Er fing wenig heldenhaft an, dieser Ausflug nach Waren zum Müritz-Lauf am vergangenen Wochenende: landschaftlich ein schöner Lauf, sehr grün und idyllisch, nur sollte man – auch wenn es der Lauf um Deutschlands größten Binnensee ist – nicht erwarten, allzuviel See zu sehen (Müggelsee-Halbmarathon lässt grüßen). 

Gerettet vom Kaffeeröster
Aber zurück zum Anfang: Ich Packheldin musste auf dem Weg zum Bahnhof erst einmal feststellen, dass ich meinen Sport-BH zuhause vergessen hatte. 75 Kilometer wahlweise BH-frei oder mit dekorativem, aber weitgehend haltlosem Modell zu laufen, erschien so wenig wünschenswert, wie den Ultra barfuß unter die Füße nehmen zu müssen. Da wir vom Hauptbahnhof starteten, schien kurzfristig die dortige Drogerie meine Rettung zu sein – doch gab es hier zwar massenweise Sportsocken aller coleur, aber von BHs keine Spur. Meine Rettung war die Filiale eines bekannten Kaffeerösters, die zumindest ein Bustier im Angebot hatten – „für gemäßigte Sportarten“. Wie gut, dass ich eh nicht übermäßig schnell laufen kann…

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Vor dem Start um den mit über 110 Quadratkilometern größten Binnensee Deutschlands, die Müritz – Teil der Mecklenburgischen Seenplatte (von links: Sonja Schmitt, Tom Meier, Claudia Tautz, Ralf Zimmermann).

Am Bahnhof verpassten wir dann fast den IC, der Verspätung hatte und ob eines konkurrierenden ICEs nicht nur auf ein anderes Gleis, sondern gleich auf einen anderen Bahnsteig verlegt wurde. Eine Änderung, die weder auf unserer Anzeige angezeigt wurde, noch als Durchsage akustisch verständlich war – dass wir den Gleiswechsel dennoch rechtzeitig registrierten, war nur Toms guter Aufmerksamkeit und schlechter Erfahrung mit Abfahrtsankündigungen am Berliner Hauptbahnhof zu verdanken.

In Waren beim Quartier angekommen, erwischten wir die Wirtin mit dem Telefon in der Hand, die gerade den Kontrollanruf starten wollte, ob wir denn überhaupt noch kämen. Jaja, wir sind ja jetzt da, und wären ja auch gern eher gekommen… Da die Zimmer zu einer Pizzeria gehörten, bekamen wir von ihr aber dennoch, auch um fast zehn, noch etwas zu essen – ein Glück, das uns fürs Frühstück nicht beschieden war („Wann wollen Sie denn frühstücken?“ – „So um halb sieben?“ Als Antwort folgte ein spontaner Lachausbruch der Wirtin.)

Ein Frühstück, das sich später auszahlt
Also suchten wir am nächsten Morgen nach Abholung der Startunterlagen um sieben das Altstadt-Café von Waren auf, wo wir uns ein unbescheidenes Frühstück einverleibten – eine Maßnahme, die uns im Laufe des Tages noch sehr zugute kommen sollte… Um viertel vor acht ging es dann auf zum Start am Hafen, wo wir wie erwartet auch Claudia Tautz und Ralf Zimmermann antrafen, mit denen wir schnell noch das obligatorische gelbe Startfoto machten. Dann ging es in das übersichtliche, knapp hundert Läufer umfassende Startfeld und dann auch schon los. Wir bequatschten im Siebener-Tempo den Mauerweglauf sowie vergangene und kommende UltraRunAndWalk-Ereignisse, bis Ralf und Claudia das Tempo etwas reduzierten, während Tom es anzog, so dass ich mich urplötzlich alleine irgendwo dazwischen wiederfand. Da es in diesem ersten Abschnitt durch den Wald und häufig um die ein oder andere Ecke ging, war ich mir sicher, Tom nach der nächsten oder übernächsten wieder einzuholen, da er sich ja bekennend sehr darauf gefreut hatte, diesen meinen ersten 75er – der Rennsteig-Supermarathon war ja nur 72,9 Kilometer lang 😉 – mit mir zu laufen.

Auf geht´s: Das LGM-Team, hier noch vereint, bei Kilometer 1.
Auf geht´s: Das LGM-Team, hier noch vereint, bei Kilometer 1.

Gut, dachte ich, dann wartet er vermutlich am VP. Aber Fehlanzeige. Der VP 1 kam wie geplant bei km zehn, von Tom keine Spur. Grrr! Schnell spurtete ich wieder los. Ralf, Claudia und dem sie auf dem Rad begleitenden Lucian (Claudias Mann) konnte ich nur noch kurz zuwinken – egal, ihnen war sicher klar, was ich vorhatte. Also Konzentration nach vorn. Aber da konnte ich lange gucken: Alles, was vor mir gelb aufleuchtete, entpuppte sich bei näherem Hinsehen entweder als hell durch die Büsche leuchtende Sonnenstrahlen oder als ein Werbeplakat. Das Tempo hatte ich mittlerweile auf 6:30 erhöht; im Vorfeld hatten Tom und ich angepeilt gehabt, mit 6:45 zu starten und dann zu gegebener Zeit nachzulassen. Also konnte er ja nicht mehr weit sein. Ich zog das Tempo weiter an, auf etwa 6:15 – nichts zu wollen.

Tom macht mich rasend
Ich sammelte diverse Läufer ein, aber von Tom keine Spur, auch nicht an VP bei Kilometer 18. Hä? Ich war mir bewusst, dass ich für meine (Ultra-)Verhältnisse viel zu schnell durch die Gegend raste  und noch vor Kilometer 30 komplett am Ende wäre, wenn ich das Tempo so durchziehen würde. Also fasste ich den – mir nicht leicht fallenden Entschluss – Tom anzurufen, um zumindest rauszukriegen, was hier Sache war. „Ich lauf doch gar nicht schnell“, kam es erstaunt aus dem Hörer, nachdem ich japsend kundtat, ihn trotz sub6:30 Pace nicht einzuholen. „Kein Problem, ich warte eben auf dich!“ Ein ähnliches Spiel wie zuvor begann – nach jeder Ecke erwartete ich, ihn vor mir zu sehen, es waren aber viele, viele Ecken, bis das dann passierte. Wie schnell oder langsam jenes „nicht schnell“ war, könnt ihr euch überlegen, wenn ich noch zu Protokoll gebe, dass es fast zwei Kilometer dauerte, bis ich ihn (gehend ab Telefongespräch) schließlich einholte. Wozu er sich dann umdrehte und lässig ein Foto von mir schoss – ein Foto übrigens, dass er mir im Gegensatz zu den anderen, die er auf den verbleibenden 55 Kilometern von mir machte, nicht weiterschicken wollte: „Das war ja gruselig, wie böse du da geguckt hast!!“ Was Männer bloß erwarten, wenn sie einen rasend machen?

Manchmal war auch der See zu sehen, wie hier auf dem letzten Viertel der Strecke. Insgesamt ist die Aussicht aber eher grün als blau.
Manchmal war auch der See zu sehen, wie hier auf dem letzten Viertel der Strecke. Insgesamt ist die Aussicht aber eher grün als blau.

Auf dem nun folgenden Teil der Strecke wurden wir von zahlreichen Staffelläufern überholt, die eine Stunde nach uns um neun gestartet waren und die 75 Kilometer als Team von bis zu acht Läufern absolvierten. Auffällig war, dass fast jeder der Staffelläufer einen oder sogar mehrere Fahrradbegleiter dabei hatte – was sich vor allem auf einem unebenen engen Abschnitt als recht nervig herausstellte. Wobei wir längst festgestellt hatten, dass eine Fahrradbegleitung für uns Einzelläufer viel wichtiger gewesen wäre, denn die VPs waren äußerst spärlich bestückt – Getränke waren keine Mangelware, aber außer Mini-Brezeln, Melonen und Traubenzucker alle 10 bis 15 Kilometer und zweimal Bananen und Äpfeln sahen wir keine feste Nahrung an den VPs. Zum Glück hatten wir aber ob der entsprechenden Berichte aus dem Vorjahr unsere Rucksäcke mit Riegeln und Studentenfutter dabei. Dennoch, wer wie wir die tollen VPs der LG Mauerweg kennen- und schätzen gelernt hat, musste hier natürlich enttäuscht sein.

Ihr seid die Wa(h)ren Helden!“
Doch trotz der Enge: Mangelnde Rücksichtnahme konnte man weder den Staffelläufern noch ihren Fahrradbegleitern vorwerfen, im Gegenteil: Es wurde mindestens freundlich gegrüßt, aus manchen Zurufen hörten wir sogar Bewunderung (manchmal auch Verwunderung) heraus: „Ultraläufer, Respekt!“ hieß es dann, oder – wie ein Mädel es so schön sagte: „Ihr seid die wahren Helden!“ Vielleicht meinte sie auch „die Waren-Helden“, jedenfalls hat sie mir meine Überschrift serviert, danke dafür ;-). Lustig war auch die Dame, die uns bei etwa Kilometer 34 mit einem „Na los, Tempo, nur noch einen Kilometer!“ anfeuerte, und ein „Oh, Entschuldigung!“ nachsetzte, nachdem sie einen Blick auf unsere Einzelläufer-Startnummern geworfen hatte.

Nachdem wir knapp die Hälfte der Strecke absolviert hatten, gönnten wir uns in Röbel ein Eis, was uns weitere Kommentare von „Das nenn ich die richtige Einstellung“ über „Sowas hätte ich auch gern“ bis zu „Davon müsste ich jetzt kotzen“ einbrachte. Ich stellte derweil nur fest, dass meine Kugel für meinen Geschmack eigentlich viel zu süß war, ich aber gerade dankbar über jeden Zucker war, den ich kriegen konnte. Insofern sollte es mir recht sein.

Juhu, Cola-Hydrate!
Denn so langsam wird der Lauf doch härter (für mich, für Tom ist es nach seinen flotten 90 Kilometern bei der Mauerweglauf-Zweierstaffel am vergangenen Wochenende nichts weiter als ein längeres Erholungsläufchen) und ich freue mich auf die vielen kleinen privaten VPs, wo wir aufmunternden Zuspruch und immer wieder Wasser und Cola (noch nie so viel Cola bei einem Lauf getrunken, Ersatz-Essen in Form von Cola-Hydraten quasi) bekommen. Zugute kommt uns immerhin, dass der Tag sich trocken und bewölkt präsentiert – so können wir den auf dem zweiten Teil dann doch hin und wieder schönen Ausblick auf die Müritz genießen und verkochen auf den waldfreien Passagen nicht.

An liebevoll ausgerichteten privaten Wasserstellen war kein Mangel...
An liebevoll ausgerichteten privaten Wasserstellen war kein Mangel…

Körperlich stelle ich fest: Bis Kilometer 50 läuft es gut, bis Kilometer 60 noch einigermaßen, danach ist der Lauf muskulär für mich eine echte Quälerei – ich fühle mich an den mittleren Teil von Tag vier beim Balaton erinnert (wenig Laufspaß, viel Aua). Entsprechend werden auch die Gehpausen mehr. Ganz schön langsam und gequält, das Ganze. Ich muss spontan an einen Artikel von Achim Achilles über einen seiner langen Läufe denken, in dem es heißt: „200 Meter vor mir sehe ich eine Oma mit Rollator. Ich komme ihr nicht näher.“ So fühle ich mich. Ich bin also gar nicht erfreut, als Tom begeistert auf einen Einzelläufer zeigt, der ca. 200 Meter vor uns ebenfalls zwischen Laufen und Gehen wechselt. „Komm, den kriegen wir, das macht Spaß!!“

Er will Spaß – sie will nur noch ankommen
Spaß? Ich will nur noch ankommen – die Idealvorstellung, unter neuneinhalb Stunden finishen zu können, musste ich bei Kilometer 65 aufgeben – sub 10 Stunden würden wir auf jeden Fall ins Ziel laufen, ob wir uns jetzt den Läufer „kaufen“ würden oder nicht. Doch Tom kennt keine Gnade.

Der hat gut lachen, für ihn ist es nur ein lockeres, wenngleich längeres Trainingsläufchen: Tom bei Kilometer 65.
Der hat gut lachen, für ihn ist es nur ein lockeres, wenngleich längeres Trainingsläufchen: Tom bei Kilometer 65.

Wir traben (falls das bei mir noch so aussieht) also an ihm vorbei. Die ganze Zeit sehe ich vor meinem inneren Auge, wie er seinerseits nochmal Gas gibt und wir das ermüdende Erholungsspielchen die noch langen, langen fünf Kilometer bis ins Ziel spielen. Doch Tom sollte Recht behalten, kaum sind wir an dem Herren vorbei, ist es mit seinem Ehrgeiz sofort vorbei, bald kann ich ihn selbst im Schulterblick nicht mehr sehen. Dafür tauchen noch zwei weitere Einzelläufer vor uns auf, mit denen das gleiche Spielchen seinen Lauf nimmt (Leute, wer immer ihr ward, danke, dass ihr uns einfach habt passieren lassen, alles andere hätte ich nicht durchgestanden!).

Dann endlich sind wir auf dem letzten Kilometer und es gelingt mir sogar, das Tempo zu einem Endspurt anzuziehen – so dass wir zumindest nach außen noch gut aussehen, als wir die 300 Meter lange Zielgasse unter dem Jubel der Zuschauer entlanglaufen (vorher in Waren hat eh kein Mensch auf uns geachtet).

Das hat Spaß gemacht, und es gab sogar einen namentlichen Aufruf im Ziel, wobei das System hier offenbar Schwachstellen hatte, wie ich feststellen musste: Denn der Zieleinlaufmoderator begrüßte mich mit: „Und wir heißen auch Frank mit der Nummer 59 herzlich im Ziel willkommen, nee Moment, muss eine Franka sein, Entschuldigung, können Sie das aufklären?“ Die Urkunde immerhin war dann auf den richtigen Namen ausgestellt.

Ich war zwar etwas knülle, aber dass ich weder Frank noch Franka heiße, wusste ich schon noch, trotz anderslautender Behauptungen des Moderators: Finish mit Tom nach 9:32:12.
Ich war zwar etwas knülle, aber dass ich weder Frank noch Franka heiße, wusste ich schon noch, trotz anderslautender Behauptungen des Moderators: Finish mit Tom nach 9:32:12.

Respekt allen Finishern?
Auch wettertechnisch hatten wir unseren Zieleinlauf perfekt getimt: Kaum waren wir ein paar Minuten da, fing es an zu schütten. Mein Vorhaben, nach dem Regenguss das schöne Schild „Respekt! Allen Champions und Finishern“ als Hintergrund für das Finisherfoto von mir und Tom zu nehmen, wurde dann durch den Veranstalter torpediert, der um sechs – zehn Stunden nach Start, aber eine Stunde VOR Cut-off – jenes abzubauen begann. Etwas, das sich als symbolisch erwies, indem nach dem Respekt auch Zieleinlaufgatter und hernach auch Zieluhr abgebaut wurden – weswegen Ralf und Claudia, die mit 11 Stunden 1 Minute eintrudelten, nur noch ein trauriges Ziel-Ambiente vorfanden. Keine schöne Werbung für den Lauf, Respekt allen Finishern gegenüber sieht anders aus… Ergo stellten wir fest: Den Müritz-Lauf kann man durchaus mal gemacht haben, er ist aber kein Ereignis, das nach jährlicher Wiederholung schreit.

 

Mein Fazit zum Müritz-Lauf:

  • Landschaftlich schöner Lauf um den größten Binnensee Deutschlands, wobei es nicht viel See zu sehen gibt.
  • Die VPs zeichnen sich durch sehr freundliche Helfer, nicht jedoch durch ihre Angebotspalette aus: Minibrezeln, Traubenzucker, Melone und (selten:) Apfel/Banane, that´s it. Getränke (Wasser, Cola, Tee, Energiedrink) gibt es ausreichend, auch dank zahlreicher zusätzlicher kleiner, sehr liebevoll betreuter, oft privater Getränkestellen.
  • Der Respekt wird nach zehn Stunden abgebaut.
  • Bergläufe wie der Rennsteig sind erstmal anstrengender, aber durch das Auf und Ab kurzweiliger und tun mir im Nachgang weniger weh (Rennsteig hatte ich nach 48 Stunden muskulär verarbeitet, den Müritz-Lauf ganz offenbar noch nicht).
  • Das Adjektiv „gemäßigt“ trifft meine Laufleistung offenbar, mit dem Billig-Bustier hatte ich keine Probleme…

Text: Sonja Schmitt; Fotos: Thomas Meier, Sonja Schmitt