Töricht? Tortur? Oder einfach nur Torpedo? Wie zum Henker finisht man die 100 Meilen, wenn man vorher nicht einmal einen einzigen Ultra im Training gelaufen ist? Das fragten sich wohl nicht wenige, nachdem LGM-Mitglied Stephan Schillhaneck-Demke alias Torpedo, in der Laufszene bekannt als Organisator zahlreicher Berliner Laufveranstaltungen, vergangenen Sonntag am späten Vormittag k.o., aber glücklich die Ziellinie überquerte.

Damit er die Frage nicht immer wieder einzeln beantworten muss – und um sein Lauferlebnis festzuhalten – hat er seine Vorbereitung und den Lauf detailliert auf seiner Facebook-Seite festgehalten. Wir dürfen den Bericht hier auch veröffentlichen – viel Spaß beim Lesen:

„Ehrlich gesagt, ich weiß gar nicht wo und wie ich anfangen soll… zum einem sackt das Wochenende gerade erst ein wenig bei mir und zum anderen gibt es den geäußerten Wunsch von Lauffreund*innen nach einem Bericht von mir… Dazu aber auch soooo viele Eindrücke nach meinem Finish, die erst einmal eingeordnet und verarbeitet werden müssen…

Aber bevor ich mit meinem Bericht zu den 100 MEILEN 2019 anfange, gilt es all denen aufrichtig und auf’s herzlichste zu danken, denn ohne die vielen Helfer*innen, würde es diesen grandiosen Lauf gar nicht geben. 

Also DANKE an den Racedirector, Harald, an Nina, das ganze Orga-Team, die vielen fleißigen und unermüdlichen Helfer*innen im Hintergrund, im Hotel, an der Strecke, im Stadion… ab und zu werde ich den Einen oder anderen sicher noch erwähnen, bitte aber schon jetzt um Entschuldigung wenn ich die Eine oder den Anderen „vergessen“ sollte…

Ich bin so was von überwältigt von so vielen Glückwünschen und Anteilnahme, das berührt mich wirklich sehr, überfordert mich aber auch ein wenig.

Jetzt also zu meinem Bericht (obwohl ich meine, dass in den letzten Stunden eigentlich schon alles zu mir gesagt und geschrieben wurde)… Wie es dazu kam, dass Torpedo sich zu dem Solo-Part beiden 100 MEILEN 2019 angemeldet hat:
Aus einer Mischung von Frust und Galgenhumor, dachte ich mir aber: Ach was soll’s, schenkste dir zum 60. einfach mal diese Erfahrung und habe mich dann angemeldet. Beim Enter-Taste-drücken musste ich dann selber schmunzeln, weil mir völlig klar war, wie schräg diese Aktion ist, und dass jetzt bestimmt einige Sportschuhe lachend aus den Regalen fallen und nicht Wenige nur mit dem Kopf schütteln werden…

Ab dem Jahreswechsel sollte eigentlich etwas Struktur in mein Läuferleben kommen, also so was ähnliches wie gezieltes Training… auch hatte ich meinen lieben Lauffreund Andreas Urbaniak angefragt, ob er mich aus der Ferne etwas coachen würde? Meine Freude war groß als Andreas ja sagte.

Natürlich habe ich dem ganzen Projekt 100 MEILEN, von Anfang an Respekt und Ernsthaftigkeit entgegengebracht… und ich wusste sehr genau was da auf mich zukommt. Seit Jahren lese und höre ich regelmäßig die Berichte der 100 MEILEN Läufer*innen, also ihre Erfolge, ihr Scheitern, ihre Erfahrungen und Tipps… und zum anderen laufe ich ja nun auch schon ein paar Tage…

Immer kam was dazwischen
Wer mich kennt, weiß dass ich nicht den Zeitumfang zum Trainieren aufbringen kann und will, wie es Andere tun… und ja, es ist nur die halbe Wahrheit, denn ich bin auch trainingsfaul… Angeregt durch die Vorbereitungsberichte von Sascha Dehling 2018, auch das Wandern ins Training einzubauen, meldete ich mich für zwei 100 Km-Wanderungen in Hamburg und Berlin an, dazu sollte noch der LGM Nachtlauf und einige Marathon und Halbmarathon, sowie das Athletiktraining der LGM dazu kommen…

So weit so gut.

Das Athletiktrainingsangebot der LGM, konnte ich kein einziges Mal besuchen, immer kam was dazwischen. Am Abend, zu Hause habe ich selten meinen Hintern hochbekommen um selbst mal etwas in dieser Richtung zu machen…

Und dann war ruck-zuck das Frühjahr da und die freie Zeit schenkte ich dann meinem eigenen Lauftreff-Projekt…

Im Frühjahr wurde ich dann immer öfter, meist mit einer Mischung aus Unglaube und Überraschung auf das 100 MEILEN-Ding angesprochen… ich versuchte das dann immer etwas runter zu kochen und den Ball möglichst flach zu halten. Was soll man auch sagen wenn man nach Trainigsplan- und Werten gefragt wird und nix der Gleichen wirklich hat und verfolgt…

Tipps zu mentalen Abläufen
Trotzdem nutzte ich bei meinen eigenen Läufen die Gelegenheit, andere Läufer*innen immer zielgerichteter zu ihren Erfahrungen in Sachen langer Kanten zu fragen. Ganz besonders hilfreich und interessiert zeigte sich mein langjähriger Lauffreund Dixie Denver. Immer wieder erkundigte er sich nach meinem Trainingsstand, gab mir wichtige Tipps zum Wandern, zu mentalen Abläufen bei längeren Strecken und zum Laufen/Gehen bei Nacht. Das Salztabletten jetzt bei mir dazu gehören, verdanke ich Dixie und meinem Leipziger Lauffreund Jörg Körner. Ebenfalls viel lernen konnte ich von Sigrid Eichner, Mike Friedl, Gunnar Meikstat, Marcel Heinig, Andreas Urbaniak, Stefan Meyer, Micha Bieler und eben Sacha Dehling.

Mein Lauftrainings- und Wettkampfjahr 2019 lief noch schleppender an als es sonst schon immer schwer anlief und so manches Kilo wollte unbedingt mein fester Freund sein und blieb bis Mitte des Jahres sehr anhänglich… auch war mein Coach nicht wirklich von meinem Plan zu den beiden 100 Km – Wanderungen begeistert.

Wichtige Wander-Erfahrungen
Im Rückblick kann ich aber sagen, dass beide Wanderungen (so unterschiedlich sie auch verliefen), mir die meisten und wichtigen Erfahrungen gebracht haben. In Hamburg noch nach 40 Km grandios gescheitert, aber viel dazugelernt, waren dann die 100 Km um Berlin, auch dank Anja Rieder, mein persönlicher Durchbruch. Endlich hatte ich das sichere Gefühl und die Erfahrung, über längere Zeit und Nachts unterwegs sein zu können.

Dann kam die Erinnerungsmail der LGM zur Radbegleitung… Mist, darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht! Will ich das? Brauche ich das? Und wenn ja, wem kann ich das denn ernsthaft antun? Relativ schnell hat sich dann meine Große bereit erklärt mich zu begleiten…

Im Juli dann mein wundervoller Holland-Urlaub mit vielen entspannten Laufmomenten… doch schon am letzten Abend in Holland veränderte sich mein inneres Gefühl… Ich wollte nicht zurück in das Hamsterrad Berlin!

Mentales Desaster Nachtlauf
Über fast zwei Wochen steckte ich in diesem Blues fest. Folglich wurde der Nachtlauf der LGM auf den ich mich wirklich sehr gefreut habe, zum mentalen Desaster schlecht hin. Schon nach zehn Kilometern wusste ich, das ist nicht meine Nacht und stieg beim 2. Stopp aus.

Mir war natürlich auch klar, dass das für Einige auch die Bestätigung war, das Torpedo und ULTRA, genauso nicht zusammen passen wie UNION und RB Leipzig. Und in dieser Nacht dachte ich schlicht weg genauso!
Da ich aber von Anfang an gesagt hatte, dass ich nur an den Start gehe wenn ich selber spüre es macht Sinn dies zu tun, war auch für mich am Morgen nach dem Desaster klar, die 100 MEILEN finden wohl ohne mich statt.

Umso näher der Termin der 100 MEILEN rückte umso ruhiger wurde ich.

Dann kam (so zu sagen die selbst organisierte) mentale Wende, eine Woche vor den 100 MEILEN. Der 4. Olympia Marathon Berlin, an dem ich zusammen mit meinem liebe Lauffreund Stefan Meyer als HM-Staffel teilnahm, kippte mein innerliches Gefüge völlig um. Die Freude am Laufen bei allen Starter*innen zu sehen, das solidarische Miteinander, das Abklatschen auf der Strecke und der Applaus für alle Finisher im Ziel, in all diese glücklichen Gesichter schauen zu können hat mich so tief bewegt, das mir wieder deutlich wurde, dass das genau der Grund ist warum ich laufe und Läufe organisiere.

Der Arzt gibt grünes Licht
Zwei Tage vor den 100 MEILEN sagte dann meine Große ihre Radbegleitung kurzfristig ab. Aber innerhalb von ein paar Stunden sagte mir dann Basti der Freund meiner Großen, dass er mich sehr gerne auf dem Rad begleiten würde.
Und dann auf dem letzten Drücker bekam ich dann auch das OK. von meinem Arzt. O-Ton: „Warum auch immer sie auch meinen 100 MEILEN laufen zu wollen… Sie sind gesund und offensichtlich fit genug dafür“

Und somit stand dann fest, dass ich aufbauend auf zwei Wanderungen (40 und 100 Km), einigen hundert Traingskilometern, zehn HM und fünf Marathon im ersten Halbjahr, bei den 100 MEILEN an den Start gehen werde.

Vorglühen bereits ab Freitagfrüh
Schon Freitagfrüh bekam ich viele Aufmunterungen und Daumen drücken über die sozialen Medien und das setzte sich dann bei der Abholung der Startunterlagen fort. Als mir meine Startunterlagen ausgehändigt wurde, standen mir die Tränen in den Augen, denn mein Briefumschlag war vollgeschrieben mit lauter guten Wünschen von Lauffreund*innen.

Das so viele Läufer*innen an mich glauben und mir das Ding zutrauen hätte ich wirklich nie gedacht. Und das hörte gar nicht auf, immer wieder kamen Lauffreund*innen auf mich zu und wünschten mir alles Gute für die 100 MEILEN.

Am Abend vor dem Rennen, in aller Ruhe die Sachen gepackt, die Strecke mit Basti abgesprochen und wie es mit uns Beiden ablaufen sollte. Die Rahmenbedingungen schienen eh auf meiner Seite zu sein – keine Hitze und keine Kälte. Unser Grobplan war, die Boxenstoppstrategie = möglichst wenig Zeit an den VP zu verlieren um (m)ein „Pufferzeitkonto“ gegenüber den Cut off Zeiten aufbauen zu können…

Ob ich Angst hatte zu Scheitern? Nein, denn eine Aufgabe oder aus dem Rennen genommen zu werden, wäre für mich kein Scheitern an sich, sondern eine wichtige Erfahrung die für spätere Läufe wichtig sein kann.

Das Rennen selbst: Ganz ruhig am Start
Da ich bei meiner Großen übernachten konnte, die nur gut drei Minuten vom Stadion wohnt, hatte ich den Luxus gut zwei Stunden länger schlafen zu können. Und ich konnte gut schlafen. Um 5:00 Uhr dann rüber ins Stadion. Ich liebe dieses Stimmung vor dem Start, dieses Gemurmel, die herzlichen Begrüßungen der Läufer*innen untereinander, den letzten kurzen Austausch vor dem Rennen…

Und dann wurde zum Start gerufen. Noch immer war ich ganz ruhig und aufgeräumt, ich hatte (m)einen Plan: bis 60 Km joggen und dann die letzten 100 Km zügig gehen. Inzwischen hatte ich realisiert, dass mit Hilal, Steffi Jendro und Ingo Gersbeck, Läufer*innen am Start sind, die in etwa so mein „Tempo“ laufen, dies gab mir zusätzlich mehr Sicherheit ggf. in deren Windschatten bis zur magischen 60 Km Marke zu kommen.

Da stand ich nun in Mitten all dieser erfahrenen ULTRA-Läufer*innen, voller Demut und Respekt vor der Distanz, aber auch um das Wissen meiner inneren Stärke. Und dann plötzlich zwei Minuten vor dem Start kurz Muffensausen! Und genau diesen Moment hat Stefan Dettmann, dann mit seinem geschulten Auge festgehalten…

Wenn ich nun schon mal hier bin, kann ich auch mitmachen – könnte ja auch gut werden. Ich ordnete mich ganz am Ende des Starterfeldes ein, konnte aber Steffi und Ingo nicht entdecken. Die ersten 300 Meter im Stadion waren ein emotionaler Tornado für mich, getragen von dem Applaus am Stadionausgang ging also das Abenteuer 100 MEILEN richtig los.

Mir war klar, dass sich schon auf den ersten Kilometern zeigen wird, ob das für mich ein weiteres Laufdesaster wird oder ein langer Run mit vielen unvergesslichen Laufmomenten… das Wetter meinte es gut und so war schon mal eine Kopf-Baustelle für mich erledigt. Auf den ersten 20 Km schloss ich dann zu Hilal auf und wir überholten uns dann immer wechselseitig und lachten dabei.

„Torpedo“ auf der Straße sorgt für 30 Stunden Motivationsschub
Auf dem ersten Teil der Strecke hatte wer, viele Namen von Starter*innen aufgetragen, eine feine Idee dachte ich und plötzlich las ich in blauer Schrift: Torpedo – ich kann gar nicht beschreiben was in diesem Augenblick mit mir passiert ist, aber ab diesem Moment, wusste ich, dass ich finishen würde!

Wer immer dort Torpedo aufgetragen hat- DANKE, DANKE für diesen Motivationsschub, der dann fast 30 lange Stunden anhalten sollte. Der Streckenabschnitt zum ersten WP, Ruderklub, liegt mir generell. Von den 4’er Staffeln aus den Vorjahren kenne ich ihn so zusagen auswendig, auch das gab mir ganz viel Sicherheit.

Der Empfang am WP 1 war großartig, erstmalig erlebte ich es ja aus der Perspektive eines Solo-Läufers… viele bekannte Gesichter waren dort zu sehen und immer wieder Aufmunterung für mich und alle Läufer*innen. Hilal war schon dort und Julia Sasse auch, Julia machte schnell klar, dass sie für die nächsten 25 Stunden meine gute Fee sein wird und ich somit mich nur auf das Laufen konzentrieren müsste und dass ich das ja wohl hinkriegen würde, schließlich wäre ich alt genug und hätte dafür auch bezahlt… Mit dieser klaren Ansage ging es also Richtung Marathon-Distanz bzw. erste kleine Ultra-Marke, bei VP 9, wo dann auch Basti, meine Radbegleitung einsteigen würde…

Die Marathon-Marke passierte ich dann unter sechs Stunden, lag also genau im Plan. So beim VP 8, (45 Km) merkte ich an der rechten Ferse, dass da eine Blase entsteht… okay, jetzt einfach ruhig bleiben keine Panik… Meine Frau und die Kinder rufen an, das tut gut.

Ab zur magischen Ultra-Marke
Kurz vor VP 9, setzte ich mich auf eine Bank und säuberte Schuhe und Socken, plötzlich kam Mike Friedl angeradelt und erkundigte sich nach meinem Befinden. Ich fragte ihn nach einem Pflaster, aber Mike und Marion hatten keines dabei boten aber an am nächsten VP Pflaster zu besorgen… also Socken und Schuhe wieder an und los zur magischen ULTRA-Marke, Km 51,6.

Am VP 9 wartete schon ungeduldig Basti, Antje B. Hain und meine gute Fee Julia! Julia versorgte meine Ferse mit Pflaster, Kartoffel und Salz und ließ mich wissen an welchen weiteren VP sie stehen würde … Mike fragte nochmals nach ob alles Ok wäre? Schnell noch das Ultra-Beweisfoto mit Basti und los ging’s, ab jetzt zu Zweit!

Ich erinnerte Basti nochmals daran, dass es bestimmt auch hart für ihn wird, diese Distanz langsam mit dem Bike zu fahren, ich aber super froh bin ihn an meiner Seite zu wissen. Wichtig ist regelmäßig trinken, Salztabletten und keine negativen Gedanken. Basti jetzt an meiner Seite zu haben gab mir weitere Sicherheit und endlich nach fast 15 Jahren des Laufen, die Ultra-Distanz offiziell geschafft zu haben.

Noch gut 10 km und das erste Drittel der 100 MEILEN, die wichtige 60 Km Marke ist erreicht… seit einiger Zeit war die Sonne raus und ich versuchte ruhig zu bleiben, denn Hitzläufe sind nicht so mein Ding! Kopf und Cap tränkte ich regelmäßig mit Wasser und so ging es weiter Richtung WP 2, Schloss Sacrow.

Wir erreichen das Kreuz des Maueropfers, welchem in diesem Jahr gedacht wird. Olaf Ilk und Sonja sind da, wir halten kurz inne. Beide umarmen mich und wünschen mir weiterhin viel Glück. Plötzlich erreichte ich auch Steffi und Ingo, die wie immer bester Laune und am strahlen waren, kleiner Plausch, Foto und dann entspannt weiter… irgendwann hatte dann Basti einen Eisbecher mit Mango-Jourgurt aufgetrieben und so wurde der wellige Streckenabschnitt ganz entspannt bewältigt.

Da jetzt alles, was kam, für mich und Basti so und so Neuland war, spielten wir gedanklich unseren Plan nochmals durch. Basti rief mir immer die Cut-off-Zeit und unseren Puffer zu, bzw. den jeweiligen km-Stand, dann rechnete er kurz hoch, welche Pace ich bräuchte, um weiter Puffer aufzubauen. Erstaunlicher Weise konnte ich immer noch länger Passagen joggen, so das wir kurz vor Sacrow über eine Stunde Puffer erlaufen hatten!

Der ungläubige Thomas und die Königin des Kaffees
Schloss Sacrow erreicht ich mit dem unbeschreiblichen Hochgefühl die 70 Km erreicht zu haben. Im Schlosspark waren wieder viele Lauffreunde zu begrüßen. Ich traf meinen langjährigen Lauffreund Mirko Jachmann, mit dem ich vor Jahren gemeinsam erstmalig an den 100 MEILEN teilnahm, dieses herzliche Wiedersehen hat mich sehr bewegt und dann sah ich Tom Schmitt, der immer noch ganz ungläubig schaute, mir aber umso herzlichster zum bisher Erreichten gratulierte. Das tat so gut und motivierte mich auf’s Neue.

Am VP selbst dann die Königin des Kaffees, Hanne. Ich fragte sie ob sie eventuell einen Kaffee auftreiben könnte und sie konnte natürlich. Der Kaffee, war trotz sommerlicher Temperaturen, genau das was ich jetzt brauchte! Steffi wollte auch diese Glücksgefühl haben und so teilten wir uns den leckeren Kaffee.

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Und auch hier drückten und herzten mich viele Läufer*innen und schickten mich mit den besten Wünschen auf die Strecke zurück. Vor lauter Freude wählten wir zwei Anfänger aber die falsche Richtung! Aber Tom bemerkte es und rief uns zurück nach nur 100 Metern zurück und wies uns den richtigen Weg. Es fühlt sich einfach fantastisch an, zu wissen, dass wir Läufer*innen auf einander achten und helfen. Unsere gute Fee, Julia versorgte uns wieder mit Kartoffel und Salz und berichtete uns, dass Pierre ein kleines Tief hat und eine Pause macht.

Maxi, der mein Nachtlauf-Desaster miterlebt hatte drückte mich fest und sagte mir: „Du verrückter Kerl“ und wünschte mir weiterhin flinke Füße. Basti, für den das Ganze völliges Neuland war, meinte dann: „Ihr Läufer seit schon eine tolle Gemeinschaft“, ich konnte das nur bejahen.

Übergang in den Wander-Modus
Noch lief alles ganz gut bei mir und Basti machte einfach nur einen superguten Job. Mit Blick auf die noch vor uns liegenden Kilometer, sagte ich dann Basti, dass ich in den Wander-Modus übergehen werde.

Unser Puffer wurde also etwas kleiner, aber ich fühlte mich immer noch gut. Ab VP 15, bei Km 90 in etwa merkte ich, dass am linken Fußballen sich eine Blase ankündigte und wir beschlossen bei WP 3 in Teltow einen erste längere Pause zu machen.

Als wir an der Halle in Teltow angekommen waren, kamen wir Beide aus dem Grinsen nicht mehr raus! Wir hatten es wirklich geschafft, über 100 Km und noch immer im Zeitlimit. Arne der Draußen auf Hilal wartet freute sich mit uns. Auch Mirko trudelte fast zeitgleich ein, wollte aber auch ohne großen Verzug weiter. In der Halle selbst trafen wir dann wieder Steffi und Ingo. Steffi ging es leider nicht so gut, genauso wie Mario Hein, nicht zu glauben, dass es das Kraftpaket kurz umgeworfen hatte.

Auch Harald, der Herr über die Zeit, war vor Ort und sprach jeden Teilnehmer*in gut zu, bot Hilfe an und gab Tipps. Harald freute sich für mich und war sich sicher, dass ich das Ding jetzt auch durchziehe! Basti und ich brauchten jetzt aber wirklich eine Pause. Ich war immer noch unentschlossen wegen der Blase am linken Fuß, sprach dann aber doch eine junge Sanitäterin an. Die junge Dame sah sich gleich beide Füße an du wusste dann genau was zu tun war. Während sie mir beide Füße ruckzuck tapte, erzählte sie mir dass sie Turnerin ist und sich mit dem Tapen bestens auskennt und wir alle hier so was von cool sind und sie im Herbst ihren ersten HM laufen möchte…

„Alles im grünen Bereich“ – nur mit Blase
Ich bedankte mich bei der turnenden Sanitäterin und wünschte ihr für ihr HM-Debüt viel Erfolg. Dann wollte ich die Socken wechseln, aber Harald riet mir davon ab. Maxi nutzte dieses kleine Zwischenspiel zum Fotomachen und ich raffte mich dann schon etwas schwerfällig wieder auf. Mario war nach dem ärztlich OK schon wieder auf der Strecke, aber Steffi ging es immer noch nicht gut und so ging es erst einmal ohne die Beiden weiter durch die Nacht. Wir hatten einige Zeit liegen gelassen und gingen mit nur noch knapp 25 Minuten Puffer auf die letzten knapp 60 Km. Meine Frau ruft wieder an und fragt wie es läuft. „Alles im grünen Bereich und nach Plan“.

Schon nach ein paar Metern sahen wir wieder Mario im Wartehäuschen sitzen, offensichtlich machten ihn seine Blasen schwer zu schaffen. Auch ich kam schwer in Tritt, aber wir waren uns Beide einig, dass die Tape-Pause die richtige Entscheidung für ein erfolgreiches Finish war.
Bast wurde jetzt auch immer müder und lies sich zurückfallen um Pause zu machen. Am VP 19 sahen alle dortigen Läufer*innen erschöpft und müde aus, Einige schliefen sogar fest ein und auch wir Beide mussten kämpfen. Ich wechselte jetzt doch die Socken, was wieder Zeit kostete, aber rein für den Kopf musste ich es tun.

Mir war klar, dass der Abschnitt nach Buckow zum Knackpunkt wird, auch weil es ein relativ langer Abschnitt war. Die Bodenbeschaffenheit forderte bei zunehmender Müdigkeit immer mehr Konzentration. Wir waren jetzt in Mitten einer Gruppe von ca. 15 Läufer*innen. Das letzte Waldstück vor dem VP Bukow, ließ die Stimmung bei allen gegen Null gehen, alle fluchten in den unterschiedlichsten Sprachen über Bodenbeschaffenheit und fehlende Markierung! Irgendwann teilen wir uns in verschiedene Richtungen auf um den richtigen Weg raus zu finden. Das hat uns gut 10 weitere Minuten Puffer gekostet.

(M)eine Entscheidung: Abschied vom Fahrrad-Begleiter
Basti wurde immer erschöpfter. Ich sagte ihm aber, dass nach Bukow wieder Zeit-Puffer aufgebaut werden kann, da die Cut off Zeiten dann moderater werden. Mit nur noch 20 Minuten Puffer zogen wir weiter. Basti redete kaum noch und dann traf ich die Entscheidung und schlug Basti vor, da in Rudow auch die U Bahn ist, dort auszusteigen. Anfänglich war Basti von dieser Idee nicht begeistert, da er mich nicht hängen lassen wollte. Aber ich machte ihm klar, dass er mich so grandios begleitet hat und wir nur deswegen jetzt überhaupt hier bei Km 130 sind. Basti willigte ein, eine feste Umarmung noch und wir trennten uns.

Der Regen setzte ein und nur noch vereinzelt fanden sich Läufer*innen auf der Strecke. Jede/r kämpfte wohl für sich, mit der Müdigkeit, der Erschöpfung und der Dunkelheit. Mit dem Morgengrauen war ich dann am Kanal, so zu sagen meine Arbeitsstrecke, also Heimspiel.

Ein grandioser Sonnenaufgang wie beim Berliner Mammutmarsch wäre sicher fantastisch für die Stimmung aller gewesen, aber grau und Regen war für mich auch ok, ich liebe es, bei Regen zu joggen, auch wenn es jetzt eher Gehen war. Die Leute an den VP’s waren unglaublich hilfsbereit und aufmunternd, da ich wusste das sich die gerade Schönheit am Kanal lang hinzieht, war es weniger frustrierend.

Dann endlich VP Dammweg, Stadtbereich und das zunehmende Gefühl: Ich komme im Zeitlimit an!

Nerviger Fahrradfahrer?
Plötzlich nervte hinter mir eine Fahrradklingel und ich denke: „Mann fahr doch einfach vorbei, der Weg ist doch breit genug!“, aber die Klingel nervt weiter! Irgendwann drehe mich dann doch um, um zu schauen wer denn am Sonntagmorgen da so superlustig drauf ist? 
Und wer lacht mich da mit breitem Grinsen an? Meine Große! „Na alter Mann, sieht etwas komisch aus wie du hier lang schleichst“… Wir müssen beide laut lachen und umarmen uns. Töchterchen versucht zu motivieren, da sie merkt, dass ihr alter Herr anfängt zu schwächeln.

Ich merke wie die Energie aus dem Körper geht, aber auch, dass der Kopf klar bleibt. Jetzt also Kampfmodus für die letzten knapp 20 Kilometer. Mein Töchterchen gibt alles. Der alte Herr versucht es aber dolle ist es nicht mehr. Der Regen wird stärker und wäscht mir den Straßenstaub von der Haut und kühlt die schmerzenden Füße. An den letzen drei VP „fliegen“ wir nur grüßend vorbei. Mein Puffer reduziert sich bei jedem Schritt. Drei Mal muss ich kurz innehalten, aber die Mini-Pausen tun gut.

Dann endlich die Bernauer Str., es geht aufwärts, was meinen müden Knochen gut tut. Ich überhole wieder andere tapfer kämpfenden Läufer*innen, aber darum geht’s gar nicht mehr. Wir gratulieren uns gegenseitig und setzen nur einen Fuß vor den Anderen. Inzwischen weiß ich, dass Sascha Dehling das Ding geholt hat und das setzt noch mal etwas messbare Energie bei mir frei. Töchterchen ist schon lange vorgefahren… endlich bin ich da! Das Bing in meinem Handy nimmt zu, erst ab und zu, die letzten Meter macht’s nur noch bing, bing, bing…

Am Eingang stehen meine gute Fee Julia, Pierre, der es wieder geschafft hat, und Steffen, der gerade eine schwere Zeit durchmacht… Ich merke wie mir die Tränen kommen. Kurze feste Umarmung voller Dankbarkeit für den unglaublichen Support (nicht nur bei diesem Rennen). Die letzten 300 Meter auf der roten Bahn… unendlich viele Bilder schießen durch meinen Kopf.

Die hochemotionale Zielgerade
Wir vier, fünf Läufer*innen gehen zusammen über die Ziellinie, im Ziel steht der 100 MEILEN Champion 2019, Sascha Dehling mit Tränen in den Augen, und dann umarmen sich unter Tränen zwei Männer, zwei Freunde… und es hört nicht auf, denn Anna La, mit der ich meine erste Staffel zusammen lief, und die seit Jahren im Stadion grandios supportet, steht auch mit ner Träne im Auge da und viel andere Lauffreund*innen empfangen mich im Ziel.

Noch eins, zwei Fotos und dann zur Großen und Basti nach Hause, ich brauche ein heißes Bad. Töchterchen und ich lachen uns schlapp darüber wie ich mich die Treppe in den ersten Stock hoch schleppe.

Dann endlich das heiße Bad, seit 31 Stunden erstmalig nur für mich, Stille. Meine Frau ruft an und sagt nur: Ich liebe Dich. Mir schießen die Tränen in die Augen, die ganze Anstrengung fällt von mir ab… und mir wird bewusste was für ein Glück ich habe, so eine tolle Familie, so tolle Freunde, so ein tolles Hobby zu haben. Ich bin gesund und munter, kann 100 MEILEN laufen – gerade in diesem Jahr habe ich mehr als einmal miterleben müssen wie schnell es vorbei sein kann mit dem Gesundsein… und dann denke ich an diese lieben Menschen, die natürlich alle Läufer*innen waren/sind und wieder rollen die Tränen…

Danke für dieses Erlebnis
Basti ist wach und wir drücken uns ganz fest und sind auf uns Beide stolz. Basti hört gar nicht mehr auf von den 100 MEILEN zu schwärmen und will nächstes Jahr unbedingt wieder dabei sein! Dann fährt er mich netter Weise zum Hotel zurück, denn auf mein Rennrad komme ich gar nicht mehr rauf!

Was ich dann im Hotel, vor und nach der Siegerehrung erleben durfte hat mich schlichtweg emotional überfordert. Ich kann nur tief gerührt allen die an mich geglaubt und auch nicht geglaubt haben, DANKE sagen, für dieses Erlebnis.

Danken muss ich aber auch meinem Körper, dass er mich nicht im Stich gelassen hat… Aber der ist ja nicht auf Facebook… „

Text und Fotos: Stephan Schilhaneck-Demke

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