Es läuft im Leben nicht immer alles rund, deswegen machen Rundenläufe so viel Spaß – das könnte das Lebensmotto von Andrea Möhr sein. Jedenfalls hatte die LGM-Läuferin ganz offensichtlich auch nach dem ungarischen Sechs-Tage-Rennen im Frühjahr für das Jahr 2019 noch nicht genug vom Kreiseln und meldete sich spontan zu einem 48-Stunden Wettkampf in Tschechien an. Aber eigentlich war ja mal wieder Norbert schuld – oder?

„Wie kommt man darauf, freiwillig und völlig ungeplant 48 Stunden im tschechischen Kladno bei 30 Grad zu laufen? Ganz einfach:

Eine Bemerkung von meinem Mann Norbert beim Donnerstagstraining, dass er nicht so langsam laufen kann wie ich. Daraufhin meine sofortige Herausforderung in einem 24-Stunden-Lauf, gleich in Kladno. Er hat dankend abgelehnt und so musste ich logischerweise seine und meine 24 Stunden einfach alleine laufen.

Anmeldung geschlossen? Egal, ich will da hin!
Gleich am selben Abend: Anmeldung geschlossen. Mist kann nicht sein, ich will da jetzt hin. Ein Anruf beim mir bekannten Race-Director (bin dort 2010 schon einmal gelaufen) hat ergeben, dass die 24. Tschechischen Meisterschaften ausgetragen werden und deshalb die Startliste nicht erweitert werden kann. Er könnte mich auf die Warteliste setzen, Platz 13. Aber ganz ehrlich, das wird nichts… „
Ich will da hin!

Schreibe ganz nett alle weiblichen deutschsprechenden Starterinnen an, ob sie auch starten und Norbert ruft nochmals eine Woche vor dem Start in Kladno an, weil er mein Gejammer nicht mehr hören kann und vor Angst, dass ich stattdessen auf die Idee komme, irgendwo nach Amerika zu fliegen…
Keine Chance, Platz 8 der Warteliste.

Plötzlich eines Abends eine Facebook-Nachricht einer gemeldeten Starterin aus Österreich, sie könne nicht starten, ich könnte ihren Startplatz übernehmen. Dann ging alles ganz schnell: 20 Minuten später hatte ich die erlösende Mail: „Andrea, du bist dabei.“ Na bitte, geht doch. Vielen Dank noch einmal, Marion.

Donnerstagabend mit dem Flixbus nach Prag, 33 km nach Kladno mit dem Taxi, 0 Uhr allein im gemütlichen 4-Bett-Zimmer direkt an der Strecke.

Morgens suchte ich den weiteren LGM-ler, Bernd, leider war er nicht da. Traf aber dafür die weiteren Deutschen. Jeder Starter bekommt einen Stuhl mit einem kleinen Platz darüber (mit Brettern abgedeckte Hecke) für Krimskram. Die Stühle stehen unter einem Pavillon sonnen- und regengeschützt, in der Nacht beleuchtet. Geniale Lösung. Der Platz in Kladno ist nicht sehr groß, kaum zelten an der Strecke möglich.

12 Uhr Start, der Planet brennt. Die 1-km-Asphaltrunde kurzweilig, liegt sie in einem Sportpark. Zum ersten Mal sehe ich das sehr schöne, voll ausgestattete Leichtathletikstadion, um das wir weiträumig herumlaufen. War das auch 2010 schon da? Na klar. Habe mich irgendwie nicht mehr erinnert und war die ersten Runden damit beschäftigt zu klären, wie ich das Stadion vergessen konnte. Dann läuft man um einen Kletterwald herum.

Eiswürfel unter der Mütze
Ich höre manches Mal Stimmen, sehe aber niemanden. Mit Musik im Ohr habe ich das nicht weiterverfolgt. In meiner 90. Runde höre ich Kinderstimmen deutlicher, aber keine Kinder zu sehen. In der 91. Runde achte ich explizit darauf und ich sehe zum ersten Mal, dass zwei Wege des Kletterparks direkt über unsere Strecke führen. Oh man, wieder hatte ich rundenlang Zeit über meine Wahrnehmungsgabe nachzudenken und einfach nur zu lachen. Aber es war ja auch ein Wettbewerb, also fokussiert auf den Körper hören und die Rennsituation checken.

Es ist so heiß, mit Eiswürfeln in Tüten unter der Mütze und nassen Bufftüchern um Hals und Handgelenke wird gekühlt, dazu jede Runde unter die Sprühdusche. Meine erste Nachricht an Norbert und Familie: „Ich hatte noch nie Eiswürfel auf dem Kopf. “ Die schwappten beim Trinken immer hin und her. Ich muss jetzt mal raus aus der Sonne und genieße meine erste Massage. Unter anderen auch den Bauch. Eine Bauchmassage hatte ich noch nie… Wieder etwas, was ich noch nie hatte. Das wird mein Motto beim Lauf, mach mal was, was du noch nie gemacht hast. Eiswürfel und Bauchmassage waren schon einmal auf der Habenseite.

Nach 6 Stunden war die charmante Holzanzeigetafel vom Veranstalter Sri Chinmoy aufgebaut. Ich lag immer so zwischen Platz drei bis fünf, alles eng beieinander, die Pausen haben das Bild immer wieder mal geändert. Marathon, 50 km. Es wird etwas kühler. Endlich.

Andreas neuester Hit: Kartoffelbrei mit Schokolade
Wer schon einmal bei Sri Chinmoy gestartet ist, weiß, dass bei der Verpflegung nichts gibt, was es nicht gibt. Ich habe zum ersten mal Algen gegessen, grünen Schleim und ph-Wasser getrunken. Es gab einfach alles. Kartoffelbrei mit Schokolade dazwischen (selbst kreiert) war mein neuer Hit. Auch das hatte ich noch nie.

Bei 100 km, 100 Meilen und 200 km durfte ich die Fahne eine Runde tragen. Das sind immer emotionale Momente.

Geschlafen habe ich gar nicht, zwischendurch musste ich mal Schuhe ausziehen und eine Selbstmassage machen, Schuh- und Sockenwechsel, was man so macht. Dann der erste kritische Moment: Zweite Massage im Massagezelt, gefühlte 70 Grad im Zelt, da bei Sri Chinmoy alle Seitenwände wegen Blickschutz geschlossen sein müssen. Nach der Massage hatte ich Kreislauf, weil es einfach zu heiß im Zelt war. Hatte eine Weile zu tun, um mich wieder runterzukühlen.

Aufgeben ist nicht – der Gatte appelliert ans Kämpferherz
Die erste Nacht, die nächste Krise, Tränen. Ich fragte Norbert meine übliche Lieblingsfragen: Wer hat mich hier angemeldet und warum spiele ich kein Schach? Norbert hat mir durch das Telefon in den Arsch getreten. Anstatt zu sagen: „Kleene, mach doch Schluss oder gehe länger eine Pause machen‘, hat er mit Durchhalteparolen herumgeschmissen und an mein Kämpferherz appelliert. Irgendwann kamen die auch in meinem Körper bzw. zuerst im Kopf an.

Zweiter Morgen, die Sonne kann wegbleiben, sie hörte aufs Wort. Es war bedeckter und kühler. 12 Uhr Start der 24-Stunden-Läufer. Die Ankündigung, dass eine tschechische Läuferin nationalen Rekord anpeile, hatten wir Deutschen nicht verstanden, aber schon bemerkt, dass diese Frau lief wir der Teufel. Unglaublich. Die zweite Nacht. Zwischendurch gefühlt eine Melone gegessen, -zig Portionen Kartoffelbrei mit Schokolade und Früchte in lila Gelee, habe ich noch nie gegessen.

Die erste Läuferin über 48h war schnell unterwegs und weg. Danach vier Läuferinnen, die zeitweise nur 5 km auseinander waren. Eine Weißrussin, Edda Bauer, Daniela Dilling und ich. In der Nacht meine große Attacke, eine Runde lag ich mal auf Platz 2. Aber die Aufholjagd und der Run auf Platz 2 verlangten dann wiederum nach ca. 20 km eine Pause und schwupps, waren wieder alle vorbei. Eine schwere Angelegenheit für den Kopf.

Zweimal zweiter Platz – mit Absicht
Elisabeth erzählte mir von der Läuferetikette, dass in einem internationalen Rennen ohne Meisterschaft, im letzten Drittel nicht mehr angegriffen wird. Irgendwann lief ich auf Daniela auf, die direkt hinter mir platziert war, die mir sagte, dass sie mich nicht mehr angreifen werde. Wir beschlossen, den Veranstalter vor eine Hürde zu stellen und mit dem gleichen Resultat gemeinsam auf dem 4. Gesamtplatz Platz einzulaufen. Ich blieb 3 Runden brav auf meinem Stuhl sitzen und wartete, bis Daniela die drei Runden aufgeholt hatte. Meine Füße haben es mir gedankt.

Die letzte Stunde sind wir zusammengelaufen. Letzte Runde, Gänsehautfeeling. Schlusshupe. 226 km. Millimetergenau legten wir unsere Säckchen ab. 
Bei der Siegerehrung kam die Bemerkung auf Deutsch, es gab zum ersten Mal dasselbe Resultat. Wir haben beide einen Pokal bekommen, Altersklasse Platz 2. Auch diese Aktion mit der geplanten gleichen Kilometerleistung habe ich noch nie erlebt

Höchststrafe dann noch zum Schluss: Kalte Duschen.

Eine ganz besondere Leistung möchte ich von Krista Preckel würdigen, die, gesundheitlich gerade etwas angeschlagen ist, mit 130 km eisern gekämpft hat. Ansonsten war es mit Elisabeth, Daniela, Krista und den anderen Deutschen eine tolle und sehr hilfsbereite Atmosphäre. Edda Bauer ist in ihrer AK 75 mit 225 km eine neue Weltbestleistung gelaufen.

Die Tschechien Churanova ist sogar noch Weltrekord gelaufen und hat Nele den Rekord in unglaublicher Manier abgenommen. Bei der sehr würdigen und emotionalen Siegerehrung mit Fernsehberichterstattung und Interview gab es stehende Ovationen für die Weltrekordlerin und dem Helfer Team von Sri Chinmoy.“

Text & Fotos: Andrea Möhr

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