Wenn die Behauptung wahr ist, dass der Trainingsfortschritt nicht beim Training, sondern in den Erholung danach stattfindet, war das Trainingslager wohl nicht zielführend. Pausen gab es gefühlt nämlich keine. Eine Trainingseinheit jagte die andere. Organisator Harald und die Trainer Andreas und Oli wollten uns das maximale Programm bieten und so wurde es ein sehr intensives Wochenende. Wir haben viel gelernt, über das Laufen und alles, was dazu gehört. Und dabei hatten wir richtig viel Spaß! Für die Daheimgebliebenen eine kurze Zusammenfassung von 46 Stunden Trainingslager.

Auf nach Lindow: Gut 20 Mauerwegläufer waren beim Trainingslager der LGM dabei.
Auf nach Lindow: Gut 20 Mauerwegläufer waren beim Trainingslager der LGM dabei.

Einheit 1: Gemütlicher Gruppenlauf von Gransee nach Lindow
Unser Zug aus Berlin kommt pünktlich um halb vier in Gransee an. Auf nach Lindow, laufend natürlich. Aus den geplanten gemütlichen 15 Kilometern wird allerdings unverhofft ein Halbmarathon-Orientierungslauf. Man darf halt nicht so viel quatschen. Weder Harald noch ich haben geschaut, ob der Trupp vor uns links abgebogen ist oder geradeaus weitergelaufen. Leider hat Harald weder einen Garmin dabei noch einen Plan. Jörn, Mike und ich erst recht nicht. Notdürftig navigieren wir per Handy erstmal Richtung Meseberg, was sich als nicht einfach erweist und es wird zunehmend dunkler. Immerhin schaffen wir es vor Sonnenuntergang aus dem Wald und sehen fern auf der anderen Seite des Feldes Tom, Helga und die übrigen Voraustraber. Gemeinsam setzen wir den Weg fort, der allerdings noch längst nicht zuende ist. So zieht sich unsere Laufgruppe wieder auseinander. Irgendwo inmitten des nächsten Wäldchens ist der Vordertrupp weit vor mir und die Schlussläufer irgendwo hinter mir. Sind sie doch noch, oder? Oder gab es irgendwo eine Abzweigung, die ich als einzige verpasst habe? Besonders hell ist es nicht mehr und der Boden ist ganz schön uneben, Sturzgefahr hoch. Ich gehe lieber das nächste Stück, verzichte ergo auf Fast Forward, um nicht als Fast Food zu enden. Immerhin soll es ja wieder recht viele Wölfe in Brandenburg geben. Bevor ich mich allzu sehr gruseln kann, haben mich Harald, Jörn und Mike zum Glück eingeholt. Dann hat uns die Straße wieder. Das ist auch gut, denn mittlerweile ist es stockfinster, von Straßenlaternen keine Spur.

Lost in Brandenburg: Wo bitte geht´s denn hier nach Meseberg?
Lost in Brandenburg: Wo bitte geht´s denn hier nach Meseberg?

Was wir gelernt haben: Wer im Januar um halb vier in Brandenburg in einen Wald läuft, sollte seine Stirnlampe dabei (und nicht im Koffer) haben. Es wird schneller dunkel, als man denkt. Und die Dunkelheit in Brandenburg ist dunkler als die in Berlin.

Einheit 2: Abendbrot
Gewissermaßen erweisen sich auch die Essenspausen als Trainingseinheiten, nämlich als Toleranztraining für den Gaumen. Mit weichgekochtem Gemüse und knochenharter Pizza macht das Sporthotel seinem Namen zumindest kulinarisch keine Ehre. Da verwundert es nicht, dass der ein oder andere Vereinskamerad den Nachtisch gleich vierfach auf sein Tablett stapelt.

Was wir gelernt haben: Das gesunde Essen ist in der Ecke versteckt. Die dortige Salatbar ist ganz ok.

Einheit 3: Vortrag Ernährung
Von der Praxis zur Theorie. Was haben wir da eigentlich gerade gegessen? Was essen wir sonst üblicherweise? Meistens zu viele Kohlehydrate. Zu wenig Obst und Gemüse. Was sollte man während eines Laufs essen? Zu diesem Thema gibt es weniger Vortrag als vielmehr angeregte Diskussion. Wer macht was wie? Und warum? Denn es stellt sich heraus, es gibt wenig allgemeingültige Wahrheiten in diesem Bereich, außer vielleicht eine:

Was wir gelernt haben: Wer häufig Blähungen hat, isst zu oft Dinge, die er bei einem Lauf nicht verträgt.

Einheit 4: Erfahrungsaustausch bei Bier und anderen Getränken
Ultraläufer sind gesellig. Ein Bier an der Bar am Ende des Tages muss sein, auch oder gerade weil die Vortragsrunde erst um halb zehn zuende war. Bei den wenigsten wird es allerdings mehr als eins. Schon vor Mitternacht sind praktisch alle in ihren Zimmern verschwunden.

Was wir gelernt haben: Gegen uns Läufer war selbst Aschenputtel eine Partymaus.
Aber das frühe Schlafengehen ist ja irgendwie auch kein Wunder, immerhin droht ja frühs die….

Einheit 5: Nüchternlauf
Der Wecker am Samstag klingelt um viertel vor sieben. Boah, war nicht eigentlich Wochenende? Selbst meine sechsjährige Tochter lässt mich da mittlerweile länger schlafen. Aber hilft nichts. Ab ins Bad, anziehen, um sieben am Empfang stehen und in zwei Tempogruppen loslaufen. Nüchternlauf vor dem Frühstück ist angesagt. Zwei Kilometer die Straße rauf, zwei Kilometer wieder runter. Itta begutachtet mich und beschließt umgehend, dass ich auf jeden Fall nicht für die Frühschicht bei der 100-Meilen-Berichterstattung eingeteilt werden sollte. Da hat sich das Aufstehen ja doch gelohnt.

Was wir gelernt haben: Man kann für einen vier Kilometer langen Nüchternlauf morgens um sieben am Wochenende aufstehen. Muss man aber nicht.

Alle mir nach! Athletiktraining mit Andreas in der Turnhalle.
Alle mir nach! Athletiktraining mit Andreas in der Turnhalle.

Einheit 6: Power-Workout-Athletiktraining
Wer Andreas Freundin Tabata noch nicht kennt, lernt sie hier kennen (aber nicht unbedingt lieben). Auf Hochdeutsch heißt Tabata soviel wie „Verdammt fiese vier Minuten“: 20 Sekunden Belastung wechseln sich mit zehn Sekunden Pause ab – achtmal hintereinander. Klingt harmlos, ist es aber nicht. Auch Burpees, was zunächst nach etwas Niedlichem zum Streicheln klingt, sind erstens anstrengend und zweitens geradezu eine Garantie für mehrtätigen Muskelkater. Zwischen diesen Höhepunkten machen wir etwas Lauf-ABC oder hüpfen lustig wie Frösche durch die Halle, während Andreas dazu quakt.

Was wir gelernt haben: Die ausdauerndsten Ausdauerläufer sind nicht die Ausdauernsten beim Athletiktraining.

Einheit 7: Yoga
Kurz mit Wasser innen und außen erfrischen und schon geht es 30 Minuten später mit Yoga weiter. Wir sind zwar alle schon recht fertig von Andreas‘ Athletiktraining, aber es will sich auch keiner eine Blöße geben und zugeben, für Yoga keine Kraft mehr zu haben. Sonja hat Mitleid mit uns und wählt netterweise nicht die anstrengendsten Yoga-Übungen. Dafür hat sie so viel Spaß an unseren Verrenkungen, dass sie die geplanten 90 Minuten auf nahezu zwei Stunden ausdehnt. Ungeachtet der Erfahrungen vom Vortag freuen wir uns daher dann doch wirklich sehr auf das Mittagessen.

Was wir gelernt haben: Es gibt Muskeln im Körper, von denen wir bisher nichts wussten.

Einheit 8: Fahrtspiel
Der Name ist irgendwie irreführend: Niemand fährt, sondern man läuft natürlich, und „Spiel“ suggeriert eine Leichtigkeit, die bei dieser nicht unanstrengenden Trainingseinheit auch nicht aufkommt. Aber ok, gemeint ist, dass man mit dem Tempo spielt, ohne dabei à la Intervalltraining feste Vorgaben an Zeit und Strecke zu haben. Wir bilden drei Gruppen mit einer Grundpace von 5:30/6:15/6:45, die Oli/Harald/Andreas bei einer Runde um den Wutzsee je nach Gusto verschärfen dürfen. Bis zur nächsten Wegbiegung. Bis oben auf die Treppe. Bis zum Auto an der Ecke.

Was wir gelernt haben:  Das ist ein Spiel? Ok. In einem Spiel kann man auch mal aussetzen und hat so  Zeit, um ein paar schöne Fotos zu machen.

Fotopause beim Fahrtspiel um den Wutzsee: Andreas ist uns immer einen Schritt voraus.
Fotopause beim Fahrtspiel um den Wutzsee: Andreas ist uns immer einen Schritt voraus.

Einheit 9: Vortrag Jahrestrainingsplanung
Mit einem langen Strich an der Tafel mit unendlich vielen Knubbeln drin symbolisiert Andreas, dass sich viele von uns das Laufjahr mit viel zu vielen Wettkämpfen vollknallen. Wir sollten uns klarmachen: Nur zwei A-Wettkämpfe, bei denen man wirklich alles gibt und auf Bestzeit geht, seien drin. Natürlich könne man mehr Wettkämpfe laufen, sofern man diese eher als Training und Vorbereitung für die A-Wettkämpfe sehe. Na, dann sind wir ja beruhigt.

Was wir gelernt haben: Alle sind heiß auf Wettkämpfe. Aber gar nicht so sehr wegen des Wettkampfs, sondern wegen der vielen anderen bekloppten Läufer auf gleicher Wellenlänge, die man da trifft.

Einheit 10: Vortrag Trailausrüstung
Niemand braucht einen auf einem Marathonlauf in urbanem Gelände einen dick gefüllten Rucksack. Bei Ultratrails kann Art und Qualität des Inhalts allerdings überlebensentscheidend sein. Stirnlampe, Regenjacke, Wechselsachen, Wasser, Nahrung, Rettungsdecke, Erste-Hilfe-Set… – da kommt schnell einiges zusammen, um das man sich rechtzeitig vorher kümmern sollte. Und ganz wichtig: Die Ausrüstung vor dem Ernstfall (=Wettkampf) unbedingt testen.

Was wir gelernt haben: Vielleicht haben die seltsamen Gestalten, die man gelegentlich mit prall gefülltem Rucksack durch Berlin laufen sieht, gar keine Angst, im urbanen Gelände zu verdursten, sondern testen nur ihre Trailausrüstung für ihren nächsten Wettkampf. Weiß man´s?

Was wir auch gelernt haben: Wo das Wort "Armleuchter" herkommt...
Was wir auch gelernt haben: Wo das Wort „Armleuchter“ herkommt…

Einheit 11: Erfahrungsaustausch bei Bier und anderen Getränken
Theoretisch hätte ich noch in die Sauna gehen können. Praktisch ist es unpraktikabel, da es nach den Vorträgen mal wieder nach halb zehn ist und die Laufkollegen wieder spätestens in zwei Stunden ins Bett verschwunden sein werden. Also doch lieber wieder Bar und Bier.

Was wir gelernt haben: Auch in einer Stunde kann man zwei große Bier trinken.

Einheit 12: Nüchternlauf
Es ist Sonntag, kein Grund zum Faulenzen. Wie Samstag findet auch heute wieder früh um sieben der Vier-Kilometer-Nüchternlauf-vor dem Frühstück statt.

Was wir gelernt haben: Keine Ahnung. Ich habe die Erkenntnis aus dem Nüchternlauf am Samstag umgesetzt und den Siebenuhrtermin fröhlich verschlafen. (Ja. Mit Absicht.)

Einheit 13a: Der ideale Laufstil – theoretischer Teil
Andreas macht uns klar: Wir verwenden viel Zeit und Trainingsfleiß darauf, schneller und ausdauernder zu werden – mit Intervalltraining, Tempodauerläufen und langen und ganz langen Läufen. Gleichzeitig verschwenden wir unnötig viel Kraft, weil wir die Füße falsch aufsetzen, die Arme nicht richtig mitbewegen oder uns nicht gerade halten.

Was wir gelernt haben: Manche sind schnell trotz eines fragwürdigen Laufstils. Mit einem vernünftigen Laufstil wären sie wahrscheinlich noch viel schneller.

Einheit 13b: Der ideale Laufstil – praktischer Teil
Ab nach draußen hinters Haus und das Gehörte in die Tat umgesetzt – also zumindest theoretisch, denn der Laufstil sieht alles andere als bei allen gleich aus. Die Arme im Läuferdreieck halten! Mit den Fingern imaginäre Kartoffelchips halten! Die Füße leicht aufsetzen und nicht so trampeln! Uff.

Was wir gelernt haben: Die Theorie ist das eine. Etwas anderes ist es, sie in der Praxis auch dauerhaft korrekt umzusetzen.

Schade, gleich geht´s wieder nach Hause... Bei der Abschiedsrunde rund um den Wutzsee.
Schade, gleich geht´s wieder nach Hause… Bei der Abschiedsrunde rund um den Wutzsee.

Einheit 14: Abschiedslauf um den Wutzsee
Eigentlich steht nochmal Athletiktraining auf dem Programm. Wir sind aber alle froh, als das Organisatoren- und Trainerteam sich einig ist, dass das nach dem Hammertraining vom Vortrag gar nichts mehr bringt. Stattdessen gibt es einen lockeren Lauf um den Wutzsee in zwei verschiedenen Tempogruppen: Die „gemütliche Genussgruppe“ und die „schnelle Gruppe, die diesmal langsam läuft“. Aha. Die Auswahl fällt entsprechend schwer.

Was wir gelernt haben: Harald und Tom haben eine mörderische Freude daran, kamikazeartig selbst steinige Abstiege herunterzurasen. Zur Nachahmung nicht empfohlen.

Einheit 15: Abschlussbesprechung
Alle fanden das Trainingslager richtig gut, wenngleich aus verschiedenen Gründen. Die Küche nahm man mit Humor.

Was wir gelernt haben:Trainingslager ist ne tolle Sache. Kann man wieder machen. Sollte man wieder machen. Werden wir wieder machen. Die ersten Ideen gibt es schon.

Fazit zum Trainingslager:

  • Mitgefangen, mitgehangen: Alle Angebote wurden angenommen. Selbst die Yoga-Skeptiker ließen sich auf Sonjas Yogastunde ein. So kam ein echtes Gruppengefühl auf.
  • Es gibt keine allgemeinen Wahrheiten. Ernährung, Laufstil, Trainingsplanung – letztlich muss jeder seinen eigenen Weg finden. Aber dabei helfen Tipps von anderen Läufern ungemein. Denn irgendwas kann man immer verbessern.
  • Man hat noch richtig lange was davon. Vom Erkenntnisgewinn sowieso. Aber auch der Trainingslagermuskelkater erweist sich bisher als komplett immun gegen Black-Roll und Badewanne. (Wer die Details wissen will: Facebook-Kommentare lesen…)

Text: Sonja Schmitt; Bilder: Sonja Schmitt, Wolfgang Schwericke