Mit einem Salat ging sie hin, mit der Zusage, sich am nächsten Tag der bisher größten Herausforderung in ihrem Läuferleben zu stellen, kam sie zurück: Mauerwegläuferin Sonja Schmitt berichtet von ihrem ersten Ultra beim XXL im Juni – und darüber, welche Rolle das Sommerfest der LGM dabei spielte:

Gelber geht´s nicht: Mauerwegläufer im Kornfeld.
Gelber geht´s nicht: Mauerwegläufer im Kornfeld.

„Ein Weg im Kornfeld, der ist immer frei…“ – dieses Lied von Jürgen Drews, leicht abgewandelt, muss Harald wohl im Kopf gehabt haben, als er den Track für den XXL am Sonntag zusammenklickte. Von Spandau über Brieselang und zurück sollte es gehen, insgesamt 58 Kilometer. Das war vorher klar – dass es dabei über Stock und Stein, durch Busch und Brennnesseln, gelegentlich sogar mitten durch Kornfelder gehen sollte, wussten wir nicht. Und dass es mein erster Ultra werden sollte, wusste ich auch nicht.

Gefährlich, so ein Sommerfest…
Doch Sommerfeste können gefährlich sein: Am Samstag traf sich die LG Mauerweg im Preußenpark, um dort zu grillen und, natürlich, zu laufen. Beim Schätzwettkampf lief ich Runde um Runde der ersten Stunde mit Thomas Meier alias Tom, und wir quatschten unter anderem auch über den XXL am nächsten Tag. Ich hatte zunächst durchaus mal damit geliebäugelt, diesen mitzulaufen, zumindest über meine bisher-maximalen 42,195 Kilometer hinaus, hatte das aber angesichts zweier Tatsachen wieder verworfen: Erstens weil der Sommerfestlauf am Samstag ja auch schon zwei Stunden dauerte, zweitens weil die Brieselang-Runde sich anders als die XXL üblicherweise dadurch auszeichnete, dass es kaum Möglichkeiten gab, zwischendurch aus- und in die BVG umzusteigen. Alles doofe Ausreden, befand Tom und erwiderte auf mein: „Aber ich kann doch noch keine 58 Kilometer laufen“ ganz herzallerliebst: „Wieso nicht, hast du es schon mal probiert?“

Fluchen oder freuen?
Ich versuchte es dann noch mit den – ganz ernsthaften – Bedenken, dass mir die vorgegebene 6:45er Pace für einen langen Lauf um 20 bis 30 Sekunden zu schnell war. Das schien Tom sogar irgendwie einzusehen. Aber seinen Plan aufgegeben hatte er keineswegs: Zwischen Sommerfestsiegerehrung und Salatbuffet tat er fröhlich kund, er habe mit Olaf Ilk verabredet, dass sie den XXL etwas langsamer laufen würden als die Gruppe. Und entsprechend könne ich also prima mitlaufen – „Deal?“. Ich war mir nicht sicher, ob ich fluchen oder mich freuen sollte, taufte meinen Vereinskollegen still in „Tom, der Terrorisator“ um und ergab mich meinem Schicksal.

Erwartungsfroh beim Parkplatzphotoposing: Die LGM vor dem Start des XXL Spandau-Brieselang.
Erwartungsfroh beim Parkplatzphotoposing: Die LGM vor dem Start des XXL Spandau-Brieselang.

Kilometer 10: „Das wird nix…“
Bis Sonntagmorgen hat sich in die Aufregung freudige Erwartung gemischt – das Wetter ist toll, von dem Lauf am Samstag spüre ich gar nichts und am Parkplatz nahe der S-Bahn Spandau treffe ich auf viele gut gelaunte gelbbehemdete Vereinskollegen. Nach dem obligatorischen Startphoto geht es los – und das ziemlich zackig. 7er-Schnitt? Ich habe keine 6:30 auf meiner Uhr, uff. Dazu kommt, dass ich nochmal dringend in die Büsche muss – ein dadurch verursachter Aufholspurt bei Kilometer 3 nimmt mir ziemlich viel Puste. Aber immerhin habe ich den Anschluss nicht verpasst. Wir traben also gemeinsam weiter, und ich stelle bald fest, dass ich den ersten VP herbeisehne. Das Frühstück war mit einer Banane kärglich ausgefallen, vor allem aber hatte ich zu wenig getrunken. Kilometer 9 bis etwa 12 sind insofern unheimlich zäh und zu diesem Zeitpunkt bin ich überzeugt, dass es mit dem Ultra definitiv nichts werden wird.

Immer heiß herbeigeseht: Die VPs mit Versorgerchef Thomas Fanslau (hinten).
Immer heiß herbeigeseht: Die VPs mit Versorgerchef Thomas Fanslau (hinten).

Heiß herbeigesehnte VPs
Der VP – liebevoll bestückt und insgesamt super gemacht von Thomas Fanslau – reißt dann aber einiges raus, und mit ordentlich Flüssigkeit intus geht es weiter – außer für Stefanie Osbahr, die sich entscheidet, hier auszusteigen und Thomas bei der Verpflegung zu helfen. Mir fällt das Laufen jetzt ziemlich leicht. Dennoch bin ich not amused, als an einer Weggabelung Nina, Jörn und Olaf, die jeder den Track auf ihrem Gerät haben, eine jeweils andere Richtung vorgeben – oh nein, bitte nicht auch noch überflüssige Irrwegkilometer….! Um ums nicht zu trennen, folgen wir Nina – wie sich später rausstellt, hätten auch die anderen Tracks zum Ziel respektive VP geführt, verliefen halt nur etwas anders. Harald hatte sich offenbar nachträglich noch ein paar kleine Extras einfallen lassen, die aber nur Nina auf ihrem Gerät hatte. Diese Extras hatten es noch in sich – doch davon später.

Musste selbst früh aussteigen, bewies aber Standfestigkeit im Ziel: Jens.
Musste selbst früh aussteigen, bewies aber Standfestigkeit im Ziel: Jens.

Zunächst einmal erreichen wir nach rund zweieinhalb Stunden den zweiten VP. Für Jens Noack ist hier zu seinem Bedauern Schluss. Damit ist der Personenplatz im Auto dann auch voll und wer will schon auf die Ladefläche…? Mir ist das zu diesem Zeitpunkt relativ egal, bis Kilometer 30 bin ich mir sicher, gut durchhalten zu können, zumal ich jetzt hinten mit Olaf und Tom laufe und wir mit einer Pace um die 7 min/km gut in meinem Tempobereich liegen. Und dann plötzlich wird das Tempo langsamer, viiiel langsamer. Denn nach einer kurzen erneuten Diskussion um den richtigen Weg folgen wir wieder Nina – und zwar über ein Kornfeld. Am Rand zwar, am Zaun entlang – doch mittendurch wäre vielleicht sogar leichter, zumindest distelfreier. Was aber am Ende des „Weges“ vor allem piekt, ist die Streu vom Getreide, die sich wie-auch-immer in all unsere Schuhe geschoben hat. So sitzen wir erstmal am Feldrand, ziehen die Laufschuhe aus und befreien Socke um Socke vom Stechstreu.

Kurze Sinnkrise im Brennnesseldickicht
In Perwenitz bei VP 3 erreichen wir Kilometer 30 und den „Wendepunkt“ der Strecke und Jens und Steffie empfangen uns mit einer Zwei-Personen-La-Ola. Kurz gestärkt und weiter. Tom – wahrscheinlich vom Hafer gestochen, auch wenn es ein Gerstenfeld war – lässt sich von den schnelleren Läufern mitreißen, ich laufe im 7er-Tempo mit Jörn und Olaf weiter.

"Nicht weinen, geht doch gleich weiter..."
„Nicht weinen, geht doch gleich weiter…“

Auf dem zweiten Teil der Strecke sind die VPs enger getaktet, was gut ist, denn die Sonne kommt jetzt immer stärker heraus. In Alt-Brieselang übertreffe ich meine bisher-maximalen Trainingskilometer beim langen Lauf (34), in Finkenkrug schließlich ist die Marathonstrecke geschafft. Und mir? Geht es gut, auf jeden Fall interessanterweise deutlich besser als zwischen Kilometer 9 und 12. Lediglich ein objektiv kurzer, gefühlt aber sehr langer Abschnitt mit vielen eng stehenden Brennnesseln und noch mehr Kopfsteinpflaster lässt mich kurz am Sinn meines Tuns zweifeln.

Ein hässlicher Parkplatz kann so schön sein
Und dann fällt plötzlich die 45, und dann – irgendwo südlich von Falkensee – die 50. Ich bin total happy, mein erster Ultra, so oder so. Mir tun die Knie zwar etwas weh und mein Nacken ist total verspannt (mit Grüßen an Andreas Urbaniak: Ja, ich weiß: schlechte Haltung und zu wenig Krafttraining), aber jetzt bin ich mir auch sicher, dass ich es bis ins Ziel schaffen werde. Gut abgelenkt durch Unterhaltung von Jörn – Tom ist weiter vor uns, Olaf hat sich zurückfallen lassen – laufen wir die letzten Kilometer.

Freut sich über seinen gelungenen Coup und eine neue Ultraläuferin in den Reihen der LGM: Tom
Freut sich über seinen gelungenen Coup und eine neue Ultraläuferin in den Reihen der LGM: Tom.

Der Turm vom Rathaus Spandau kommt in Sicht – nur noch zwei Kilometer, nur noch einer… Und dann sind wir da – wie schön so ein hässlicher Parkplatz sein kann, wenn er das lang ersehnte Ziel darstellt! – und werden mit freudigem Hallo begrüßt. Ok, jetzt reicht es wirklich, aber: Hey, ich hab´s geschafft! Enthusiastisch, aber nicht mehr sehr elegant, werfe ich mich in Jens Arme – er ist standfest geblieben, was bei dem Lebendgewicht, was er da auffangen durfte, sicher nicht so einfach war. Jörn freut sich einfach mal mit mir mit. Und Tom sagt gar nix, sitzt hinten im Versorgungsfahrzeug und grinst sich nur eins, was wahrscheinlich soviel heißen soll wie „Hab ich´s dir nicht gesagt?!“

Mein Fazit zum ersten Ultra:

– Langsam 58 Kilometer laufen ist einfacher als 42 Kilometer schnell.
– Das vielfach gehörte „Immer nur von VP zu VP denken“ ist tatsächlich sehr hilfreich.
– Leichter bin ich nicht geworden, nur verfressener (ich hoffe, das gibt sich wieder).
– Ich bin sehr gespannt auf die nächste Ultra-Herausforderung – wahrscheinlich der Nachtlauf am 25. Juli. Wobei ich da ja keinesfalls gleich 67 Kilometer laufen kann und das auch noch nachts… Andererseits: Hab ich es schon mal probiert?!

Text: Sonja Schmitt; Fotos: Jörn Künstner, Sonja Schmitt