So viel kann ich schon sagen: Diese Umrundung des Plattensees in Ungarn im März 2013 war mein erster Ultra-Etappenlauf. Und auch bisher anstrengendste Wettkampf in meinem 27-jährigen Läuferleben!

Aber der Reihe nach…

Ich hatte gut trainiert und wusste, dass ich beim Marathon schnell laufen kann. PB 3:19 in Berlin und Dresden 2012. Nun muss ich aber 4 Tage hintereinander mehr als einen Marathon laufen – davor hatte ich großen Respekt! Wie schnell laufe ich? Kann ich 4 Tage das gleiche Tempo durchlaufen? Laufe ich am ersten Tag langsamer und steigere ich mich? Wie schnell werde ich den ersten Tag laufen? Viele Fragen schwirrten mir im Kopf rum. Das wichtigste war für mich anzukommen, dass heißt nicht zu schnell am Anfang laufen. Erst hatte ich mir gedacht mit einem Schnitt von 5:45 zu laufen. Den  kann ich lange halten.

Zwei Tage vor dem Wettkampf habe ich mit meinem Lauffreund Andreas Deák mal angeschaut, wie schnell die Frauenspitze am Balaton läuft. Letztes Jahr lief die beste Frau ein Schnitt von 5:14 und das Jahr davor 4:53. Ich dachte: Wie verrückt! Dann schau ich mal, ob ich unter die Top 5 bis 10 komme. Nun kam einen Tag vor dem Wettkampf noch eine Mail von Michael Irrgang, dem DUV-Sportwart und 100Meilen-Coach. Mit dem Inhalt: Immer nur langsam und auf ein sicheres Ankommen laufen, das ist doch auch langweilig. Also lasst es ruhig krachen und zeigt der Konkurrenz, wie gut ihr trainiert seid! Diese Mail rüttelte mich wach und ich überlegte neu… Mein neuer Plan war am ersten Tag zügig zu laufen, aber so, dass es mir nicht zu schwer fiel. Dann am zweiten Tag steigern und dann schauen wie es mir geht.

Vor dem Start war ich sehr unruhig. Und auch das Wetter mit 5 Grad, starkem Wind und Regen war nicht mein Wetter.

 1. Etappe 48,2km: (Zeit 4:15:12 Ø 5:16 Ø HF 78%)

Dann endlich ging es los! Ich war im hinteren Drittel gestartet und mir wurde sofort klar: Nein, das ist nicht mein Tempo. Also ausscheren und ab nach vorne mein Tempo finden, immer den Blick auf meine Laufuhr, um nicht zu schnell los zu flitzen.

Ich wollte 5:45 laufen und dachte so nach einem Kilometer: Man, fällt mir die 5:49 schwer… Als ich dann noch mal auf die Uhr schaute, war mir klar, warum es so schwer lief… Ich lief 4:49… Upps, dachte ich mir… Tempo rausnehmen! Ich musste innerlich schmunzeln, dass mir so etwas passiert ist, und war zugleich mental gut drauf, weil ich doch so locker die 4:49 lief. Das Tempo runter zu schrauben fiel mir schwer und so blieb ich bei einer 5:15 (Min. pro Kilometer) hängen. Das war ein schönes Tempo und die Gedanken „ich laufe in der Frauen-Spitze mit“ gefielen mir auch ganz gut. Es lief alles gut. Mir ging nur öfters der Gedanke durch den Kopf: Kann ich das Tempo die Tage halten? Es war aber ein schönes Gefühl, viele Frauen zu überholen und mich überholte keine.  Aber dann trat das ein, was ich gar nicht mag: 8 Kilometer vor dem Ziel läuft eine kleine Frau mit einem netten Gruß an mir vorbei… Aber nicht nur dies! Sie hatte noch zwei Frauen mit im Schlepptau. Hopp oder Top, ich musste nach 40 Kilometern aus meinem etwas langsameren Tempo raus und versuchen, da dran zu bleiben. Eine Frau konnte ich noch einholen, die anderen beiden sind vor mir im Ziel gewesen. Der Schnitt für diese Etappe lag bei 5:16. Es war sehr anstrengend, aber als wir auf die Wertung schauten, dachte ich mir: Das hat sich gelohnt! Ich war 3. Frau der Gesamtwertung und 2. Frau in meiner AK. Wie genial ist das denn!! Mental sehr wichtig, jedoch zugleich innerer Stress. War ich zu schnell? Kann ich morgen diese Leistung noch mal abrufen?

 2. Etappe 52,9km: (Zeit 4:43:16 Ø 5:19 Ø HF 76%)

Ich war angespannt, aber gut regeneriert an den Start gegangen. Heute ist die längste Etappe. Und wieder ohne Anstiege. Nur am Ende einer und vor dem Ziel ein kurzer heftiger. Das Wetter war gut. Sonne,  7 Grad, aber wieder sehr windig und dazu Wind ab Km 30 von vorne. Das wird heftig, dachte ich mir…

Ich lief wieder mit einem Schnitt von 5:15 los ab Km 2 traf ich auf die gesamtführende Frau. Mit dabei auch die Führende in meiner Altersklasse sowie die hinter mir liegende Konkurrentin. Ich freute mich und dachte: Hier muss ich dran bleiben und schauen, dass ich mich nicht überanstrenge. Es dauerte nicht lange und die nächsten Verfolgerinnen waren in unserer Gruppe. Alles Ungarinnen, und die kannten sich! Und sie hatten ihre männlichen Pacemaker dabei, somit auch ihren Windschutz. Mir war klar: Ich muss in dieser Gruppe bleiben und es war mir auch klar, dass die Mädels versuchen werden, mich abzuschütteln. Die Frau, die ich gestern hatte stehen lassen, war auch mit in der Gruppe. Und als der Wind von vorne kam, wurden von ihr auch mal ein paar Ellenbogenchecks ausgeteilt. Ich sagte freundlich „Danke“ und schaute sie an. Diese Art kann ich nicht leiden und ich wurde etwas sauer, was mich mental aber noch stärker machte. Nun wurde ab Km 22 das Tempo erhöht, und obwohl es mir schon schwer fiel wusste ich, ich muss da dran bleiben. Bei diesem Wind von vorne würde ich die Leistung alleine niemals halten. Am Ende habe ich es geschafft, und noch viel besser: Zwei andere Frauen sind am Ende eingebrochen und ich habe Zeit gut gemacht. Die letzten 10 Km steigerte die gesamtführende Frau wieder  das Tempo und lief davon. Ich versuchte so gut es ging mich auch wieder abzusetzen und konnte meinen Vorsprung um eine Minute ausbauen. Nun war ich 2. Frau gesamt und die Erste in meiner Altersklasse. Nun war ich ganz schön angeschlagen. Es war ein hartes Rennen gewesen und morgen sollten ein anspruchsvolles Profil und Muskelkater dazu kommen. Meine Gedanken waren nur:  Hoffentlich  geht’s meiner Konkurrenz auch so…

3. Etappe 43,6km: (Zeit 3:51:55 Ø 5:19 Ø HF 75%)

Etwas unruhig und mit Muskelkater, vollem Respekt vor dem welligen Profil ging ich diesmal an den Start. Das Wetter war mir auch zu kalt, bedeckt, aber dafür nicht windig. Vor dem Start traf ich die führende Frau in der Gesamtwertung. Und nun kam für mich was Beruhigendes. Eva fragte mich, ob wir wieder zusammen laufen könnten. Mir war damit klar: In der Gruppe kann ich viel gleichmäßiger schneller laufen. Mental war dies vor dem Start schon mal eine sehr angenehme Botschaft. Diese dritte Etappe war die kürzeste und für mich abwechslungsreichste. Hinzu kam noch, dass der Frauenpacemaker, Ede, ganz gut Deutsch konnte und somit gab´s unterwegs das eine oder andere Gespräch. Das Rennen wurde wieder am Ende entschieden. 8 Km vor dem Ziel lief Eva, die Gesamtführende, wieder los. Und ich hinterher. Schnitt 4:45 bis 5:00.  Ich war am Ende glücklich, die 3. Etappe geschafft zu haben.  Den Vorsprung in der Gesamtwertung konnte ich weiter ausbauen.

4. Etappe 50,7km: (Zeit 4:37:14 Ø 5:27 Ø HF 76%)

Das Wetter war die Katastrophe für mich: Schnee, Wind, und saukalt. Auf jeden Fall Minusgrade. Und dann noch der Muskelkater… Wenn nicht der Wettkampf gewesen wäre, dann wäre ich mit diesem Muskelkater nicht mal einen Kilometer gelaufen. Ich sagte mir: Egal, nur noch heute, und den anderen geht’s auch so! Ich laufe den 2. Platz trotzdem nach Hause.

Es ging mit einem Schnitt von 5:20 los. Ich hatte Seitenstiche, weil die 2 Stunden vom Frühstück bis zum Start nicht ausreichten. Und ich hatte die falsche Hose an. Viel zu dünn. Es war zu kalt und die Oberschenkel schmerzten bei jedem Schritt.  Auch der Wind war einfach nur fies. Meine Angst war, dass die Oberschenkel dies keine 50 Kilometer aushalten und ich mich verletze. Oder Krämpfe bekomme, die ich noch nie hatte. Nach 5 Km musste ich das erste Mal die Blase leeren und die Muskelschmerzen waren immer noch da. Jetzt musste ich den Hebel umlegen…Es hilft mir nicht, alles Negative zu durchdenken. Einfach alles hinnehmen, an den Problemen kann ich sowieso nichts ändern! Kopf aus und laufen und bloß nicht aus der Spitzengruppe rausfallen. Ich dachte an meinem Freund Frank Wittwer, der jetzt auch alles geben würde, sowie an andere gute Lauffreunde, wie Mark Becker und Martin Grugel. Und dann an die vielen Daumendrücker, die bei mir waren. Und so lief ich einen Kilometer nach dem anderen. Ein Problem hatte mich dann doch noch: Ein wenig erschrocken war ich, als ich beim Nase abwischen Blut am Handschuh hatte. Beunruhigter Gedanke: Übernehme ich mich? Ich habe nie Nasenbluten! Oder ist es nur die Kälte? Ich fühlte mich nicht so, dass ich am Anschlag laufen würde. Also weiter so und schauen, was passiert! Es ging gut… Ich wusste, welchen Vorsprung ich auf meine Verfolgerin hatte und ab Km 25 war mir, dass ich mein Ziel erreichen werde. Unsere Spitzenläuferin Eva setzte sich bei der letzten Etappe schon 20 Km vor dem Ziel ab. Das war nun auch für mich das Signal, das Tempo zu  Tempo erhöhen. Bei Km 35 kam dann noch ein heftiger Anstieg sowie der noch schlimmere Abstieg. Es tat einfach nur weh… Aber egal. Ab Km 41 lief ich dann nur noch einen Schnitt von 5:28. Immer mit dem Gedanken: Kommt Ede,  der ungarischePacemaker, mit meinen Verfolgerin noch an mich ran? Ich versuchte ab Km 47 das Tempo zu erhöhen… Aber da kam auch schon Ede an mir vorbeigeflogen. Seine Worte: „Martina, komm los! Du bist so ein gutes Rennen gelaufen,  komm streng Dich an!“ Ich weiß nicht, woher Kraft und Energie kamen,  aber ich bin zu Ede aufgelaufen und blieb an seiner Wade bis zum Zieleinlauf. Der Kerl hat mich noch tatsächlich auf einen Schnitt von 4:40 auf den letzten 3 Km gezogen. Und hat dann total profimäßig mich im Zielendspurt vorgelassen, damit ich den Zieleinlauf alleine genießen konnte. Das war ein unbeschreibliches Gefühl, was ich nie vergessen werd!. Was auch sehr motivierend war, dass im Zielbereich Mathias De Prest von der LG Mauerweg anfeuerte. Leider hatte ihn eine Verletzung schon während der 1. Etappe aus dem Wettbewerb geworfen.

Hinter der Ziellinie gab´s dann die Freudentränen: 2. Platz bei den Frauen und 1. Platz in meiner Altersklasse. 195,4 Km um den Balaton in 17:27 Stunden.

Ein ganz großes Dankeschön im Nachhinein den fairen ungarischen Frauen, vor allem Eva Gyebár (1. Gesamtfrau)!

Zum Schluss muss ich noch schreiben, dass die ganze Reise nach und durch Ungarn mit uns verrückten Mauerwegläufern inkl. Judit Deák ein Erlebnis für sich war!

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