Ja – wie, wo fange ich an…?

Nach einem Gespräch sowie beim Anschauen der Fotos auf der 100-Meilen-Berlin-Seite habe ich gedacht, ich möchte doch meine Erlebnisse, Erfahrungen, Höhen und Tiefen aufschreiben.

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Meine Vorbereitung lief alles andere als gut. Bis Mitte März war alles bestens: Mit dem überraschenden 2. Gesamtplatz der Frauen beim Supermarathon um den Balaton (195 km in 4 Tagen). Am 01.04.2013 bekam ich bei einem Trainingslauf unter der Fußsohle Schmerzen, und das war leider kein Aprilscherz. Ich habe ein paar Tage Pause gemacht und dann wieder versucht zu laufen. Es ging nicht, der Schmerz wurde schlimmer. Plantarfasziitis – eine Sehnenentzündung – wurde festgestellt. Krankengymnastik, 7 Wochen Entzündungshemmer inklusive Schmerzmittel und ein reduziertes Training mit dauerndem leichten Schmerz waren angesagt. Ende Mai lief ich den Rennsteig-Supermarathon. Danach war es dann vorbei. Die Tabletten mit dem Entzündungshemmer wurden abgesetzt. Dann war der Schmerz so stark, dass ich nicht mal mehr normal gehen konnte. Röntgen, MRT und auch die Szintigraphie ergaben keine weiteren Ergebnisse. Leicht verzweifelt, aber immer noch im Kopf: „Ich möchte die 100 Meilen laufen“, entschloss ich mich, auf eigene Kosten einen Sport-Privatarzt zu besuchen. Innerhalb von drei Wochen war ich schmerzfrei dank Spritzen in den Hacken und Stoßwellentherapie. Nach 7 Wochen Laufpause hieß es Mitte Juli: Ich kann langsam wieder anfangen zu laufen. Ich hatte noch 4 Wochen bis zum Start der 100 Meilen Berlin. Mir wurde übel bei dem Gedanken, in 4 Wochen 160 km zu laufen. Ich bin noch nie einen 100-km-Lauf gelaufen und auch keinen 12-Stunden-Lauf. Uff – wie soll ich das schaffen? Mark Becker, der ständig mit mir in Kontakt war und mir immer wieder Mut machte, sagte zu mir: „Martina, ich würde jedem sagen ‚Lass es sein‘, aber du läufst das Ding auch so.“ Ich bin in der 1. Woche 36 km gelaufen – und soll ich euch was sagen: Bei dem 25-km-Lauf mit Mark hatte ich Muskelkater und war total platt. Oh Mann, schaffe ich das? In der 2. Woche bin ich 70 km gelaufen und immer mit dem Fokus auf dem Fuß: Bleibt dieser schmerzfrei? In der 3. Woche lief ich 150 km. Ich weiß – verrückt – aber mir blieb nichts anderes, ich brauchte die für meinen Kopf. Mein letzter Trainingslauf war ein 64-km-Traillauf, unter anderem mit Gaston Prüfer, der mich die letzten 12 km noch mal auf Tempo brachte. Es ging ganz gut und das beruhigte mich etwas. Nun gab es noch mal einen Schreck – ich bekam ein dickes Knie. Auf Grund des schnellen Muskelaufbaus drückte die Kniescheibe auf den Knorpel. Zum Schutz des Knorpels bildet sich Wasser unter dem Knie. Na fein! Mein Krankengymnast sagte: „Ist nicht so schlimm.“ Er tapte mich und sagte: „Mach nun Pause bis zum Start. Das wird noch.“

Nun kam etwas Hektik auf. Ich war mir sicher: ich starte. Was muss ich alles zusammen packen? Was brauche ich noch? Welches Tempo laufe ich? Cut-Off-Zeiten notiert. Wie viel Kohlenhydrate verbrenne ich? Wie viel nehme ich zu mir? Ja, auch das konnte ich nicht richtig ausprobieren. Feste Nahrung geht nicht, bekommt mir nicht. Nur Gel, nein, das geht in diesen Mengen auch nicht. Malto-Ingwer-Gemisch und Peronin war mein Plan.

Die Tage bis zum Start rasten nur so davon und ich wurde nun unruhig, was kommt auf mich zu? Es gab drei Ziele: das erste – war ankommen, das zweite – unter 24 Stunden, denn ich wollte den Buckle, und das dritte – ich laufe das Ding in 20 Stunden.

Was mich beruhigte, dass ich meinen Freund Frank Wittwer als Fahrradbegleitung bei mir haben würde. Und dann ergab sich noch was richtig Tolles: Gaston Prüfer, ein sehr ambitionierter, spaßiger Ultraläufer vom Verein, ist laufend an meiner Seite.

Nun war es soweit: Startunterlagen im Hotel Ramadan abholen, Pasta-Party, Briefing und dann ab zur Lobeckstraße zum Camper zum Schlafen.

Das Briefing ging mir zu lange, schnell zur Lobeckstraße und die Dropbags gepackt. Nun noch diverse Dinge mit Frank besprechen – in welcher Tüte ist was, was habe ich mit, in welcher Reihenfolge möchte ich was zu mir nehmen und und und… Ich wurde immer unruhiger. Wir mussten noch das Fahrrad für Frank einstellen und bepacken. Und dann die Gedanken: Habe ich alles? Fehlt noch was? Ich ging noch mal aus dem Camper und redete mit einigen Läufern, die auch noch draußen umherliefen. Ja, es gab sogar noch einen Walzertanz mit Jörg Levermann. Ich schaute auf die Uhr. Es war schon 0:00 Uhr, um 4:00 Uhr ist die Nacht vorbei. Ich muss schlafen! Ich legte mich hin, aber schlafen ging nicht. Ich drehte mich nur umher. Um 2:30 Uhr habe ich das letzte Mal auf die Uhr geschaut. Mir liefen so viele Gedanken durch den Kopf – Was wird das Knie machen? Was macht der Kopf? Und dann redete ich mir gut zu, dass ich die bin, die am ausgeruhtesten startet und dachte, mein Kopf wird schon funktionieren. Und dann muss ich doch noch eingeschlafen sein. Als das Handy um 4:00 Uhr klingelte, war ich sichtlich erleichtert. Ich habe geträumt, dass all meine Laufsachen weg sind und ich nicht starten kann… Endlich war es soweit, ich kann aufstehen. Mit Grummeln im Bauch habe ich ein halbes Brötchen mit Käse und eins mit Marmelade gegessen, etwas Tee getrunken. Nun die Laufsachen anziehen und noch mal das Klo aufgesucht. Und dann ist alles so schnell gegangen. Lauter Läufer – viele, die ich kenne, ich kann gar nicht alle begrüßen. Dann kamen auch noch einige Freunde zur Überraschung zum Start, unter anderem Marion, die Rennschnecke. Das hat mich riesig gefreut. Gaston war auch früh da und er hatte sich für mich zur Aufmunterung echt was einfallen lassen 🙂 Wir haben Gaston´s  Sachen im Fahrrad verstaut, dann gab es noch das eine oder andere Foto und schwupps… mussten wir zum Start. Kurze Verabschiedung von meinem Schatz, der erst wieder ab VP2 mit dem Rad zu uns stoßen würde.

Das Wetter war für mich sehr gut – blauer Himmel und es war auch nicht kalt. Ich konnte gleich in kurzen Laufsachen starten.

Und dann war es soweit – wir stellten uns vorne an die Startlinie. Es wurde von 10 runter gezählt. Irre Stimmung. Der Schuss… und wir liefen los. Es war total erleichternd endlich zu laufen. Ich war gut gelaunt und sagte mir beim Lauf im Stadion: „Hey Stadion, ich komme hier wieder an!“

Wir konnten beide gleich gut nebeneinander laufen. Nur die Ampeln waren sehr störend. Es war nicht leicht ein Tempo zu finden. Geplant hatte ich am Anfang einen Schnitt von 6:30 min/km. Aber was läuft schon nach Plan… Schnell war zu sehen, dass wir zu schnell waren und das trotz Ampeln. Es lief aber locker und ich hatte das Gefühl, dass Gaston und ich die Schnecken sind. Viele liefen an uns vorbei und es war schwer da nicht mitzulaufen. Ich hatte aber immer die Strecke von 160 km mit Höllenrespekt sowie meine absolute Unerfahrenheit auf dieser Länge im Kopf, noch dazu mein Trainingsdefizit. Immer wieder sagten ich und Gaston: „Wir sind zu schnell.“ Bei km 7 kam ein Freund, der mir eine Flasche mit Peronin brachte und gute 20 km mitlief. Auch er sagte: „Die laufen ja alle schnell. Das halten die doch nicht durch?!“ Im Mauerpark gab es die erste Pinkelpause für uns beide. Und obwohl wir wussten, dass wir zu schnell sind, liefen wir die nächsten km noch schneller. Ständig der Blick zur Uhr und wir liefen 5:40 min/km. Ich wusste nicht, was ist nun richtig? So weiter laufen oder doch das Tempo reduzieren? Ich wusste, Gaston kann schneller laufen als ich und ist einfach mal besser vorbereitet.

Wir waren schnell beim VP2. Ab hier war Frank bei mir, der meine Flasche mit dem Peronin nahm. Meine Beine waren locker, ich war gut drauf. Gaston neben mir und Frank war auch da, dann laufen wir mal Schritt für Schritt. Das Einzigste, was sich schon hier bemerkbar machte war, dass ich ständig aufstoßen musste, als ich was zu mir nahm. Das wurde auch mein Hauptproblem – dazu aber später. Wir nahmen ein wenig das Tempo raus. Ich sagte zu Gaston: „Ein 6er Schnitt reicht.“ Es fanden nur kurze Gespräche statt, da ich mit meinem Magen etwas Probleme hatte. An der Strecke standen Mark´s Frau und seine Kinder, es war schön sie zu sehen. Ich klatschte die Hände der Kinder ab. Bis zum VP7 km 39 bin ich ohne stehenzubleiben durchgelaufen. Versorgt wurde ich von Frank vom Fahrrad aus. Gaston hat sich an den VP´s versorgt. Er wollte die Versorgung vom Fahrrad nicht. Somit musste er nach jedem VP meinen kleinen Vorsprung immer wieder aufholen. Mein gedachter Versorgungsplan ging nicht auf. Ich wollte schön gleichmäßig Kohlenhydrate zu mir nehmen, aber das Peronin schien ich nicht vertragen zu haben und das Malto-Ingwer-Gemisch habe ich zu scharf hergestellt. Und mit dem schmerzenden Magen wollte ich das etwas zu scharfe Malto-Gemisch nicht mehr zu mir nehmen. Also Plan B: Wasser und Gel. Unsere Gespräche gingen darum, was kann ich machen, dass es nicht schlimmer wird. Zwischendurch gab es noch eine süße Überraschung von Marion Rennschnecke. Sie hatte Frank beim Start für mich ein Glücksbringer-Kärtchen mit Glücksbringer-Gummibären mitgegeben. Das war auch eine tolle Aufmunterung. Am VP7 dann mal eine kurze Pause zwecks Begrüßung durch die LG Nord und schauen, ob da was liegt, was ich essen möchte – nein, leider nicht. Also in Ruhe Wasser getrunken und weiter geht’s. Nun fingen leider die Schmerzen im Magen/Darm an. Das Laufen ging gut, nur konnte ich es nicht so genießen aufgrund von Magenschmerzen. Ich hatte so was noch nie gehabt. Ich konnte nicht einschätzen, was weiter passiert – Hört es mal auf (wie Seitenstiche)? Wird es schlimmer? Muss ich noch brechen? Dann der Check, was macht die Fußsohle und das Knie – alles okay. Das war doch was. Ich habe nur ein Problem – Magen – geht doch. Nun wurde es schon ganz schön warm. Wir liefen locker weiter. Gaston hatte meine Zeiten, die ich mit ihm als Bestzeiten aufgeschrieben hatte, bei sich und checkte immer mal wieder, wie viel Zeit wir schon gut hatten. Am ersten Wechselpunkt war dann noch mehr Stimmung als bei den anderen VP´s. Wir wurden durch Alexander von Uleniecki begrüßt und angefeuert; Carsten Bölke, unser Rennarzt, war auch da – es war schön sie zu sehen. Wir haben was getrunken, Gesicht frisch gemacht und weiter ging es lächelnd. Frank kümmerte sich um das Dropbag und füllte die Getränkeflasche wieder frisch auf. Alles lief perfekt. Ich hatte immer Wünsche an meinen Verpfleger Frank: Das T-Shirt scheuerte. Bitte das gelbe Shirt… Als er mit dem Shirt bei mir war, hatte ich mich schon wieder umentschieden. Es war in der Sonne so warm, dass ich doch lieber gleich das ärmellose, orange Shirt hätte. Ohne irgendetwas zu bemängeln hat er meine Wünsche erledigt. Danke Frank.

Ich mag ja Wärme, aber irgendwie an diesem Tag nicht. Mir wurde in der prallen Sonne etwas komisch schwindelig. Ich mag kein Käppie, aber ich erinnerte mich an den Tipp:  Kopfbedeckung in der Sonne. Also habe ich es nass gemacht und aufgesetzt. Und zur Abkühlung habe ich mich mit der Blumensprühflasche angesprüht. Das war gut. Gaston lief auch mit Mütze und es ging ihm gut.

Mein Magen/Darm rebellierte nun so, dass das Gel auch nicht mehr ging. Ich versuchte es mit trockenem Brot und Waffeln. Aber das war noch schlimmer, ging auch nicht.

Was mich aber beflügelte war die Tatsache, ich war 3. Frau. Ich habe es erst gar nicht geglaubt. Aber als es noch mal bestätigt wurde, dachte ich: „Wie geil ist das denn?“ Ich sagte zu Gaston: „Hey, ich bin 3. Frau!“ Er sagte in seiner trockenen Art: „Martina, vergiss es, denk nicht mal drüber nach. Wir haben noch einen weiten Weg.“ Ich dachte, ja recht hat er, aber die anderen auch 😉

An der Heerstraße überraschten mich zwei gute Freunde Wolle und Jutta mit dem Rad, Sie blieben ein wenig bei mir. Sie merkten aber dass ich ungesprächig bin und angespannt lief und habe mich dann lieber wieder alleine gelassen. Sie sagten mir später, Sie hatten das Gefühl zu stören. Nein, das war so nicht ich wollte nur nicht Reden und war rein weg aus das Laufen fokussiert.

Nun waren wir beim VP im Garten km 68. Der war toll. Wieder so liebe nette Leute. Was genial war – es gab eine Wanne voll mit Wasser zum Abkühlen und frisch machen und eine Dusche, die eine Frau zum Abkühlen der Köpfe bereithielt. Ah, eine Wohltat war das! Ich schaute, was es zu essen gab. Und es gab Kartoffeln. Ich versuchte ein Stück mit Wasser runter zu bekommen. Ja, es ging einigermaßen. Frank bekam sogar ein paar in der Tüte mit. Ich war etwas beruhigt, weil – 90 km ohne Essen, das geht nun wirklich nicht. Bei km 74 gratulierte mir Gaston grinsend dazu, dass ich nun in der Dimension laufe, die ich noch nie kennengelernt habe. Wenn ich hinter ihm lief und einen Schritt vor den anderen setzte, musste ich öfters schmunzeln – Gaston im Minirock als Frauenbegleiter und der Smiley am Hintern, dazu die leichten Fußballer-O-Beine, mit Flügeln am Schuh – toller Kerl. Ich fühlte mich schon gefordert, aber nicht überfordert. Der Weg zum 2. Wechselpunkt in Sacrow bei km 80 verging schnell und es lief noch ganz gut. Dort war wieder Alexander von Uleniecki, der für Stimmung sorgte. Carsten Bölke, der mir sagte, dass ich gut und locker laufe. Alexander Lauterbach war auch da. Es ist irgendwie richtig beflügelnd, bekannte Gesichter und ganz besonders liebe Freunde zu sehen…

Nun kam mental was Schönes. Ich sagte Gaston: „Wir zählen nun rückwärts.“ Das Wieder-Anlaufen wurde nun schon schwerer. Frank musste mir immer öfter die Trinkflasche reichen, weil ich ständig Durst hatte. Ich konnte nur noch Minischlückchen nehmen, weil die Magenkrämpfe sonst zu stark wurden. Die Kartoffeln gingen zu Ende. Zum Glück war ich noch in der Lage zu denken. Frank bekam den Auftrag, einen Freund, der mich so bei km 120 etwas mit dem Rad begleiten wollte, anzurufen und ihm zu sagen, er möchte bitte Kartoffeln mitbringen. Ich war nun schon etwas k. o. Dies merkte ich, weil ich zu Frank etwas unfreundlich wurde, da er mit meinem Handy nicht klar kam. Mein Essproblem war einfach mal total belastend. Irgendwo gab es auch mal Wassermelone, die ging auch gut, besser noch als Kartoffel. An jedem VP fragte ich: „Habt ihr Melone?“ – Nein. Bei dem VP Brauhaus Meierei km 93 hatte Frank die Chance, ein frisch gezapftes Bier zu trinken. Aber Radfahren und Bier trinken vertrug sich nicht und – schwupps – flog der Becher aus der Hand. Oh je, der arme Frank 🙂

Kurz vor dem Griebnitzsee überraschte uns die Freundin von Gaston, Kathleen, die dort an der Strecke stand. Wir liefen einfach vorbei. Ich lächelte so gut es ging und grüßte sie. Gaston lief auch nur so weiter. Wir waren dort, ohne dass wir es bemerkten, ganz schön abgetreten. Die Strecke war zum Teil auch ganz schön hügelig und die Sonne knallte auf uns runter.

Nun freute ich mich aber erst mal. Mein erster 100-km-Lauf war geschafft. Wir klatschten die Hände ab. Nun schmerzten auch langsam die Fußsohlen.

Am VP Griebnitzsee setzte sich Gaston hin und er sah nicht gut aus. Ich fragte: „Was ist los?“ Er sagte, es geht ihm schlecht. Ich sagte ihm: „Gaston, steh auf und trink was.“ Ich fragte: „Was möchtest du?“ und motivierte ihn wie gut wir sind. Ich bekam von Gritt Seidel die Info: „Martina, du bist 2. Frau.“ Und sie ermutigte uns weiterzulaufen. Wir machen das gut. Mir schwirrte der Kopf: Wie 2. Frau? Kerstin Fenzlein haben wir nicht überholt. „Was ist mit Kerstin?“, fragte ich Gritt. Sie wusste nichts. Nach einer kleinen Pause sagte ich zu Gaston: „Lass uns weiter gehen.“ Mir war auf einmal auch mulmig. Kerstin Fenzlein ist weg. Gaston geht’s schlecht. Wann kommt meine Krise? Zum Glück gab es ein Dixi-Klo. Ich brauchte dies gerade. Was für eine Wohltat – endlich mal nicht in die Hocke gehen. Das Gebüsch war öfters mal meins. Ich lief zu Gaston, der weiter gegangen war. Es ging ihm immer noch schlecht. Er hatte sogar Gänsehaut. Oh Mann, diesen Fall hatten wir zwei nicht besprochen. Ich wollte weiterlaufen, aber ich wollte ihn auch nicht alleine lassen. Gaston sagte: „Martina, innerhalb von 5 Minuten muss eine Entscheidung her. Wenn es nicht besser wird, musst du alleine weitergehen.“ Ich dachte – nein, nicht doch! Bis 100 km war die Strecke für uns überschaubar und ab hier wollte ich gerne eine Laufbegleitung haben. Gaston sagte kurz danach: „Martina, lauf alleine. Es geht nicht.“ Er hat es mir leicht gemacht und die Entscheidung abgenommen. Aber – jetzt ganz ehrlich – es war nicht schön, ihn dort alleine zu lassen. Ich sagte: „Gaston, ich werde auch langsamer und du bekommst mich wieder. Wir laufen gemeinsam ins Ziel.“ Mir liefen die Tränen, als ich alleine weiter musste. Gaston geht’s schlecht und ich bin auf Platz zwei und muss weiter. Ich lief los. Ah, das „Fahrgestell“ fand die Pause gar nicht gut. Ich musste mich erst ein wenig ganz langsam einlaufen. Frank gab Gaston seinen Laufrucksack und Gaston wechselte noch die Laufschuhe. Und dann kam Frank zu mir geradelt. Es war eine gedrückte Stimmung, die Strecke ging total geradeaus im Wald und ich hatte das Gefühl, ich trete auf der Stelle und komme nicht voran. Reden ging auch nicht, das fiel mir schwer. Ich wollte nicht reden.

Frank tat mir irgendwie leid. Das war auch für ihn anstrengend. Und ich lief einfach nur so vor mir her, ständig mit irgendwelchen Wünschen. Und dann gab es neue Ablenkung. Marion Rennschnecke war auf einmal mit dem Rad da. Auf Marion ist immer Verlass. Es ist schön sie als Freundin zu haben. Ich war beruhigt, dass Frank nun etwas Ablenkung hat. Ich selber lief nur so dahin. Ich habe nicht mal mehr auf die Uhr geschaut. Dann endlich näherte sich der Wechselpunkt 3 bei km 112. Die Wegpfeile dorthin waren irritierend, bis ich begriff – ach so, ich komme hier gleich wieder lang. Der Weg zum Wechselpunkt war nicht schön. Ich wusste, das Stück muss ich wieder zurücklaufen. Dazu hatte ich keine Lust. Am Wechselpunkt ab in die Halle, schauen, ob es Melone oder Kartoffel gibt – nein, wieder raus, bloß nicht stehen bleiben. Das Anlaufen war so fies …

Ich sah kurz Patricia Rolle. Das war aufmunternd. Sie feuerte mich an, aber ich kann mich gar nicht so richtig erinnern, wie ich reagiert habe.

Auf dem Weg zurück lief ich Kerstin Fenzlein über den Weg. Kurzes Grinsen und Abklatschen. Ich war überrascht – Wo kommt sie denn her? Und freute mich für sie, dass sie nicht ausgestiegen ist. Kerstin hat so hart trainiert. Das wäre echt übel, wenn sie wegen irgend was aufhören müsste. Und dann kam mir erst der Gedanke, dass sie gleich an mir vorbeifliegt. Das war mir egal. Ich lief mein Rennen so wie es ging und ich war schneller als ich je dachte. Ich freute mich auf Rainer, der wie bestellt mit Kartoffeln an der Strecke stand. Auch Rainer blieb mit dem Rad bei mir und begleitete mich bis km 135 mit aufmunternden Worten. Ich lief nun von VP zu VP. Es war immer eine Belohnung dort anzukommen. Die Helfer waren total nett und aufmunternd. Ich dachte nicht mehr viel, vermisste nur meinen Gaston. Wo ist er? Wo bleibt er? Ich hoffte so sehr, dass er nicht ausgestiegen ist. Wie geht es Oliver und Simone Liebert und was ist mit Mark Becker, das sind so kurze Gedanken die mal im Kopf waren. Dann immer wieder mein Spruch den ich Oliver Liebert mit auf dem Weg gab 4-8-12-16 😉 (sind doch nur 4 Marathon´s).

Manchmal schauten die Passanten merkwürdig, was ich wohl da mache. Wer weiß wie ich aussah… Es gab aber auch immer wieder Leute, die wussten, was ich da laufe. Sie ermutigten mich und sagten: „Komm gut durch die Nacht.“ Bei VP 21 km 124 fragte ich mich, wo bleibt Kerstin eigentlich? Mein Magen/Darm machte nun dicht. Ich konnte nicht mal mehr ein Stück Kartoffel essen. Mich überholte ein Läufer, der mich anfeuerte. „Klasse“, sagte er. „Du läufst super.“ Ich sagte: „Danke, wenn ich nicht diese verdammten Magenkrämpfe hätte.“ Er bot mir eine Tablette an. Ich lehnte ab und nahm sie dann doch zur Sicherheit mit, falls es noch viel schlimmer wird. Kurz danach, als wir an eine Stelle, wo doch liebe Mitmenschen die Markierung entfernt hatten, herumirrten, lief Kerstin an mir vorbei. Wir grüßten uns und ich sagte: „Komm gut an. Wir sehen uns im Ziel.“ Am VP 22 km 129 war zum Glück Harald. Ich sagte Bescheid, dass die Markierung weg ist und sie unbedingt nachmarkieren müssen, weil – die anderen kommen da im Dunkeln an. Das ist ja noch schlechter. Ich fühlte mich hier total schlecht. Essen ging gar nicht mehr und das Atmen nur noch sehr flach. Michael Irrgang war noch am VP und bat mir Magentropfen an. Da mir sowieso tierisch schlecht war, nahm ich sie. Entweder helfen sie oder ich muss brechen. Egal, ich versuche es. Die Dunkelheit kehrte ein und der Weg wurde noch mal eng und uneben. Weste angezogen, Stirnlampe auf und bei der Gelegenheit noch mal ab ins Gebüsch.

Das Anlaufen war nun richtig schwer. Ich hatte die Schnauze voll. Mir liefen die Tränen. Irgendwie die totale Krise, aber der Körper hat einfach funktioniert. Ich lief trotzdem weiter.

Die Magentropfen haben geholfen. Was für eine Wohltat, die Krämpfe ließen etwas nach. Aber nur kurz – als ich was getrunken hatte, ging es gleich wieder los.

Ich konnte auch nichts mehr trinken. Ich spülte den Mund nur noch mit Wasser aus, das Wasser stand mir auch zum Hals. Ich war so schlapp. Wenn ich Wasser brauchte, gab es nur ein kurzes Handzeichen. Marion und Frank wussten auch nicht, wie sie in diesem Zustand mit mir umgehen sollen. Sie haben alles richtig gemacht. Sie haben mich in Ruhe gelassen. Ich konnte immer noch von VP zu VP laufen. Am VP selber habe ich kurz angehalten und dann versucht wieder loszulaufen. Ich wäre gerne mal gegangen, aber ich war auf Platz drei und den wollte ich nun auch bis zum Ziel halten. Ich mochte den 3. Platz nicht mehr auf den letzten 20 km abgeben. Als mir die Tränen liefen, fragte Marion mich mal: „Was ist, Martina?“ Ich sagte: „Ich würde so gerne mal gehen.“ Marion sagte: „Dann mach das doch.“ Ich antwortete: „Nein, ich kann nicht. Ich weiß nicht, wie weit die 4. Frau weg ist.“ Marion sagte: „Verrückt, was du für einen Willen hast.“ Irgendwann habe ich die Magentablette noch genommen. Die half auch kurz ein wenig. Und dann war da wieder das Problem mit dem Gebüsch – es war egal, bloß kein Umweg. Der Wegesrand in der Grünanlage wurde genutzt. Es ist Nacht und irgendwie war mir alles egal. Nun kam noch das lange gerade Stück am Teltowkanal. Ich kenne diese Strecke. Ich bin sie oft mit Oliver Liebert am Tage gelaufen, aber in der Nacht in diesem Zustand war es echt zermürbend. Ich war so zufrieden, dass ich dort nicht alleine laufen musste und Frank und Marion bei mir waren. Die Jugendlichen, die dort rumhingen, waren mir nicht geheuer. Der VP hatte eine Feuerschale. Der Qualm war schon von weitem zu riechen und die Augen brannten. Kurzer Stopp und weiter. Endlich – es ging rechts rum. Die Gerade ist geschafft. Ich lief irgendwie automatisch und dann irgendwo nach km 150 kam die seit langem schönste Nachricht – Frank kam mit dem Fahrrad zu mir und sagte: „Ich habe eine gute Nachricht.“ Ich dachte, er sagte, die 4. Frau ist weit weg. Aber nein – viel schöner: Gaston kommt von hinten geflogen. Ich hätte vor Freude in die Luft springen können und da war er. Es liefen ein paar Freudentränen. Als ich ihn fragte: „Hey, du kommst von hinten. Wie weit ist die 4. Frau hinter mir?“ Da kam wieder der strenge Gaston zum Vorschein: „Martina, das ist scheißegal. Lauf jetzt. Wir sind noch lange nicht da.“ Er lief vor mir und ich klemmte mich hinter seine Waden. Es ging wieder. Ich war so glücklich, dass wir zusammen ankommen und Gaston nicht ausgestiegen ist. Es gab nochmal einen Überraschungsbesuch mit dem Rad. Tobias und Anna waren noch an der Strecke. Oh Mann, ich lief wie mit einer Eskorte lauter Radfahrer um mich rum und Gaston neben mir. Und da war der letzte VP – alles liebe Lauffreunde. Und ich war so kaputt, dass ich einfach nur weiter wollte, endlich ins Ziel kommen. Gaston sagte: „Versuch ein wenig Tee und gehe bitte gleich weiter. Du isst doch sowieso nicht.“ Ich war genauso eingestellt, weil – das Stehenbleiben war auch für den Kreislauf nicht gut. Tom sagte: „Ihr habt nur noch 4,5 km.“ Ich dachte: „Irre, nur noch so wenig!“ Das letzte Stück ist nur so verflogen und wir liefen noch ein lockeres Tempo. Es war irre, was nun an Stimmung aufkam. Die Stadt ist nachts voll. An der Oberbaumbrücke klatschten die Leute, da war Partystimmung. Gaston lief vor mir, machte den Weg frei, schaute vorweg. ob ich über die Straße rennen kann. Meine Radfahrer waren um mich rum. Ich genoss diese Stimmung. An der East-Side-Gallery schlugen sie mir eine Schneise. Gaston lief wieder vor mir mit der Pfeife im Mund. Marion brüllte: „Vorsicht, 100-Meilen-Läufer!“ Und die Radklingeln wurden fleißig genutzt. Das einzige Negative war der Geruch dort. Wall könnte hier mit einer Toilette viel Geld verdienen. Nun ging es noch paarmal links, rechts und dann zogen wir laufend noch schnell die Westen aus. Wir wollten doch unser T-Shirt zeigen. Und da war schon der Schriftzug „Congratulation“. Wir waren da. Links abbiegen, und dann machten alle wieder Krach. Alex hatte uns entdeckt und die Ansage ging los. Wir nahmen uns in die Hand und liefen auf weichem Boden mit Gänsehaut auf das hell beleuchtete Zielbanner zu. Ganz kurze Irritierung, als ich Andreas Déak sich auf den Boden verneigend sah. Wie jetzt? Er hat uns nicht überholt. Nein, er muss ausgestiegen sein. Und da waren wir da. Wir sind jubelnd, schreiend und springend über die Ziellinie gekommen und sind uns dann in die Arme gefallen. Mir liefen Freudentränen. Meine Mutti war auch da, der ich danach in die Arme fiel. Und dann zu meinem Schatz sowie Marion, Anna, Tobias, Kathleen, Andreas und und und… Ronald gab mir dann das Finisher-Shirt. Die Eindrücke sind unbeschreiblich und viel zu viel auf einmal. Ich war zufrieden es geschafft zu haben und dann in dieser Zeit – 19:06 Stunden und dazu noch als 3. Frau.

Gaston und ich – zwei ohne Erfahrung auf dieser Distanz hatten es geschafft, das Ding so gut wir konnten gemeinsam zu rocken.

Ich genoss die Stimmung noch im Zielbereich. Dann endlich raus aus den Sachen. Hier war Marion Rennschnecke wieder ein Schatz… die Arme waren zu kurz. Ich kam nicht mal an meine Schuhe heran 🙂

Nun ab in die Dusche. Hier traf ich Kerstin. Es gab eine herzliche Umarmung und    gegenseitige Gratulation. Anschließend genoss ich eine Massage und noch mal zum Ziel um zu schauen, wer so ankommt. Da sah ich den Hexer mit Oliver Franz sowie Mark Becker ins Ziel kommen. Das war schön zu sehen.

Und dann wollte ich mich endlich mal hinlegen, also mit meinem Schatz ab in den Camper. Frank schlief sofort und ich gar nicht. Ich war zu aufgeregt und ich wusste nicht, wie ich liegen sollte. Alles schmerzte irgendwie. Also sind wir nach paar Stunden wieder aufgestanden. Und immer noch liefen sie ins Ziel. Tolle Stimmung, irre Eindrücke. Ich genoss es. Nur das Essen ging immer noch nicht. „Wann ist Oliver Liebert angekommen?“, fragte ich und freute mich zu erfahren, dass er es auch unter 24 Stunden geschafft hatte.

Was viele Freunde und sogar mein Chef sehr nutzten und auch spannend verfolgten war der Live-Ticker auf der 100Meilen-Webseite.

Nun noch ab zur Siegerehrung ins Hotel Ramada. Diese war auch sehr bewegend, aber auch sehr lange. Ich musste so an Gaston denken, der auch mit dabei war. Er ist wie ich seine ersten 100 Meilen gelaufen und das nicht mal für sich in seinem Tempo – nein, für mich und ohne Wertung. Mir fehlen dafür die Worte. Ein „Danke“ ist hier viel zu wenig. Es wird mir unvergesslich bleiben.

Jetzt am Ende möchte ich allen Finishern gratulieren! Es ist eine irre Leistung, 100 Meilen zu laufen – egal, in was für einer Zeit. Alle sind Sieger! Zum Abschluss ein Dank an alle, die es ermöglichten, dass ich dieses Lauferlebnis erleben konnte.

Drei Personen möchte ich ganz besonders danken – die die längste Zeit bei mir waren und mich unterstützt haben sowie meine Art selbst im Erschöpfungszustand einfach locker hingenommen haben.

Meinem Schatz Frank Wittwer: Du warst immer bei mir und hast mich klasse verpflegt und bist auch bei Unfreundlichkeiten locker und lieb geblieben und hast meine Ausrüstung von A – Z die 160 km spazieren gefahren.

Gaston, der mir laufend zur Seite stand und das Beste draus gemacht hat. Du warst immer eine irre Hilfe, kannst witzig, ruhig und, wenn es nötig ist, auch streng sein – perfekt.

Und dann Marion – bekannt als Rennschnecke – die mich vor dem Lauf beruhigte, immer da ist, wenn ich Hilfe brauche, die Freunde auf Facebook auf dem Laufenden hält, Fotos auf der Strecke machte und mich mit Frank gemeinsam durch die Nacht bis ins Ziel begleitet hat.

Uff… ENDE :-)))