoniere ab und zu mit Deutschland, um die Freunde in der Heimat auf dem Laufenden zu halten und mir Zuspruch zu holen.

Im Laufe des Vormittags steigen die Temperaturen wieder an und erreichen bald wieder die 30 Grad im Schatten. Wir laufen nun nur noch an der Hauptstraße in Richtung  Sparta – auf der linken Seite gegen den Verkehr – und es geht Kilometer lang gefühlt nur bergauf.

Das Rennen verlassen? Ja. „Auf eigenen Wunsch“? Nein!
Meine Kräfte schwinden und ich bin total überhitzt. Als ich bei km 207 nach 30 Stunden am VP ankomme, habe ich die Cutoff-Zeit um vier Minuten überschritten. Die Rennleitung nimmt mir gleich meine Startnummer und den Champion-Chip ab und lässt mich unterschreiben, dass ich das Rennen auf eigenen Wunsch verlassen möchte.

Im Bus nach Sparta.
Im Bus nach Sparta.

Ich weise sie darauf hin, dass ich noch weiter gelaufen wäre, wenn sie mich gelassen hätten. Daraufhin ändern sie den Text, ich unterschreibe und steige in den Bus, der die disqualifizierten und ausgestiegenen Läufer nach Sparta fährt.

Auch Frank Burger gibt 3 Kilometer nach mir auf und somit schaffen es nur Rüdiger und Mike Hausdorf aus unserer Clique am Sangas Pass ins Ziel.

Mein Resümee zum Spartathlon ist eindeutig. Ein wirklich sehr gut organisiertes Rennen, das einem extrem viel abverlangt und bedingt durch seine harten Cutoff-Vorgaben das Finishen extrem schwer macht.

Erneuter Versuch steht außer Frage
Fazit für mich ist, dass ich es im nächsten Jahr erneut versuchen werde und mich noch gezielter mit Bergtraining und Kraft- und Tempoeinheiten meine persönlichen Schwächen weiter minimieren möchte. Wahrscheinlich muss man auch die Renngestaltung überdenken und am Anfang gleich etwas mehr Gas geben, damit man nicht wie ich bei km 45  in die „Cutoff-Falle“ gerät und dort mental wie körperlich unnötig Körner verballert. Es haben dieses Jahr 240 von 370 gestarteten Läufern gefinished – und 20 von 32 deutschen Startern konnten an der Statue von Leonidas anschlagen.

Am Morgen "danach": An der Statue von LEonidas.
Am Morgen „danach“: An der Statue von Leonidas.

Aus organisatorische Sicht des Veranstalters wird es ab dem nächsten Jahr bei der Anmeldung nicht mehr auf die Geschwindigkeit ankommen, sondern alle werden berücksichtigt und bei zu vielen Anmeldungen wird gelost. Dieses Verfahren ist bei allen anderen Ländern auch Standard und wahrscheinlich auch gerechter für alle, die einmal an diesem Rennen teilnehmen wollen. Dieses Jahr gab es 39 Anfragen und nur 35 Plätze für deutsche Teilnehmer. In den letzten Jahren hingegen waren es deutlich weniger Anfragen.

Wenn es in 2017 mein Losglück nicht erlaubt, werde ich es auf jeden Fall in 2018 probieren. Mein Ziel ist klar definiert: Sparta laufend zu erreichen – und diesmal nicht im Bus!“

Text und Fotos: Matthias Landwehr

PS: Lust auf mehr Spartathlon-Feeling? Den Bericht von LGM-Mitglied Mike Hausdorf könnt Ihr auf seinem Blog nachlesen.