Dorit und Friedel Liberti: Zwei Mauerwegläufer beim Zugspitz-Ultratrail (ZUT)

Nach zwei Jahren Pause fand an der Zugspitze die 10. Auflage des ZUT statt. Friedel ist dort schon verschiedene Distanzen gelaufen: 100, 80 und 60 km.

Ich – eigentlich überhaupt keine Bergläuferin – hatte 2019 die „kleine“ 25 km Strecke unter den Füßen und war voll happy über meine Leistung. Danach sollte es dann eine Nummer größer werden.

Was ich bei der Anmeldung noch nicht wirklich ahnte: Marathon-Distanz gibt´s nicht mehr. Uuups … wegen der Verlagerung des Start/Ziel änderten sich auch die Strecken. Also ein Ultra! 50 km, 1.660 m hoch und 2.070 m wieder runter.

Höhenprofil des ZUT

Ich wollte also meinen ersten Ultra laufen. Friedel hat mir versprochen, dass er an meiner Seite bleibt. Auf meinen Schatzi (der allerbeste Liebste auf der Welt) kann ich mich verlassen. Dessen war ich mir sicher. Also konnte mir eigentlich nix passieren.

Testlauf fand auf dem Rennsteig statt. Ich bin bei 55k geplant ausgestiegen. Das war  natürlich gewollt und ich konnte mit meiner Leistung zufrieden sein.

Anreise am Donnerstag vor dem Rennwochenende nach Garmisch-Partenkirchen. Wir sind passionierte Bahnfahrer und nehmen´s gemütlich hin. Bis zu einem bestimmten Punkt natürlich. Wenn die Verspätung zu heftig wird, werden wir auch mal grantig. Es ging aber glatt, so dass wir schon am zeitigen Nachmittag im Zielort ankamen.

Die Sonne schien, das Thermometer zeigte 32 Grad an und wir bekamen schon ein bisschen Panik, wie man bei solchem Wetter laufen sollte.

Aber erstmal genossen wir die touristische Atmosphäre in Garmisch, liefen durch den Ort, haben uns beim Italiener den Bauch vollgeschlagen, eine leckere Eisdiele erkundet und sind am Abend doch ziemlich müde ins Bett gefallen.

Der Tag vor dem Rennen: Startunterlagen abholen, Stimmung aufnehmen, noch eine Runde spazieren und einen kleinen Teil der 2 Tonnen Nudeln verputzen. Und ein Eis passt auch immer noch rein.

Im Hotel wurden natürlich zum x-ten Mal die Klamotten gecheckt. Der Laufrucksack mit allem Gedöns gepackt: Regenjacke, Handschuhe, Mütze, 2 Wasserflaschen, Erste-Hilfe-Päckchen, Taschentücher usw. Uff, war der schwer! Das Ding sollte ich 50 km mit mir rumschleppen? Auweia.

Der Morgen verlief recht unspektakulär. Bis zum Shuttle war´s für uns nur ein 10 minütiger Fußweg. Vor dem Start in Leutasch (Ö) hatten wir noch gut 1,5 Stunden Zeit. Also ich nochmal die Aufregung bekämpfen. Friedel: Tiefenentspannung in Person.

Der Startschuss war laut. Ich glaube, es gab´ne Kanone irgendwo vor dem Startbogen.

2 km sind wir durch den Ort und aus ihm hinaus gelaufen, um dann schon vor dem großen langen Anstieg zu landen.

Stöcke raus und losmarschieren. Kann ich eigentlich. Es war bloß sehr viel steiler, als ich mir habe vorstellen können. Und es war auch sehr viel länger, als ich dachte. Bei km 8,5 hatten wir die Spitze des Scharnitzjoch erreicht. Der höchste Punkt auf unserer Distanz: 2048 m. Die Sonne knallte uns auf die Köpfe. Die Ultraläufer sind ja so cool. Es gab immer mal wieder Stau und keiner hat gedrängelt. Alle nahmen es so, wie es war.

Mein Liebster wusste, an welcher Stelle wir die Stöcke benutzen und übernahm das Trailstöcke-Management. Ich musste nur hingeben oder –nehmen. Er tat seine Stecken in die dafür vorgesehenen Hosenschlaufen und meine trug er vorbildlich in den Händen. Was für ein Kerl! Ich hatte nix weiter zu tun, als vorwärts zu kommen.

Oben wurden die Mobilfunkgeräte aus den Seitentaschen befreit. Fotos ohne Ende. Die Aussicht war berauschend. Egal, wo man hinschaute: Berge, Felsen, Sonne und blauer Himmel – Natur mit ein paar Verrückten in bunten Klamotten. Herrlich!

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Von da an hieß es, wieder runter von dem Riesenberg. Das war mein persönlicher Heldinnen-Tod. Ich habe es vollkommen unterschätzt. Schmale Pfade, dicke Klamotten oder faustgroße Steine. Ich bin gewatschelt, habe gewackelt, konnte nie richtig treten, bin mit dem Geröll gerutscht und war vollkommen fertig.

Es kam, wie es kommen musste: Der erste Sturz. Eigentlich nicht wirklich schlimm. Mir ist schleierhaft, wie ich auf dem Pfad in verkehrter Richtung auf dem Rücken liegend zum Halten kam. Oh weh, einer von den vielen Steinen lag genau unter meiner Hüfte. Ich sah mich für ein paar Sekunden schon auf einer Sani-Trage. Aber um mich rum nur helfende Hände, die mich wieder auf die Füße stellten.

Am Rand erstmal innehalten. Die Beine zitterten, meine Angst wuchs und meine Motivation bekam einen Knacks.

Friedel war bei mir – mir kann eigentlich nix passieren. Also weiter. Vorsichtiger, noch langsamer stiefelten wir weiter bergab. Es nahm kein Ende. Der erste Blick auf die Uhr während des Laufes: schon über drei Stunden unterwegs und noch nicht VP 1 bei km 15 erreicht.

Schwupps, da lag ich schon wieder. Diesmal heftiger! Mein Körper hatte jetzt Kontakt mit mehreren von den scharfkantigen Steinen erwischt. Auaaaaa! Wieder anhalten, Schluchzen, ein bisschen Heulen, Versuchen sich zu beruhigen. Ging alles nicht. Ich war fertig mit dem Zugspitz-Ultratrail. Meine Beine zitterten, der Mut hatte mich vollends verlassen, kein Vertrauen mehr in mich und meinen Körper.

Noch 2 km bis zum VP, dann steige ich aus. Es sollte nicht sein an diesem Tag. Dachte ich zumindest. Mein Ultra-erfahrener Ehemann, Geliebter und Freund wollte mir wirklich weismachen, dass ich das erst am VP entscheiden sollte.

Der kam endlich nach unendlich langer Zeit des Abstiegs. Ich stürzte mich auf die Melone, füllte wie selbstverständlich meine Wasserflaschen auf, nahm mir ne Bemme mit Salz und guckte ein bisschen doof aus der Wäsche.

Friedel war überzeugt davon, dass es die nächsten 12 km bis Mittenwald nur flach und gemächlich vorwärts ging und meine Beine und mein Kopf sich erholen würden. Ich glaubte ihm nicht. Auf keinen Fall sehe ich heute Abend das Ziel. Aber bis km 27 könnte ich es ja schaffen. Von dort ist es auch nicht soweit mit öffentl. Verkehrsmitteln bis Garmisch …

Wir liefen also weiter. Und wie! Kaum zu glauben! Wir überholten Leute. Nicht nur 2 oder 3, sondern viele von denen, die auf dem schlimmen furchtbaren Abstieg an uns vorbei sind.

WOW!

Irgendwo eine Wander-Gastronomie: Friedel zückte seinen Not-Zehner, kaufte sich eine kalte Cola, mir einen Kaffee und ich schnorrte noch von wem Fremden auf der Terrasse eine Zigarette. Echt! Ich rauche nämlich und so ein ganzer Tag ohne Glimmstengel kann schon belastend sein.

Man, ging mir das gut. Fröhlich, euphorisch liefen wir zum VP (27 km) und ich war auf einmal sicher, dass ich es noch weiter schaffen kann.

Der „Rest“ der Strecke war auch anstrengend. Hoch und runter und wieder hoch und auch wieder runter. Das ging so bis km 42. Die Sonne tat uns nicht den Gefallen, mal für eine Weile hinter den Wolken zu verschwinden. Die saß und im Nacken oder auf der Stirn. Ziemlich heiß, so ein Feuerball am Nachmittag um Vier!

Von dem letzten VP sollte es „nur“ noch 8 km gemütlich bergab bis ins Ziel in Garmisch gehen. Gemütlich? Häää? Meine Oberschenkel hätten es gemütlich gefunden, auf einer Bank zu sitzen. Der Abstieg hatte es auch noch mal in sich. Wenn es sehr steil wurde, hatten irgendwelche schlauen Tourismus-Verantwortlichen für Asphalt gesorgt. Auch wenn´s nicht schön ist. Es war für mich wenigstens nicht so gefährlich. (Ich glaube, eine Treppe stellte für mich schon eine Gefahr da.) Also stellte sich mein Körper wieder auf Slow Motion ein.

Mit brennenden Ober-Beinen wackelte ich die letzten Kilometer in den Ort. Huuh, da kam das Eisstadion, an dem wir morgens losgefahren waren. Ich werde ins Ziel kommen! Zähe zwei Kilometer bis in die Party-Meile von Garmisch-Partenkirchen! Den Zielsprecher konnte man hören. Ich glaube, 100 m vor dem Ziel schüttelten mich die Emotionen durch. Luft bekam ich keine mehr, heulend & lachend an Friedels Hand bin ich in die tobende Menge gelaufen.

Emotionen pur im Ziel

Ich habe noch eine Weile gebraucht, bis ich wieder Luft bekam. Irgendein Mauerwegläufer stand da wirklich! Gleich hinter der Ziellinie. Sorry, ich weiß nicht mehr, wer das war. Mein Kopf war ausgeschaltet.

Eigentlich bin ich eher eine Tiefstaplerin, aber nach diesem Tag kann ich wirklich von mir sagen, dass ich über mich hinaus gewachsen bin und Grenzen überschritten habe.

Der Schmerz geht, der Stolz bleibt.

Man kann wirklich Grenzen überwinden.

Text und Bilder: Dorit Liberti

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