Meist mit „M“ beginnen die Worte, die LGM-Läufer Eckardt Seher mit seinem Erlebnis „Kullamannen Ultra 100 Miles“ in Schweden verbindet: „Monstermäßig“, „mörderisch“ und „mies vorbereitet“. Warum der Traillauf durch die Landschaft trotzdem wunderschön war, schreibt er in seinem Bericht:

„Das Motto des Kullamannen Ultra war Programm:   „This was a monster, a slayer of strong men“. Aber der Reihe nach:

Vor knapp einem Jahr habe ich mich für diesen Lauf angemeldet und den vorletzten Startplatz für den langen Kanten ergattert. Das Video zum Lauf (https://vimeo.com/365931126) habe ich mir in 2019 nicht noch einmal angeschaut – im Nachhinein kann ich sagen: zu meinem Glück!

Die Vorbereitungsphase ging nämlich leider wieder einmal „gründlich in die Hose“.  Nach erfolgreichem Trans Scania Ultra und einem sehr schönen Wanderurlaub in den Osttiroler Alpen bis Mitte September erwischte mich knapp eine Woche danach eine Blockade der Rückenmuskulatur, die nicht nur das Laufen, sondern fast alle Lebensbereiche mit Schmerzen überzog. Am schlimmsten waren die Stunden im Bett, wo die Rückenmuskulatur manchmal so zumachte, dass ich nicht schmerzfrei liegen konnte. Umdrehen oder Aufstehen gestalteten sich zu einer Tortur.

Alle Therapieversuche blieben erfolglos. In den 5 1/2 Wochen bis Kullamannen schaffte ich einen Trainingslauf von 35km am 3. Oktober und den 50km O-See Ultra Trail in Oybin am 19. Oktober. Beide nur mit der Inkaufnahme von Rückenschmerzen bei jedem Lauf-Schritt.

Ist ja eh alles bezahlt
Da für den Kullamannen Ultra Trail alles gebucht und bezahlt war und es keine Stornomöglichkeit gab, bin ich also einfach hingefahren. War ja sowieso egal.
Ich hatte zwei Wochen Ruhe gehalten und nicht einen Laufmeter absolviert.

Mein Freund Jonas, mit dem ich mich gemeinsam für diesen Lauf angemeldet hatte, verkürzte wegen Trainingsmangels und dem DNF beim Trans Scania vernünftigerweise auf eine kürzere Distanz. Ich war somit auf mich allein gestellt.

Die Anreise zum Start nach Båstad schaffte ich per Bahn in knapp 11 Stunden.
Vorher hatte ich noch nie von diesem Nest gehört. Aber Båstad ist das Wimbledon Schwedens – dort steigen jährlich die „Swedish Open“.

Startnummernausgabe und Briefing sind am Morgen kurz vor Start, also am 1. November 2019. Als ich 7 Uhr in Laufklamotten, mit meinem Rucksack, dem Dropbag und gepacktem Laufrucksack am Hotel Skansen aufschlage, gibt es die erste böse Überraschung: Start verschoben von 9 auf 10 Uhr.

100-Meiler diesmal 174km lang
Der zweite Aha-Effekt beim Empfang der Startunterlagen: Die „100 miles“ sind dieses Jahr 174km lang und haben 4300 Höhenmeter! Die UTMB-Macher zwangen den Veranstalter kurzfristig, Strecke und Höhenmeter aufzustocken, um die in der Ausschreibung versprochenen 6 UTMB-Punkte zu erhalten.

Beim militärisch straffen Briefing wird allen Läufern recht deutlich bewusst gemacht, dass dies kein Kindergeburtstag ist. Spätestens als Lazarus (der vom Barklays – echt!) sein Grußwort gehalten hat, glauben das auch die letzten.

Ich kam mir bei dieser Veranstaltung schon bei der Abgabe der Dropbags recht fehl am Platz vor: Dort stapelten die Schweden Plastik-Kisten mit 50 Litern Fassungsvermögen und vollgestopft mit Ausrüstung, als gälte es, den Everest zu bezwingen.

Allerdings ist bei diesem Lauf jeglicher Support von extern verboten. Und es gibt auf den ersten 111km gerade mal 4 Versorgungspunkte!

Gute Laune bei ca. km 34.

CP1 (km34), CP3 (km81) und CP4 (km104) lediglich mit Wasser und Iso und nur am CP2 in Ängelholm bei km 55 feste Nahrung, und das, was im eigenen Dropbag steckt.Der CP5 (km 111) in Mölle (das spätere Ziel) ist ein Inhouse-Versorgungspunkt mit der Möglichkeit sich aufzuwärmen oder auch zu schlafen. Doch dazu später.

Die Lauf-Infos in Englisch bekam ich dann ca. eine Woche vor dem Start in die Hände.
Zum Streckenverlauf steht da folgendes:
„The course follows the Skåneleden from Båstad to Ängelholm Camping via Torekov and Vejbystrand. From Ängelholm Camping follows approx 11km marked course returning to Skåneleden close to Utvälinge. The course then runs on Skåneleden via Farhult and Skäret to Arild. From Arild follow the course marked with red and with tape and reflective markers towards Kockenhus and at Larås you enter the “Dödens Zon” loop. When you arrive at Grand Hotel Mölle Ultra 109km will reach goal and 100 mile runners will start the full 21km loop. To complete the „Heaven, Sea and Hell“ you will do the loop three times.

The course starts with easy track combined with road running. After a smaller ascent from start the course is pretty flat following the coastal line to Arlid. From Arild the course is mostly singel track trail including technical parts and steep ascents and descents. Less than 5% of the course runs on asphalt.“

Start mit Gänsehautfeeling
Wer noch nie auf Kullaberg war, der kann sich unter der ominösen “Dödens Zon” wenig vorstellen. Ich war 1995 während eines Schweden-Radurlaubes schon einmal dort und hatte einen winzigen Teil des touristisch erschlossenen Gebietes gesehen und erlebt. Von den entscheidenden „technischen“ Abschnitten hatte ich aber auch keinerlei Vorstellung.

Trübes, windiges Wetter ist für den Freitag vorhergesagt. In der Nacht zu Samstag soll dann der Regen kommen.  Also genau dann, wenn wir in der so genannten „Todeszone“ stecken.

Der Start der ca. 500 Läufer (100miles + 109k Sprint) verläuft mit Gänsehautfeeling.
Die ersten 85km entlang der Küste sollen nur Vorgeplänkel zum dicken Ende sein.
Aber dies erweist sich sehr schnell als Trugschluss, denn wir sind auf dem Skåneleden unterwegs. Und wo Skåneleden draufsteht, da sollte man sich auf Überraschungen gefasst machen.

Der Gegenwind, der ab km 25, als der Küstenverlauf sich nach Süden wendet, aufkommt, raubt uns dann jegliche Illusion einer entspannten ersten Hälfte. Auch der permanente Blickkontakt zur Kullaberg-Halbinsel, der uns fast 40km begleitet, zieht so richtig runter, da wir dieser scheinbar keinen Meter näher kommen. Das Ende der Bucht, südlich von Ängelholm ist dagegen kaum zu erkennen.

Am Ende der 3. Runde.

Bereits nach 5km merke ich zunehmend meine Rückenmuskulatur. Bei CP1, also nach 34km bin ich ziemlich hoffnungslos. Aber ich weiß, dass ich zwei Wochen zuvor im Zittauer Gebirge die 50km überstanden habe. Also mache ich weiter und versuche mich durch Atmung und positive Gedanken zu entspannen. Ich muss Tempo rausnehmen, da ich anfangs mit 6 min/km viel zu schnell unterwegs bin.

Bauch auf Vorrat vollschlagen
In Ängelholm habe ich keinen Dropbag deponiert, da es dort ja was zu essen gibt. Woran ich aber in meiner Versorgungsplanung nicht gedacht hatte, ist aber die Tatsache, dass es auf den kommenden 56km nichts mehr zu beißen geben wird und meine Rucksackvorräte nicht unendlich sind. So muss ich mir hier also den Bauch richtig vollschlagen, damit es bis Mölle reicht.

Hier sind dann auch noch etliche Runden auf Single Trails im angrenzenden Waldgebiet zu absolvieren, damit die geforderten 174km voll werden. Es wird plötzlich so schnell dunkel, dass wir unsere Stirnlampen herausholen müssen. Die kommenden 14 Stunden werden wir sie nicht wieder ausschalten.

Gegen 20 Uhr habe ich ca. 85 km hinter mir. Langsam kommt der Kullaberg näher. Die Strecke ist bisher vorbildlich markiert und ich benötige selten einen Blick aufs GPS. Doch hinter Arild verpasse ich den markierten Abzweig. Da der gpx-Track hier aber falsch ist, laufe ich, im Glauben richtig zu sein, weiter an der Küste entlang bis plötzlich vom Berghang die markierte Strecke herunterkommt und in Laufrichtung abbiegt. Nun bin ich vollends verwirrt und suche etliche Minuten nach der Ursache des Übels.

Schließlich laufe ich den steilen Trail bergan. Entgegen der Markierungsrichtung und erreiche zum Glück nach endlosen Minuten den richtigen Weg. Diese Aktion beschert mir mindestens einen Zusatzkilometer.

Bei km 92 erreichen wir die Kullaberg-Schleife und ich schalte meinen Garmin auf den zweiten Trackabschnitt um. Der Gesamttrack hatte über 17.000 Trackpunkte – die schluckt mein alter Dakota 20 leider nicht. Wer davon nichts weiß, erlebt böse Überraschungen, wenn sein Track bei 10.000 Trackpunkten plötzlich zu Ende ist.

Mir ist das beim O-See Ultra beinahe passiert. Dort hatten die Jungs auf 50km über 21.700 Trackpunkte untergebracht. Ich merkte das leider erst vor Ort wenige Stunden vorm Start.

Der Untergrund entwickelt ein Eigenleben
Entgegen aller Vorhersagen beginnt es schon um 21 Uhr zu regnen. Also wechsle ich das Winterlaufshirt gegen Odlo Langarmunterhemd und Regenjacke. Damit ist es bergan zwar etwas zu warm, aber dafür bleibe ich oben trocken und kühle an den zugigen Küstenabschnitten und auf Kullabergs freien Gipfelplateaus nicht unnötig aus. Eine Regenhose habe ich mir gespart. Die Winter-Laufhose muss auch bei Nässe warm halten.

Der Untergrund beginnt unter unseren Füßen schnell ein Eigenleben zu entwickeln. Er wird zur schmierig glatten Schlammpiste, was ja nicht weiter schlimm wäre, wenn der Lauf in Mölle endete.  Doch werden wir diese Runde noch drei weitere Male absolvieren müssen.
Vier Runden in diesem technisch sehr schweren Trailgelände sind der eigentliche Knackpunkt des Laufes und ein Grund für die hohe Aussteigerrate von ca. 70%.

Ich habe mit meinen Hoka Speedgoat 3 Schuhen und deren Vibramsohle die richtige Wahl getroffen. Auf der gesamten Strecke bin ich nicht ein einziges Mal gestürzt oder ausgerutscht.
Entsprechend motiviert kann ich die technischen Abschnitte gut hinter mich bringen. Der absolute Hammer ist ein Steilhang, der sich fast senkrecht vom Geröllufer über uns erhebt und den wir an zwei Fixseilen hinaufhangeln dürfen. Hier loszulassen würde sehr schmerzhaft enden.

Aufgrund der ausgezeichneten Markierung habe ich mein Garmin-Gerät nicht ein einziges Mal herausgeholt und so nach kurzer Zeit jegliche großflächige Orientierung auf der Halbinsel verloren. Es geht im Zick-Zack Kurs ständig auf und ab und das bei Regen in stockfinsterer Nacht. Gegen 1:34Uhr erreiche ich endlich Mölle. 111km und die erste Runde der „Dödens Zon“ sind geschafft. Ich pausiere ca. 30min und tanke ordentlich auf, bevor ich gegen 2 Uhr in die zweite Runde aufbreche.

Diese läuft sich schon wesentlich entspannter, trotz der immer schlammiger werdenden Trails.
Der Regen lässt nach, aber es kommt ein dicker Nebel auf, der die Sicht teilweise so behindert, dass ich den Boden vor meinen Füßen nicht mehr klar erkennen kann.
Die Stirnlampe in Kniehöhe wäre eine Lösung, aber wie soll man damit laufen?

Ich laufe, was das Zeug hält
Für die zweite Runde benötige ich ca. 4:30h. Die Pause danach in Mölle sollte eigentlich kürzer werden. Aber ich quatsche lange mit einem Schweden, der ziemlich fertig an meinem Tisch sitzt. Kurz vor 7 Uhr starte ich in die dritte Runde. Eine Zeitlang habe ich sogar mal einen Begleiter, mit dem ich quatschen kann. Der ist allerdings über mein Alter so erstaunt und evtl. auch demotiviert, dass er nach einigen Kilometern abreißen lässt.

Da es sehr gut läuft, gebe ich wo irgend möglich Gas und laufe was das Zeug hält.
Im Tageslicht sieht man nun endlich, wo wir da in der Nacht entlang gestolpert sind.
Die Fix-Seile am Steilhang sind mittlerweile so richtig nass und schlammig.
Ich hätte die Handschuhe vorher anziehen sollen, dies mittendrin nachzuholen ist illusorisch.

Nach ca. der Hälfte der Runde „fliegen“ plötzlich die schnellen Läufer  vom „Kullamannen – Svart Bana 12,8 km magisk trail“  an uns vorbei. Unvorstellbar für mich, in diesem Gelände mit solcher Geschwindigkeit zu laufen. Von nun an sind wir Hundertmeiler immer wieder gezwungen, den schmalen Pfad für die von hinten anrückenden Massen frei zu machen.

Das nervt dann doch etwas und ich beschließe, außer an den Anstiegen, soweit es mir möglich ist, mit denen mit zu ballern. Das geht vorzüglich, aber zehrt kräftemäßig natürlich an der Substanz. Ein tolles Gefühl, im Mittelfeld der 13km-Läufer mit zu schwimmen, aber eben auch gefährlich. Denn ich habe noch mehr als eine Runde vor mir.

Diesmal bin ich nach 3:35h in Mölle. Mein Freund Jonas erwartet mich dort und kann es noch gar nicht fassen, was ich da veranstalte.

Für die letzte Runde wechsle ich von Regenjacke zurück auf Wintershirt und halte nur kurze Rast. Etwas zu kurz für das mörderische Tempo der vorherigen Runde. Es dauert einige Kilometer bis ich meinen Rhythmus wiederfinde. Dann aber kann mich nichts mehr halten.
Denn eine Stunde nachdem ich Mölle verlassen habe, werden 12Uhr die beiden Läufe über 22 und 44km starten. Also „KULLAMANNEN DÖDENS ZON“ und „DUBBELDÖDEN“.

Wieder jedes Mal den Weg frei machen für die von hinten anrückenden Massen? Nee, da muss die Lösung von Runde drei wieder her. Bis auf die Anstiege kann ich auch ganz gut mithalten. Zum Erstaunen vieler Läufer von der „Kurzstrecke“.

Einziger deutscher Finisher
Als ich dann, so ca. 2km vorm Ziel, oben vom letzten steilen Hügel hinunter nach Mölle schauen kann, traue ich meinen Ohren nicht mehr. Der Zielsprecher, den ich bis hierher deutlich hören kann, verkündet meinen Namen und meine Startnummer.  Er erzählt, dass ich der einzige deutsche Finisher bin und weiß dann auch noch von meinen Trans-Scania-Erfolgen im zurückliegenden Sommer zu berichten.  Nach einer ersten Schrecksekunde, ob da wohl mein Double schon im Ziel angekommen  sein könnte, setzt dieses Ereignis dann noch einmal ungeahnte Kräfte frei.

Auf dem letzten Kilometer liefere ich mir ein Endspurtgefecht mit den zahlreichen Läufern der Kurzstrecke und erreich nach 28:43h als 30. der Langstrecke das Ziel.

An der Zwischenzeitmessung bei km105 kurz nach Mitternacht war ich noch auf Platz 81.
Bei km111 sogar auf Platz 86. Da aber die Abbruchrate gerade hier noch einmal dramatische Ausmaße annimmt, katapultiert es mich zu Beginn der zweiten Runde auf Platz 48 und an deren Ende bin ich schon bei Nr. 44. Die Rekordzeit der dritten Runde bringt mich auf Platz 32 und in der letzten Runde bin ich ja kaum noch jemandem begegnet, den ich überholen konnte.

Der „Mann mit dem Mikro“  ist ein Österreicher, der schon viele Jahre in Schweden lebt.
Ihm muss ich dann auch noch Rede und Antwort stehen, als ich wieder etwas zu Atem gekommen bin. Seine sarkastische Frage, ob ich denn im kommenden Jahr wieder starten werde, verneine ich aber in diesem Moment vehement. Ich bin einfach nur froh, diesen Kanten geschafft zu haben.

Hier ein DNF auszubügeln bedarf einiger Motivation und großer mentaler Stärke.
Der Leidensweg, den wir hinter uns haben, hat sich tief in die Läuferseele eingebrannt.
Wer da nicht im Hochgefühl eines Finishers die Arena verlassen darf,
den hat der Kullamannen diesmal bezwungen.

Meine Track-Aufzeichnung liefert im Garmin Basecamp-Programm  eine Distanz von 177 gelaufenen Kilometern. Die Höhenmeter haben sich dabei auf stolze 4725m addiert und die Durchschnittsgeschwindigkeit in Fahrt lag immerhin noch bei 7 km/h.

Der Kullamannen Ultra wird  eines der Laufabenteuer bleiben,  die  ich so schnell nicht vergesse.

Text & Fotos: Eckhardt Seher

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