Als ich mich am Montag nach dem Sachsentrail auf mein Fahrrad schwinge – unelegant angesichts steifer Oberschenkel – und dann im Büro den Kollegen zuhöre, die darüber quatschen, was sie am Wochenende so gemacht haben, merke ich, was mir in den langen Corona-Monaten so gefehlt hat: Dieses Fröhlich-in-mich-hineingrinsen, wenn Sätze fallen wie: „Es war so warm, da konnte man es echt nur im Biergarten aushalten“ oder „Die Teamstaffel fällt ja jetzt aus, da muss ich am Wochenende keine 5-km-Läufe mehr trainieren.“ Nö, müssen muss man nicht, aber man kann. Auch mehr als 5 Kilometer. Und vielleicht findet die Teamstaffel nicht statt, aber eeeeendlich wieder zumindest einige ausgewählte Laufevents.

Dass der erste große „Post-Lockdown“-Wettkampf ausgerechnet der Sachsentrail sein musste – der sich bekanntlich dadurch auszeichnet, dass man Trails rauf- und runterläuft, die eigentlich für Mountainbiker gedacht sind – hatte ich mir nicht ausgesucht. Hatte ich doch bereits 2018 meine ganz eigenen Erfahrungen mit diesem Event gemacht. Dennoch war der Sachsentrail mir – und auch Tom, Helga, Antje, Andreas, Katharina, Franck, Claudia und Bernd – lieber als die eine Woche später stattfindenden Deutschen Meisterschaften mit Dauerrundenlauf. Von dem typischen Berlin-Problem, zwar lange Läufe, aber äußert wenig bis kein Bergtraining gemacht zu haben, hatte sich keiner aus der Runde abhalten lassen.

Die gelbe Gefahr ist wieder da! Unsere LGM-Truppe beim Sachsentrail

Vorbereitung am Brocken
Tom und ich waren immerhin vor zwei Wochen am Brocken und hatten dort – nach Monaten reiner Berlin & Umland-Touren, vornehmlich flach – mal wieder einen Ultra-Trail probiert. Was sicher trainingstechnisch für den Körper nochmal ganz gut war, vor allem aber – angesichts der Strecke, die in Teilen überraschenderweise völlig unlaufbar war und erklettert werden musste, mental wichtig – um sich zu sagen: Klappt schon noch, dieses Ultra-Trail-Laufen. Auch wenn der letzte 75-er schon mehr als zwei Jahre her ist. Und der letzte >75km-Trail noch länger.

Dieses mentale Mantra wiederholte ich fröhlich vor mich hin, insbesondere Freitag, am Vorabend des Wettkampfs, beim Briefing. Das tat auch Not, denn hier macht der Organisator nochmal so richtig klar, auf was man sich hier einlässt und warum die Finisher der 75km-Strecke beim Sachsentrail drei Quali-Punkte für den UTMB bekommen.  Es erwarten die Teilnehmer „Stock und Stein, loses Geröll, feuchter Fels und Schlamm und…“ Feuchter Fels? Schlamm? Das hatten wir doch 2018 nicht? Stimmt, da war ja auch gutes Wetter. Heuer indes regnet es seit Tagen, selbst das Briefing findet während eines Dauerschauers statt, Gewittergrummeln inklusive. Das Fazit des Briefings:  „Macht euch erst gar keine Mühe, allen Pfützen ausweichen zu wollen. Ihr kommt so oder so mit nassen Schuhen ins Ziel.“ Die Pfützen machen mir allerdings keine Sorgen. Vielmehr aufgeweichte Abhänge und glatte, nasse Steine.

Auf zur Mountainbike-Strecke

Glitzersteine? Welche Glitzersteine?
Am nächsten Morgen nach dem Aufstehen gebe ich meiner Sorge Tom gegenüber nochmal Ausdruck. Allerdings leidet zur frühen Morgenstunde in der Aufgeregtheit offenbar mein Sprachvermögen, denn mein Mann fragt irritiert: „Von welchen Glitzersteinen redest du?“ Ups. Offenbar bin ich noch nicht ganz wach. Aber hey. Diamonds are a girl´s best friend… (unless she is an ultra runner. Than she ist more into trail shoes).

Wobei, Schuhe: Der mit dem Schuhtick ist gerade offenbar eher mein Mann. Nach dem Frühstück – by the way: so großartig, mal wieder dieses Gemeinschaftserlebnis, mit zahlreichen Mitläufern am Tisch sitzend die Aufgeregtheit vor dem Lauf auszutauschen – sind wir kaum wieder im Zimmer, als er sich wieder rausschleicht und mit einem Paar nagelneuer Laufschuhe von On wieder auftaucht. „Konnte man sich unten zum Testen ausleihen“, freut er sich. Irre. Neue Schuhe. Testen. Auf 75 Kilometern nassem Trail. Und nicht, dass er keine guten Trailschuhe dabei hat. Und wer jammert immer, dass er bei Läufen über 60 km Blasen kriegt? Vor dem Frühstück wollte er noch Tape von mir. Und jetzt 75 km mit neuen Schuhen… Egal. Ich muss nicht alles verstehen…

Ab auf die Mountainbike-Strecke
Und ich teste ja auch, nämlich meine neue schicke Garmin-Laufuhr, auf der ich endlich auch per Karte und nicht nur mit Wurm navigieren kann. Coool! Der Start findet – anders als wir es von 2018 kennen – direkt im Stadion am Rabenberg statt. Mit Maske und Abstand – aber vor allem mit ganz viel Atmosphäre, Musik und dem lange vermissten Gänzehautfeeling. Tom und ich starten weit hinten, denn es zählt ohnehin die Nettozeit ab Startmatte und dann laufe ich nicht Gefahr, ausgerechnet auf der mehrere Kilometer langen Mountainbikestrecke am Anfang von einem überholwütigen Mob hinter mir bedrängt zu werden… Guter Plan! Trotzdem wird gleich am Anfang gemeckert – nein, es ist nicht Tom, der brummt, sondern meine Uhr! Kaum ist der erste Kilometer gelaufen, summt das Teil am Arm um Aufmerksamkeit: „Leistungszustand minus 3 – schlecht“ steht auf dem Display. Du blödes Ding, weil ich 6:30er-Pace laufe? Du weißt doch überhaupt nicht, was ich noch vorhabe! Smarte Technik ist halt doch nur begrenzt intelligent.

Erfreulicherweise ist zumindest dieser erste Teil der Strecke zwar feucht, aber nicht rutschiger, als ich ihn von 2018 in Erinnerung habe. Das Wetter ist wider Erwarten sogar richtig gut! Nichts Nasses von oben, nur die Strecke wird allgemein wässriger: der erste VP (nur Wasser), der erste Bach (Schwarzwasser) und die ersten Pfützen (zunehmend voller mit Wasser ob der letzten Tage mit Dauerregen). Kein Wunder, dass die Streckenführung ab etwa km 14, wo es am Grenzgraben zu Tschechien entlang geht, diesmal oben NEBEN dem Grenzgraben verläuft, drinnen würden wir wohl versacken, außerdem sieht er viel zugewachsener aus, als ich ihn in Erinnerung habe. Gegen Ende dann aber doch noch ein Stück direkt IM (hier trockenen) Graben – singeliger kann ein Single-Trail kaum sein. Menschen mit dicken Oberschenkeln hätten Schwierigkeiten, ihre Beine voreinander zu kriegen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit dicken Oberschenkeln hier durchlaufen, auch sehr gering…

Schmal, schmaler, Grenzgraben: mit dem rechten Fuß in Tschechien, mit dem linken in Deutschland



Die Uwe-rraschung
Wir erreichen VP 3 bei Kilometer 24, dem zum Entsetzen diverser Läufer das Wasser ausgegangen ist, so dass sie ihre Wasserflaschen nicht nachfüllen können. Wirklich ungut, zumal der nächste VP erst bei km 37 oben auf dem Gipfel des Fichtelbergs ist. Doch neben Dingen, die unerwarteterweise nicht da sind, treffen wir umgekehrt auch Menschen, die unerwarteterweise da sind: Auf den letzten Kilometern vor dem Fichtelberg kommt uns plötzlich Uwe Schmidt entgegen, ein Lauffreund von Tom und Teil der alten Laufpark-Stechlin-Truppe rundum den Laufpark-Initiator (und Ex-LGM-Mitglied) Wolfgang Schwericke. Uwe macht gerade im Erzgebirge Wanderurlaub und wollte uns und Wolfgang sowie dessen Truppe unterwegs überraschen. Ist gelungen!

Was dagegen nicht kommt, ist der von Tom in Aussicht gestellte „steile Anstieg über 5 Kilometer Länge“ bis auf den Fichtelberggipfel, wie er ihn vom Fichtelberg-Ultra 2016 kennt. Vielmehr geht es so gemächlich nach oben, dass ich mich an Haralds Bonmot von „fies langer Anstieg, der sich als flache Ebene tarnt“ erinnert fühle. Und dann doch, etwa 800 Meter vor dem Gipfel geht es nochmal richtig steil aufwärts, und zwar stur geradeaus. So dass man genau sieht, wie weit man noch klettern darf. Und das unter erhöhten Schwierigkeiten, denn der Weg ist hier zwar prinzipiell breit, aber in der Mitte so durchsetzt mit schlammigen Grasnarben, dass nur ein seitlich am Rand dahinstapfendes Fortkommen sinnvoll ist.

Wechselnde Streckenverhältnisse – von Gras bis Geröll. Die Steigung geben die Aufnahmen allerdings nur unideal wieder.

Bergab durch den Schlamm
In Aussicht auf bald erreichten Gipfel oben stapfen wir aber unermüdlich nach oben, wo wir mit einem umfangreichen VP belohnt werden – leider aber nicht mit einer tollen Aussicht, da es sehr trüb ist und auch noch umfangreich zu pieseln beginnt.  Dafür aber sichten wir Antje – nanu, wir dachten die ist schon (Achtung, Kalauer) über alle Berge? Auch Helga erreicht kurz hinter uns den Gipfel, und Wolfgang, den wir ebenfalls oben treffen, nimmt den Abstieg zusammen mit uns in Angriff.  Es geht relativ steil und rutschig abwärts, aber vor Verletzungen muss man sich hier nicht fürchten – vielmehr gilt es geschickt die schräge, schlammdurchsetzte Fläche zu queren.

Tom ist dabei schneller als ich, und eilt voran, mich nervt derweil ein überambitionierter Stöckchenschwinger, der sich dicht hinter mich klemmt, ohne aber zu überholen oder anzusagen, dies zu wollen, obwohl seine Absicht deutlich ist. Also trete ich irgendwann entnervt noch ein Stücken weiter an die Seite, worauf er sich fest in die Stöcker greifend triumphierend an mir vorbeischwingt – um sich im nächsten Moment bis zu den Knien (!) im Schlamm wiederzufinden. Tja, manchmal ist es doch gut, sich auf den Untergrund zu konzentrieren… Bis er sich befreit hat, dauert es wohl etwas, jedenfalls lief ich vorbei und habe ihn den Rest des Tages nicht mehr gesehen… Wenig später erging es auch Wolfgang, der kurz nach uns oben am Berg gestartet war, und zu uns aufholen wollte, nicht besser, wobei er immerhin nur knöcheltief versackte. Um das zu demonstrieren ist es hoffentlich ok, dass ich dein Foto geklaut habe, Wolfgang 😉.

Es war möglich, auf der Strecke trockene Füße zu behalten. Aber nicht besonders einfach. Hier Wolfsgangs Momentaufnahme vom Fichtelberg-Abstieg.

Nach dem Fichtelberg kommen nochmal zwei größere Anstiege. Gleich der erste hat es in sich und erweist sich als kilometerlange Bergauf-Strecke, die sich kein Stück als flache Ebene tarnt. Wir sind ein ganzer Trupp, bei dem Tom weit vorne ist und ich zunächst rund 200 Meter weiter hinten, dazwischen fünf weitere Läufer*innen, inklusive Wolfgang. Da die Strecke aber technisch nicht anspruchsvoll ist, kann ich meinen Ausdauervorteil ausspielen und schaffe es bis zur Spitze knapp, auf Tom aufzulaufen – oder vielmehr: aufzuwandern.

Markierung weg, Tom weg, Uhr tot
Etwas Entspannung folgt, aber vor das Ziel hat die Streckenplanung dann noch weitere nicht eben ebene zehn Kilometer gelegt. Also bei km 65 nochmal schnell am letzten VP stärken (sofern man noch was runterkriegt). Da wir jetzt wieder in den Mountainbike-Gefilden sind, wird die Strecke entsprechend technisch anspruchsvoll. Tom kann „so langsam gar nicht bergablaufen ohne zu fallen“, wie er mir erklärt – allerdings erst später, denn zunächst demonstriert er das nur eindrucksvoll durch einen eleganten Rückwärtsfall in eine kleine Tanne am Rande der Strecke und dann ist er plötzlich weg. Ginge ja auch gar nicht, so ein Lauf, ganz ohne diese Stammlesern bekannte Aktion. Dummerweise überholen auch viele der anderen vom vorherigen Bergwandertrupp, sind genauso außer Sichtweise, und ich finde mich alleine zwischen feuchten  Baumwurzeln und dem markierenden Rainbow-Flatterband wieder. Damit war die Strecke wirklich super durchmarkiert, in allerkleinsten Abständen, nur hier, wo ich es – allein auf weiter Flur – gebrauchen könnte, ist plötzlich auch das weg. Macht nichts, ich hab ja einen Track – denkste! Die Uhr ist leider tot. Hatte ich doch leider versäumt, den blöden Vibrationsalarm auszustellen, das hält die natürlich keine elf Stunden durch. Aber mir „schlechte Leistung“ anzeigen!

Schleichende Panik setzt ein, bis ich wieder ein Flatterband entdecke. Puuuuh! Irgendwann habe ich dann auch Tom wieder eingeholt und wir nehmen die letzten Kilometer, auch nochmal schön mountainbikig, in Angriff. Angesichts der über 70 km, die wir schon in den Beinen haben, finden wir uns recht flott – doch einer ist flotter: Anders als gedacht hat Wolfgang nicht sämtliche Kraft auf dem vorherigen Berg verbraucht, sondern trabt – auf dem wirklich unwegsamen Gelände – scheinbar mühelos an uns vorbei. Chapeau, kann man da nur sagen! Und wir sind unsererseits im Bald-Ziel-erreicht-Fieber, genießen insbesondere die letzten 500 Meter beim Zieleinlauf im Stadion zu Musik und mit Franck als persönlichem Zielfotograf. Danke nochmal!

Ja, es darf (wieder) ein bisschen mehr sein!
Auch Antje treffen wir im Ziel, die wenige Minuten vor uns angekommen ist und stoßen mit ihr und Andreas auf den glücklichen Zieleinlauf an. (Wer mag: Alle Ergebnisse und sogar Zieleinlauf-Videos aller Teilnehmer gibt es hier). Mit das Tollste ist, dass – wie sich später herausstellt – alle LGMler rechtzeitig und verletzungsfrei durchgekommen sind. Das macht Lust auf mehr: Antje ist am folgenden Tag ohnehin bei Teil 3 des Triple-Wochenendes dabei, Franck deutet an, dass er kommendes Jahr vielleicht auch mal die lange Strecke statt „nur“ der 35km in Angriff nehmen möchte und Tom betont nochmal, dass wir doch dieses Jahr unbedingt zusammen die Laufpark-Umrundung…  

Wie auch immer: Allen gemeinsam ist die Hoffnung, dass das „normale Leben“ wieder seinen, nunja, Lauf nehmen möge. Sofern Ultra-Laufen als normales Leben zählt. Aber… ihr wisst schon.

Text: Sonja Schmitt
Fotos: Antje Matthiesen, Uwe Schmidt, Sonja Schmitt, Tom Schmitt, Wolfgang Schwericke, Franck Wiechmann

Kommentar hinterlassen